Deutsche Arbeitnehmer fallen immer häufiger wegen psychischer Erkrankungen im Job aus. Im Jahr 2008 machten diese Leiden knapp elf Prozent aller Fehltage aus. Seit 1990 haben sich diese Krankschreibungen fast verdoppelt, heißt es in einer Übersichtsstudie der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), für die Daten der gesetzlichen Krankenkassen ausgewertet wurden.
"Psychische Erkrankungen wurden jahrzehntelang übersehen oder nicht richtig diagnostiziert", sagt BPtK-Präsident Rainer Richter. Deshalb ist er nicht überrascht von der wachsenden Zahl von Arbeitnehmern, die aufgrund einer seelischen Störung arbeitsunfähig sind.
Richter wertet die Zunahme aber auch als eine Folge der steigenden psychomentalen Anforderungen in modernen Dienstleistungsgesellschaften. Die BPtK zitiert Meta-Analysen, die bestätigen, dass Erwerbstätige überdurchschnittlich häufig psychisch krank werden, wenn bei ihnen hohe Anforderungen (zum Beispiel Zeitdruck, komplexe Aufgaben und Verantwortung) und ein geringer Einfluss auf den Arbeitsprozess zusammenkommen. "Psychisch gesund bleibt eher, wer erlebt, dass er Einfluss auf seine Tätigkeitsabläufe hat", sagt Richter.
Weitere Studien zeigen eine Häufung psychosomatischer Beschwerden, wenn ein Ungleichgewicht zwischen Einsatz im Beruf und der Entlohnung beziehungsweise Anerkennung besteht. Andere Studien zeigten, dass eine erhöhte Arbeitsintensität das Risiko erhöht, an einer Depression zu erkranken.
Dienstleister besonders betroffen
Am häufigsten treten seelische Erkrankungen in Dienstleistungsbranchen auf. Überdurchschnittliche Fehltage aufgrund psychischer Störungen gibt es etwa im Sozial- und Gesundheitswesen, in der Telekommunikation und in öffentlichen Verwaltungen. In klassischen Arbeiterberufen wie der Land- und Forstwirtschaft ist der Anteil der psychischen Erkrankungen an den Fehltagen ein Drittel bis um die Hälfte niedriger als im Durchschnitt aller Erwerbstätigen.
Mehr noch als der Druck oder das Ungleichgewicht am Arbeitsplatz führt der Verlust der Arbeit zu psychischen Erkrankungen. Arbeitslose sind drei- bis viermal so häufig psychisch krank wie Erwerbstätige.
Neben den Branchen haben die Studienautoren zudem die Regionen verglichen. Dabei fällt auf, dass der Anteil psychischer Erkrankungen an Fehltagen in den neuen Bundesländern niedriger ist als in den alten. Der Bundesländervergleich zeigt zudem, dass urbane Regionen stärker betroffen sind: Berlin und Hamburg verzeichnen 20 Prozent mehr Fehltage aufgrund psychischer Erkrankung als der Bundesdurchschnitt. Das hängt damit zusammen, dass hier mehr Menschen in der Dienstleistungsbranche arbeiten.
Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) wertete für dei Studie die Gesundheitsreporte der gesetzlichen Krankenkassen aus. Die BPtK ist die Arbeitsgemeinschaft der Landeskammern der Psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten. Die Geschäftsstelle befindet sich in Berlin.