Prozesse nach ITIL einführen und messen

Prozesse in der richtigen Spur

08.11.2004
Wenn Prozesse ineinander greifen, lässt sich die Qualität der Abläufe nur mit Tools verbessern. Landmaschinenhersteller John Deere hat eine ITIL-Scorecard entwickelt, der Energiekonzern EnBW überwacht seine Prozesse mit einer Zeitleistendarstellung.

Grün lackierte Trecker-Chassis schweben an Förderbändern durch die Werkshalle. Wenn Roman Studenic, Leiter IT beim Mannheimer Landmaschinenhersteller John Deere, aus seinem Büro unterm Dach der Fertigungshalle tritt, kann er die Fahrgestelle fast greifen. Ein Riesenvorteil für ihn, denn er überträgt die Abläufe einfach auf die IT: "Die Maschinen-Produktion optimiert ihre Abläufe schon immer. Deshalb müssen wir in der IT nicht alles neu erfinden, sehr viel IT-Prozesswissen ziehen wir aus der Fertigungserfahrung."

Vor acht Jahren haben die Verantwortlichen bei John Deere damit begonnen, die IT-Prozesse gezielt zu verbessern. Seit zwei Jahren schärft sie Studenic mit ITIL (IT Infrastructure Library) nach. ITIL ist eine Methode, um IT-Service-Prozesse effizienter zu organisieren. Auf Basis von Best-Practice-Erfahrungen definiert ITIL elf Service-Prozesse und beschreibt, wie sie sich betreiben lassen (siehe Kasten). "ITIL liefert den Rahmen für das Prozessdesign, mit dem wir Prozesse einführen und optimieren", erklärt Studenic. Bisher hat John Deere das Configuration-, Problem-, Change-, Financial-Services- und Service-Level-Management nach ITIL ausgerichtet. Aus der Fertigung zieht Studenic noch eine Lehre: "Kein ITIL einführen, ohne vorher die Wirtschaftlichkeit durchzurechnen."

Deshalb klärte er vor dem ITIL-Start zunächst zwei grundlegende Fragen: Wie will die IT-Abteilung die Geschäftsstrategie unterstützen, und wie will sie künftig die Service-Leistungen für die Fachabteilungen erbringen? Besserer Service hieß, den Blickwinkel zu ändern: Anwender wandelten sich zu Kunden der IT. "Die spannenden Fragen waren, was der Kunde von der IT benötigte, ob die IT überhaupt die richtigen Services anbot und ob sie mit den Geschäftsprozessen übereinstimmten."

Zuerst eine Datenbasis schafffen

Außerdem gehörte es zur Vorarbeit, die Servicestrategie festzulegen, das heißt welche Leistungen die IT zentral, dezentral oder in einer Shared Service Organisation erbringen wollte. Auch klärte John Deere, welche Leistungen die IT selbst liefern und welche sie von Dienstleistern kaufen wollte. Es folgte die Bestandsaufnahme der IT-Services, um einen Ausgangspunkt für das spätere Controlling zu schaffen. "Von dieser Basis aus messen wir heute, ob wir unsere Ziele erreichen", sagt Studenic.

Für die Analyse der IT sind nach Studenic Methoden- und Managementkompetenz wie eine Stärken-Schwächen-Analyse, Balanced Scorecard, Prozessgestaltung und Performance-Management unabdingbar. Anhand der Analyseergebnisse definierte Studenic 20 Kennzahlen, auch Key Performance Indicators (KPI) genannt. Viele leitete er einfach aus den Unternehmenszielen ab. Viel mehr verrät er nicht, denn KPIs sind Betriebsgeheimnisse.

Thomas Gießen vom Wiesbadener Beratungsunternehmen Compass stellt allerdings fest: "Viele Unternehmen haben zwar KPIs definiert und messen sie, doch viele haben Schwierigkeiten, damit richtig umgehen. Der Grund: Der Reifegrad der Prozesse ist in den Unternehmen noch nicht weit genug fortgeschritten. Aber CIOs müssen die KPIs analysieren, um in einen Verbesserungskreislauf ihrer Abläufe zu kommen.

Doch bringt der Vergleich mit den eigenen Daten noch wenig, weil CIOs damit immer noch nicht wissen, ob ihre Abläufe im Vergleich zu anderen Unternehmen gut sind. "Benchmarks für individuelle KPIs sind schwierig, auch Fachpublikationen helfen oft nicht weiter", stellt Gießen fest. Deshalb rät er als Übergangslösung: "Wenn CIOs eine erste Bestandsaufnahme abgeschlossen haben, müssen sie aus den gesetzten Zielen neue Kennzahlen ableiten, beispielsweise den erreichten Wert um weitere zehn Prozent verbessern.

ITIL-Balanced-Scorecard geschaffen

Bei John Deere fließen die Kennzahlen in eine selbst geschaffene ITIL-Balanced-Scorecard ein. Die Ziele dafür hat Studenic an die Balanced Scorecard der Fertigung angelehnt. "Wenn die IT die Erfahrungen aus der Produktion dauerhaft überträgt, steigt automatisch der Reifegrad der IT-Prozesse. Eines Tages erreichen die Abläufe das Niveau der Fertigungsprozesse, ist sich Studenic sicher.

Der Karlsruher Energieversorger EnBW bildet die selbst definierten Kennzahlen nicht in einer Scorecard ab, sondern stellt sie in einer Zeitleiste dar. Auf der Leiste hat CIO Adolf Treml jede Leistung bis auf die unterste Ebene heruntergebrochen: Auf Kurven sieht er beispielsweise, welcher Prozess im Plan liegt und welche Leistungstiefe vorliegt. Stimmen die Werte nicht, entscheidet er, welche Schwerpunkte in den kontinuierlichen Verbesserungsprozess einfließen müssen.

Geringe Prozessreife in Unternehmen

Auf die Zeitleiste kam Treml, als er die Vernetzung einzelner Prozesse sichtbar machen wollte. Das hieß: Wie sich Änderungen in einem Prozess auf die übrigen auswirken, wie sich Prozesse gegenseitig beeinflussen. Die Zeitleiste zeigt den Prozessbeteiligten nicht nur an, wer vor ihnen dran war und wer nach ihnen folgt. Die Grafik visualisiert auch, ob beispielsweise die Problem- und Incident-Ereignisse bei einem Change-Prozess gestiegen oder gesunken sind. "Bei EnBW versuchen wir, eine integrative Sicht auf alle IT-Prozesse hinzubekommen, sagt Treml, Prokurist des internen Dienstleisters EnBW Service GmbH und Verantwortlicher für die IT-Strategie in der EnBW-Holding.

Compass-Berater Gießen hält die integrative Sicht für entscheidend. CIOs sollten mehrere ITIL-Prozesse einführen und sie miteinander verbinden. "Besser mehrere Prozesse mit geringerer Reife verzahnen als einzelne Abläufe isoliert perfektionieren", rät Gießen. Die Verzahnung der Prozesse beginnt in der Regel, wenn die Prozessreife Stufe drei (Defined) des CMM-Modells (Capability Maturity Model, siehe Grafik) erreicht: Die Prozesse sind definiert, dokumentiert, standardisiert, und es existieren Ziele. Die dritte Stufe haben seiner Erfahrung nach bislang die wenigsten Unternehmen vollständig erklommen. "Die meisten Unternehmen lernen erst, wie sie mit Kennzahlen und den Daten aus anderen Prozessen umgehen sollen."

Compass wertete in einer Studie im August dieses Jahres anhand von 45 Projekten von Kunden aus, wie sie das Incident-Management handhaben (siehe Grafik Seite 14): "Mitunter entstehen 100-seitige monatliche Reports, die kein Mensch liest", so Gießen. Dabei gibt es gerade für das Incident-Management genügend Tools, um die Daten nicht nur zu liefern, sondern auch auszuwerten. "Es hapert an der zielgerichteten Anwendung der Programme", weiß der Berater.

EnBW-CIO Treml weiß aus Erfahrung, wie wichtig es ist, alle ITIL-Prozesse mit redundanzfreien Tools zu unterstützen. Im Jahre 2000 hatte er ITIL mit einem Assessment gestartet. Dabei wurde sichtbar, dass zwischen dem bisherigen Verständnis einer prozessorientierten und kennzahlengestützten Arbeitsweise und einer nach der ITIL-Philosophie eingeführten Managementmethode ein "großes Delta" bestand.

EnBW begann die IT-Service-Management-Einführung (ITSM) klassisch mit den Prozessen Incident, Problem und Configuration. Dafür setzte Treml das bereits für Help-Desk-Prozesse genutzte Tool Service Center von Peregrine ein. Die Konfigurationselemente implementierte er ausschließlich als Informationsreferenzen im Peregrine-System. Rückblickend stellt er fest: "Das war zwar eine Sichtweise auf die Prozesse, stellte aber noch keine integrative datenkonsistente Sicht dar."

Heute würde er anders vorgehen und sich bei der Configuration-Einführung nicht ausschließlich auf das Asset-Management fokussieren. Um eine integrative Sicht hinzubekommen, untersuchte er zunächst, welches Datenmodell der Wertschöpfungskette "IT-Leistungsbereitstellung zugrunde lag. Darauf baute EnBW ein eigenes IT-Unternehmensdatenmodell auf, in das alle Sichten einfließen: Anwender, Applikationen, Lieferanten, Organisation, Technologie, Finanzen und Services. Erst seit Treml das IT-Datenmodell kennt, sucht er ein passendes ITSM-Tool. Treml: "Tools senken die Datenredundanz und straffen den Workflow. Vor diesem Thema stehen wir momentan."

Deshalb verfolgt auch der IT-Verantwortliche Studenic der John Deere Werke Mannheim eine klare Strategie: "Wir richten Prozesse nur nach ITIL aus, wenn wir sie mit Tools unterstützen können." Das Projektmanagement bildet er in Microsoft Project ab, die Prozess-Management-Software Aris PPM von IDS Scheer optimiert, dokumentiert und kontrolliert die ITIL-Prozesse. Auch die Balanced Scorecard basiert auf Aris.

Tools bilden Verzahnungen ab

Nur der Service Desk von HP ist ein auf ITIL abgestimmtes Tool. Das Programm verfolgt alle Ereignisse, leitet sie auf die jeweilige Support-Einheit, überwacht die SLAs, verwaltet die Störungen in der Infrastruktur und hilft, Fehlerursachen zu erkennen. Der Service Desk bildet alle Verzahnungen der Prozesse ab und wertet alle Konfigurationspunkte aus. Studenic gibt allerdings zu bedenken: "Je komplexer die Services, desto schwieriger lässt sich ein Tool administrieren, weil man alle Parameter pflegen muss."

Die Ergebnisse der Werkzuge erhöhen die Qualität der Diskussionen mit IT-Mitarbeitern, Fachabteilungen und dem Management. Denn Tools liefern Fakten und stellen Zusammenhänge für jeden nachvollziehbar in Kurven und Grafiken dar. So hat Studenic auf Basis dieser Zahlen eine Kapazitätsplanung aufgebaut. Wenn er weiß, dass Projekte mehr Changes und Incidents verursachen werden, braucht er auch mehr Ressourcen vom externen Dienstleister. Mit der Kapazitätsplanung legte er den Grundbedarf für den Normalbetrieb fest. "Für die Basisleistung zahlen wir einen Festpreis, Schwankungsspitzen rechnen wir nach Verbrauch ab", erklärt Studenic.

Die Daten versetzten den Landmaschinenhersteller auch in die Lage, Service Levels festzulegen. So ordnete John Deere jedem Prozess die einfließenden IT-Dienstleistungen zu. Mit den SLAs der IT-Dienstleistungen ließen sich dann SLAs für Services definieren. "Wir haben den Begriff SLA durch Service Value Agreements (SVA) ersetzt. Damit betonen wir stärker den Servicebeitrag zum Unternehmenserfolg", sagt Studenic.

Daten jede Woche auswerten

In die SVAs fließen auch die SLAs ein, doch misst John Deere vor allem die Kundenzufriedenheit (Anwender befragen), Prozesstreue (etwa Programm vollständig installiert und dokumentiert) und Prozessqualität (etwa Installationszeiten). Studenic: "Die Daten werten wir jeden Monat aus, worauf eine Bonus-Malus-Regelung aufbaut. Bislang arbeitet die IT-Abteilung nur mit internen Service Levels. "Es gibt nichts Schlimmeres, als ohne gesicherte Prozesse zum Kunden zu gehen. Nur wenn die IT die Services garantieren kann, darf sie damit in die Fachabteilungen gehen, warnt Studenic. Bevor IT-Abteilungen mit abgesicherten Prozessen den Schritt hinaus wagen, müssen strenge Bedingungen erfüllt sein: Prozesseinführung sowie Rollenverteilung im IT-Service müssen weit fort geschritten sein, es muss ein permanentes Monitoring existieren. Lange Erfahrung mit den Geschäftsprozessen geben die Sicherheit, dass die Service Levels nicht völlig am Bedarf vorbei festgelegt werden. "Bald gehen wir mit den SLAs heraus und beginnen mit der Feinjustierung. Das ist ein wechselseitiger Prozess zwischen IT und Fachabteilungen.

ITIL legt die Basis für Service Levels und hilft so bei der Argumentation gegenüber dem Management. Studenic begründet Investitionen nicht mehr damit, dass Hard- und Software ausgefallen sind. Der ITIL-Prozess wird zum Argument: Wenn der Service stabiler laufen soll, dann müssen wir diesen Server und diese Software kaufen. "ITIL hilft uns, den Einfluss der IT-Services auf das Geschäft darzustellen", sagt Studenic.

Benchmarken mit ITIL

Außerdem half ITIL dabei, die IT-Dienstleistungen Benchmark-fähig zu machen. John Deere machte seinen Service-Katalog vergleichbar und senkte dadurch seine von außen eingekaufte Leistungen um 15 Prozent. Auch der TCO ließ sich reduzieren. "Wenn ich mir Gedanken darüber mache, wie ich Leistungen erbringe, dann mache ich mir auch Gedanken, wo ich konsolidieren kann, begründet Studenic sein Vorgehen.

Tools und ITIL-Schulungen kosten allerdings auch Geld. Kein Problem für EnBW-CIO Treml, denn aus seiner Zeit in der Autoindustrie weiß er, dass neue Prozesse immer auch kosten: "Wer eine prozessorientierte Organisation - ob nach ITIL oder einer anderen Methode - einführt, muss investieren." Das gehöre zur klassischen Organisationsentwicklung: Wenn ein Autohersteller ein neues Modell produziert, müsse er auch Prozesse neu gestalten und Mitarbeiter schulen.

Doch Treml spart mit ITIL schon Geld. Mit dem 2003 gestarteten Kostensenkungsprogramm "Topfit" will er bis 2006 eine Milliarde Euro laufende Kosten sparen. Die IT muss 30 Millionen Euro beitragen. "Viele Maßnahmen, das Sparziel zu erreichen, beziehen sich auf eine Verbesserung der Prozessqualität durch ITIL."

Berater Gießen kennt noch einen Grund, warum ITIL seit zwei Jahren eine so starke Resonanz findet. "Mit ITIL erhalten CIOs mit geringem Aufwand plötzlich neue Ideen und Konzepte, die sie einfach übertragen können: aus der Fertigung, dem Qualitätsmanagement und dem Marketing. Nach dem Motto: Tue Gutes mit ITIL und rede darüber.