Der Trick funktioniert immer: Wer in der IT Lösungen verkaufen oder auch nur überzeugend propagieren will, muss der Zielgruppe zunächst ein Problem bescheinigen. In diesem Sinne schrieb Gartner in seinem Paper "Effective Governance of Bimodal IT Projects": "Projektmanagern und andere IT-Verantwortlichen fällt es schwer, Prozesse aufzusetzen, mit denen sich agile Methoden und traditionellesProjektmanagement unter einen Hut bringen lassen."
Die Analysten aus Stamford beziehen sich auf die "Bimodal IT", ein Begriff, den Gartner aus der Mathematik entlehnt und für die eigenen Zwecke umgedeutet hat. Gemeint ist eine IT-Organisation, in der Projekte sowohl nach dem klassischen Wasserfallmodell gemanaged als auch - teilweile gleichzeitig - agil gesteuert und abgewickelt werden.
Die Kernfrage der Gartners lautet: Wie kriegt man beides zusammen? Wie nutzt man die Vorteile beider Ansätze, obwohl die Abläufe höchst unterschiedlich sind?
Mode 2 verzichtet auf Routinen
Die klassische Vorgehensweise, von Gartner als "Mode 1" bezeichnet, ist hierarchisch und sequenziell, will sagen das Projekt entsteht wie ein Haus: Erst wenn der Keller fertig ist, fängt man mit dem Bau des Erdgeschosses an. "Mode 2" dagegen verläuft mehr experimentell, mit möglichst wenig festgelegten Routinen, Projektteile entstehen parallel zueinander, werden durch Feedbackschleifen laufend nachjustiert.
Dabei will und kann sich das Gros der Unternehmen nicht über Nacht von der klassischen Methode trennen, sucht aber nach Möglichkeiten, die Entwicklungszeiten für neue Produkte und Services zu verkürzen und ihre Qualität verbessern.
Was allerdings nicht funktioniert, ist laut Gartner, Methode 1 durch Optimierung von Abläufen und Strukturen zu 'agilisieren'. Stattdessen gelte es, zu entscheiden, wann welcher Ansatz der Richtige ist.
Der Vertrieb definiert die Anforderungen
Bei der klassischen Methode würden die Verantwortlichen zunächst eine "Business Capability Road Map", also eine Roadmap der Business-Anforderungen, entwerfen. Am Beispiel der Entwicklung einer CRM-Software verdeutlicht: Basis der Roadmap sind die Wünsche der Vertriebsorganisation, also die Frage: "Was will der Kunde?"
Anschließend werden diese Ansprüche Schritt für Schritt abgearbeitet. Nachteil: Das sequenztielle Vorgehen lässt vergleichsweise wenig Feedback zu. Und: Gerade Softwareentwicklung dauert oft so lange, dass sich die zu Beginn definierten Anforderungen des Marktes schon wieder drastisch geändert haben, wenn das Produkt fertig ist. Außerdem lässt sich anhand einer Liste von Kundenwünschen nicht agil entwickeln.
Das funktioniert besser durch das Formulieren von Zielen. Ein solches Ziel könnte für die neue CRM-Lösung lauten: 'Steigere die Verkäufe um X Prozent durch eine bessere Segmentierung des Marketings'.
Diese Fragestellung legt die Entwicklungsmethode nicht fest. Deren Auswahl, so Gartner, hat oft vor allem etwas mit der Unternehmenskultur zu tun. Und mit der Frage, wie viel Unsicherheit diese Kultur verträgt.
Schauen wir mal, wie weit wir damit kommen
Ist die Toleranz dafür groß, sollten sich Unternehmen bei wichtigen Innovationen für "Mode 2", also für ein agiles Vorgehen entscheiden, obwohl sich dabei im Vorfeld die Details nicht haarklein planen lassen. Beschränkungen entstehen hier weniger durch das Konzept und mehr durch die Höhe der Investitionen in das Projekt. Das Ansatz kann lauten: Wir geben uns drei Monate und 300.000 Euro und schauen mal, wie weit wir damit kommen.
Gartner vergleicht die Methode mit dem Lebenszyklus von Venture Capital-Finanzierten Start-ups. Geht es schief, wird die Idee schnell beerdigt und als wertvolle Erfahrung verbucht. Google zum Beispiel geht seit jeher bei seinen Entwicklungen so vor.
Natürlich eignet sich dieses Vorgehen nicht für jede Art von Projekt, und Unternehmen sollten auch kurzfristig entscheiden können, welche Methode sie wählen.
Mehr Mut zu agilen Teams
Erleichtert wird diese Flexibilität dadurch, dass Budget- und inhaltliche Verantwortlichkeit voneinander getrennt werden. Wer in Personalunion über Methodik und Budget befinden muss, trifft oft die falschen Entscheidungen.
Zusammenfassend wollen die Gartner-Autoren IT-Verantwortliche motivieren, den klassischen Ablauf von IT-Projektennicht zu vergessen, zugleich aber den Mut aufzubringen,agile IT-Teams aufzustellen und ihnen wichtige Aufgaben zu übertragen.
Um zu entscheiden, welche Aufgaben mit Hilfe welcher Methode durchgeführt werden, empfiehlt Gartner, zunächst (vergleichsweise) abstrakte Ziele statt komplexer Pflichtenhefte zu formulieren. In diesem Sinne sollten CIOs auch den Mut haben, Entwicklungen jenseits eines klar definierten Plan-Build-Run anzustoßen.