Ein Prozess muss nicht immer gleich völlig entgleisen. Auch wenn der Unternehmensalltag weniger dramatisch abläuft als ein Zugunglück, ein scheinbar kleines Problem führt schnell zu hohen Umsatzausfällen – wenn IT-Abteilungen Probleme falsch priorisieren. Wenn beispielsweise die Fehlermeldungen „Mainframe ausgefallen“ und „Fax-Server ausgefallen“ gleichzeitig eintreffen, kümmert sich ein IT-Mitarbeiter eines Autoherstellers klassisch zuerst um den Mainframe. Was er nicht weiß: Der Fax-Server verschickt Auftragsbestätigungen an Zulieferer, damit diese ihre Teile just-in-time liefern können. Dagegen läuft auf dem Mainframe eine Anwendung, die Gehaltsabrechnungen steuert. Diese braucht die Personalabteilung aber erst gegen Ende des Monats wieder. Der Ausfall des Fax-Servers wirkt sich also deutlich negativer auf das Geschäft aus.
Business Service Management (BSM) soll Unternehmen helfen, solche Probleme zu vermeiden und am besten gar nicht erst entstehen zu lassen. Das heißt: BSM betrachtet, überwacht, bewertet und optimiert IT-Services für unternehmenskritische Abläufe.
Neues Kürzel für alten Wunsch
BSM ist zwar ein neues Kürzel, drückt aber nur einen alten sehnlichen Wunsch aus: IT mit Geschäftsprozessen direkt zu verbinden und zu messen. Bislang lief das Thema unter IT-Service-Management. Dabei ging es um das effiziente Steuern von IT-Service-Prozessen – aber weitgehend ohne Geschäftsbezug. „Jetzt hat die Verbindung zwischen Geschäftsprozessen und IT mit BSM einen Namen bekommen. Der Begriff BSM hebt den Geschäftsprozesscharakter stärker heraus“, sagt Hans-Heinz Wisotzky, Leiter Competence Service Management beim Dortmunder Beratungsunternehmen Materna.
Über hundert verschiedene Bezeichnungen fand Forrester bei Anbietern dafür,was heute unter BSM firmiert. Nach Forresters Definition verbindet BSM dynamisch Business-orientierte IT-Services mit der IT-Infrastruktur. Ein geschäftsfokussierter IT-Service kann dabei ein bestimmter IT-Service oder Teil eines Business-Prozesses sein. Aber er muss eine bedeutende und erkennbare Metrik für den Anwender besitzen.
Entscheidend ist der Perspektivenwechsel: Unternehmen schauen aus Business-Sicht und nicht mehr aus dem IT-Blickwinkel auf Prozesse. Das setzt voraus, einen gesamten Geschäftsprozess in seinen einzelnen Applikationsprozessen darzustellen und ein Asset-Management aller Infrastrukturelemente zu schaffen.
Für Forrester-Analyst Peter O’Neill ist ein IT-Service kein Business-Service, wenn er für Anwender keinen Nutzen bringt. Daher muss ein BSM-System …
… Geschäftsprozesse erfassen, offen legen und aussagekräftig beschreiben
… alle Infrastrukturressourcen erfassen und bearbeiten
… Prozesse und Infrastruktur dynamisch verbinden
… End-To-End-Management unterstützen. Online-Monitoring der Geschäftsprozesse mit SLA-Reporting ist dafür Voraussetzung. Das System muss auch die Hauptgründe von Ausfällen und Auswirkungen von Infrastruktur- Ressourcenfehlern auf das Geschäft analysieren.
Die daraus resultierenden Vorteile benennt Wisotzky: IT-Abteilungen können…
… erkennen, wie kritisch einzelne IT-Services und IT-Komponenten für die Geschäftsprozesse sind
… entsprechend der Wichtigkeit die Problembehebung priorisieren und vorausschauend Ausfälle vermeiden.
Der alte Wunsch nach dynamischer Verbindung von IT und Geschäftsabläufen scheint sich langsam zu erfüllen. Technische Entwicklungen lassen das Thema stärker aufkommen. Im Jahr 2002 brachte Relicore (von Symantec gekauft) als erster Anbieter ein Tool zur Erkennung von Infrastrukturelementen auf den Markt. Diese Software erkennt automatisch,welche IT-Elemente wo eingesetzt werden und wie Infrastrukturressourcen genutzt werden. Seit rund zwei Jahren bieten viele weitere Hersteller ausgereifte Tools an. Für Gartner zählen zu BSM auch Event-Management- und Transaction-Tools sowie Service-Level-Monitoring- und Reporting-Software.
Zurzeit konsolidiert sich der Anbietermarkt. Große Suite-Anbieter kaufen kleine BSM-Unternehmen und integrieren die Lösungen in ihr System. Suite-Anbieter wie CA, HP und IBM modeln ihre Integrationsprodukte in Richtung Service-Orientierung fast monatlich um. Dabei warnt O’Neill Anbieter davor zu übersehen, dass Anwender weiterhin Best-in-Class-Strategien fahren. In Unternehmen sind künftig vielleicht sieben oder acht BSM-Anbieter unterwegs. Die Hersteller müssen deswegen darauf achten, ihre Produkte mit denen von Wettbewerbern verbinden zu können.
Noch wenig BSM-Anwender
Zudem müssen Anbieter ihre Tools neuen technischen Entwicklungen anpassen. So breiten sich Provisioning- und Virtualisierungs-Technologien immer weiter in der Infrastruktur aus. Automatic-Discovery-Tools beispielsweise müssen damit umgehen lernen.
Dagegen steckt BSM bei Anwendern noch in den Kinderschuhen. Nur sieben Prozent aller Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als einer Milliarde Dollar haben laut Forrester bisher BSM implementiert (siehe Grafik oben). Die Hälfte von ihnen hat gerade einmal ein IT-Asset- Management-System integriert, und nur 20 Prozent haben ihre Prozesse nach ITIL (IT Infrastructure Library) ausgerichtet.
Dritter zentraler Baustein neben Asset-Management und ITIL ist für Forrester die Configuration Management Data Base (CMDB). Ähnlich einem Data Warehouse sammelt eine CMDB alle Konfigurationsobjekte und setzt diese miteinander in Verbindung. Gerade beim Aufbau einer CMDB stellt Analyst O’Neill allerdings dieselben handwerklichen Fehler wie schon beim Data Warehousing fest: CIOs planen die optimale CMDB und bauen sie anschließend. Der Ansatz ist jedoch zu groß und muss scheitern, weil die Entwicklung sehr lange dauert und sich währenddessen schon wieder zu viel ändert. Deshalb rät er zu einer „Just enough CMDB“, also als kleines Projekt starten und langsam die passende CMDB bauen.
Nur wenige Unternehmen sind bereits auf einem guten Weg zu einem vollständigen BSM. Während Materna Unternehmen mit mehr als 5000 PC-Arbeitsplätzen als interessante Kandidaten sieht, hält Forrester Firmen mit einem Umsatz von mehr als einer Milliarde Dollar für reif. Von solchen Maßgrößen hält Gartner- Analyst Milind Govekar nichts: „Entscheidend ist, welche Kosten dem Business entstehen, wenn die IT ausfällt.“ Deswegen kommen für ihn beispielsweise Finanzdienstleister ebenso in Frage wie High Tech Manufacturers.
Einführung dauert sieben Jahre
Für BSM müssen Anwender ihre IT stärker kundenorientiert organisieren und vom Silo-Denken in der IT wegkommen.„Die Ironie: Unternehmen haben ihre Produktion automatisiert, sich neu organisiert und ihre Prozesse neu gestaltet. Aber die IT-Organisationen haben sich in den letzten 30 Jahren kaum geändert“, stellt O’Neill immer wieder fest. Stattdessen hätten Unternehmen in den vergangenen Jahren zumeist ihr Geld in Kostensparprojekte investiert.
BSM ist eine Reise, die aus einer Vielzahl von Projekten besteht, wie sie die Forrester-Kurve zeigt (siehe Grafik Seite 55). Fünf bis sieben Jahre halten die Analysten für keine ungewöhnlich lange Zeit dafür. Vor allem IT-Service-Provider kommen an BSM nicht vorbei. Anwender aber auch nicht. „Wenn es die CIOs nicht in Angriff nehmen, droht ihnen die Auslagerung der IT, weil es die Provider können“, sagt O’Neill. Die längste Reise beginnt wie immer mit dem ersten Schritt, nur sollte der Zug dabei nicht mehr entgleisen.