Dem Systemlieferanten saß die Angst im Nacken: Auf dem Spiel stand ein Teil der unternehmenskritischen IT-Systeme seines Kunden. Der Gegenwert des Auftrags - inklusive Hardware, Software-Lizenzen, Implementierung und Wartung - lag bei mehr als 75 Millionen Euro. Die Deadline war seit einem Jahr verstrichen, und noch immer liefen nur Teile des Gesamtsystems. Von einer Komplettübergabe war der an strenge Qualitätszusicherungen gebundene Dienstleister weit entfernt. Das Aus - nicht nur für dieses Projekt - drohte.
"Wenn man ein solches IT-Projekt retten will, müssen sich alle Beteiligten den Ernst der Lage eingestehen", sagt Bernhard Hirth, Inhaber der Beratungsfirma PTH Projekt Team Hirth. Oft scheitern Projekte genau daran: Verantwortliche beschönigen die verfahrene Situation, weil sie gegenüber sich selbst und ihren Auftraggebern beziehungsweise Vorgesetzten nicht zugeben wollen, dass große Gefahr droht - auch für die eigene Karriere. Dienstleister wie PTH sind darauf spezialisiert, existenziell gefährdete IT-Projekte wieder in die Spur zu setzen - oder sie aus dem Verkehr zu ziehen.
Im geschilderten Fall hatte der Lieferant Vorgaben akzeptiert, die unerfüllbar waren. "Vom Kunden kam immer noch eine und noch eine Forderung, und der Lieferant hat allem zugestimmt", erzählt Hirth. "Das ist einfach Dummheit." Zu akzeptieren, dass ein externer Projektmanager eingreift, fiel dem Endabnehmer hier noch leicht. Aber sich damit abzufinden, dass er auf eine Reihe der gewünschten Features verzichten muss, das sei "ein schmerzlicher Prozess" gewesen, so Hirth.
Umfänge wuchern wie Unkraut
Kritisch wird es oft, wenn ein Unternehmen wächst und mit ihm der Bedarf an Ressourcen. Das hat jedenfalls Rudolf Kuhn festgestellt, Mitbegründer des Frankfurter IT-Beratungsunternehmens Avinci in Frankfurt. Umgekehrt könne es auch sein, dass überdimensionierte technische Plattformen und Werkzeuge gewählt würden. Dann liefen die Kosten automatisch aus dem Ruder. "Das sind reine Planungsfehler", so Kuhn, aber selten sei das nicht. Üblicherweise beschäftigen sich die Projektretter deshalb weniger mit technischen Details als mit dem Management. "Unser Job ist mit dem eines Bauleiters vergleichbar", sagt Hirth. "Der mauert nicht selbst, sondern peilt an der Wand entlang, ob sie gerade wird."
Am Anfang einer Projektrettung steht immer ein Audit mit den Fragen: Was ist zu tun, um noch ans Ziel zu gelangen? Was kostet es, und wo liegen die Risiken? Diese Klarheit ist nicht nur im Sinn des Auftraggebers; auch für die Projektretter ist sie das wichtigste Sales-Argument. Hirth: "Wenn wir schlüssig aufzeigen können, wie es weitergehen kann, kriegen wir fast immer den Auftrag." Nicht jeder Intensivpatient ist jedoch noch zu retten: In 50 Prozent der Fälle, räumt Hirth ein, helfe nur eine schnelle Beerdigung, um die Behandlungskosten nicht noch steigen zu lassen. Ansonsten wird die restliche Laufzeit komplett neu geplant - mit realistischen zeitlichen und finanziellen Puffern. Die beim Start von IT-Projekten typischerweise kalkulierten zehn Prozent für "besondere Vorkommnisse", hat Hirth beobachtet, reichten nie.
Die alten Projektleiter nicht feuern
Ganz vorsichtig müssen die Retter mit dem Personal umgehen - auch mit Leuten, die womöglich mitverantwortlich dafür sind, dass ein Projekt in Schieflage geraten ist. Meistens werden die Macher nicht gefeuert, weil man auf ihr Vorwissen nicht verzichten kann; ein Wechsel an Schlüsselpositionen würde zusätzlichen Zeitverzug bedeuten. Samthandschuhe tragen die Retter dennoch nicht; die Neuplanung sieht ein enger als üblich gestuftes Controlling mit laufend überprüften Zwischenzielen vor.
Nicht einfach, aber sehr wichtig sei es, die Führungsebene eines Unternehmens einzubeziehen, sagt Hirth. "Oft fehlt bei großen IT-Projekten ein Fürsprecher auf den höheren Hierarchiestufen. "Wenn der, der das Projekt ursprünglich haben wollte, weg ist, fühlt sich keiner mehr zuständig." Hier steckt für Firmen wie PTH ein Risiko, das bei der Vertragsgestaltung berücksichtigt wird: Weil die Berater nicht alle Faktoren beeinflussen können, lassen sie sich nicht erfolgsabhängig bezahlen.
Erfolgreicher arbeiten könnten die Helfer, wenn sie nicht erst im Schadensfall gerufen würden, betont Hirth. In 40 Prozent der Aufträge seien seine Leute von Beginn an dabei, um schon bei der Evaluierung der Hardware-, Software- und Netzlieferanten sowie anderer Dienst-leister Fehler zu verhindern. Die Bewerber erhielten zwei Monate Zeit, um einen Prototypen zu bauen und dessen Möglichkeiten zu dokumentieren. "Dabei sehen wir, wie verlässlich der neue Partner ist und ob er die Technik beherrscht." Hirth will keine Verpflichtungen gegenüber IT-Dienstleistern haben: "Wir urteilen unabhängig."
Nur etwa zehn Prozent aller IT-Projekte, schätzt er, landen im zeitlichen und finanziellen Zielkorridor. Der häufigste Grund für ein Scheitern sind nach seiner Erfahrung unrealistische Annahmen und Zielvorgaben - verschärft durch eine spezifisch deutsche Eigenschaft: "Die Techniker träumen sich oft eine Welt zusammen, und in Deutschland wollen die Leute immer 150 Prozent; niemand gibt sich mit 80 Prozent zufrieden."
Die Projektsanierer müssen also nicht befürchten, dass ihnen die Arbeit ausgeht. Hirth ist vom Gegenteil überzeugt: "Es gibt in Deutschland Großunternehmen, bei denen ist in den vergangenen drei Jahren keine neue IT-Lösung mehr in Betrieb gegangen."