Six Sigma

Qualität als Philosophie

22.03.2005
Kautex Textron, der führende Lieferant von Kunststoff-Kraftstoffsystemen für die Automobilindustrie, setzt konsequent auf Six Sigma. Das Unternehmen verfolgt damit drei Ziele: Wachstum & Innovation, schlanke Prozesse und höhere Qualität. Ivan Claes, Vice President Six Sigma, und CIO Christoph Hermes erklären Six Sigma und schildern, warum, wie und mit welchem Ergebnis es zur Management-Philosophie bei Kautex geworden ist.

Sigma ( σ ) bezeichnet in der Statistik die Standardabweichung der Gauß’schen Normalverteilung. Im Qualitätsmanagement dagegen steht Six Sigma für Null-Fehler-Qualität: In einem Prozess, der dieses Niveau erfüllt, entstehen unter bestimmten Rahmenbedingungen – bezogen auf eine Million Möglichkeiten – nur 3,4 fehlerhafte Ergebnisse. Die Ausbeute dieser Prozesse liegt damit bei 99,99966 Prozent. Durchschnittliche Qualitätsniveaus liegen zwischen 3 und 4 ; das entspricht einer Ausbeute von 93,3 bis 99,4 Prozent. In der Unternehmensführung versteht man folglich unter 6 eine Methode zur kontinuierlichen Verbesserung der Unternehmensprozesse sowie der Produkte und Dienstleistungen, die aus diesen Prozessen entstehen.

Eine Six-Sigma-Organisation kann weitgehend auf Nachbesserungen verzichten – die Prozesse laufen nahezu fehlerfrei. Die Qualitätskosten sinken dadurch auf weniger als ein Prozent vom Umsatz. Und nicht zu vergessen: Als integraler Bestandteil eines Managementsystems schafft Six Sigma die Voraussetzungen für eine faktenbasierte Entscheidungsfindung. Das erfordert Werkzeuge, die sowohl die menschliche als auch die technische Komponente aller Prozesse berücksichtigen.

Innerhalb des Textron-Konzerns, zu dem Kautex gehört, wurde Six Sigma unter dem Namen Textron Six Sigma (TSS) eingeführt. Seit Anfang 2002 nutzt Kautex TSS, um neue Produkte und Prozesse zu entwickeln sowie vorhandene zu optimieren. Der konzerneigene Name weist darauf hin, dass die Methode hier tatsächlich eine besondere Ausprägung erhalten hat; Textron war bei der Einführung das erste Unternehmen, das 6 in drei methodischen Varianten mit drei unterschiedlichen Zielen einsetzt.

Aller guten Dinge sind drei

DMAIC – die Abkürzung steht für „Define, Measure, Analyze, Improve, Control“: In diesen fünf methodischen Schritten wird jeder Prozess und jedes Produkt auf ihre Qualität hin optimiert. Mit zwei von drei Six-Sigma-Methoden arbeiten wir nach DMAIC.

1. DMAIC/ Lean: Vermeidung von nicht wertschöpfenden Aktivitäten

Kautex hat es sich zum Ziel gesetzt, alle Aktivitäten zu vermeiden, die nicht wertschöpfend sind. Alle Prozesse werden optimiert. Dazu gehören etwa die Reduzierung von Zykluszeiten in der Produktion und die Einführung eines Kanban-Systems. Bei diesem Produktionsplanungsverfahren findet, im Gegensatz zur traditionellen Methode, wo Material an nachfolgende Arbeitsgänge weitergeleitet wird, der Transfer in umgekehrter Richtung statt: Ein nachgelagerter Arbeitsgang entnimmt aus einem vorgelagerten nur das gerade benötigte Teil in der benötigten Menge und zum benötigten Zeitpunkt. Kanban realisiert also das Just-in-Time- Prinzip. Statt umfangreicher Lagerhaltung von Rohstoffen und Halbzeugen werden der Bestand reduziert und die Materialien bei Bedarf an die Linie geliefert.

2. DMAIC – Abweichungen minimieren

Das zugrunde liegende strategische Ziel ist die Reduzierung beziehungsweise Verminderung von Abweichungen vom optimalen Ergebnis. Daher gilt es, die Spanne zwischen dem schlechtesten und dem besten Ergebnis zu minimieren, und zwar in jedem einzelnen Prozess. Nur wenn alle Prozesse nach DMAIC optimiert werden, erzielt man überdurchschnittliche Gesamtleistungen. Bei Kautex haben wir Ende 2002 mit der methodischen Reduzierung der Variabilität in allen Prozessen begonnen.

3. DFSS (Design for Six Sigma) – Wachstum und Innovation

DFSS hilft uns, Kundenanforderungen zu verstehen und auf die Entwicklung neuer Produkte zu übertragen. Alle Neuentwicklungen, unabhängig davon, ob es sich um Produkte, Dienstleistungen oder interne Prozesse handelt, sind von Anfang an auf Null-Fehler- Qualität ausgelegt. Der Kunde ist in jeder Phase eingebunden – von der Forschung und Entwicklung bis hin zum fertigen Produkt. Das unterstützt die strategischen Unternehmensziele Wachstum und Innovation.

Gerade für Neuentwicklungen wurde mithilfe von DFSS ein Standardprozess entwickelt: NP & SI, die konzernweit gültige Roadmap für „New Products and Services Introduction“. Dadurch vermeidet man die Entwicklung von Produkten, für die es keinen Markt gibt.

Alle drei Komponenten, Lean (Beseitigung von Verschwendung), DMAIC (Reduzierung/Minderung von Abweichung) und DFSS (Wachstum&Innovation), wirken gemeinsam auf die übergeordneten Ziele, die Rentabilität und die Kundenzufriedenheit zu stärken sowie den Transformationsprozess in einem dynamischen Unternehmen zu steuern.

Der Aufbau der Six-Sigma-Organisation

Bei Kautex gibt es innerhalb der TSS-Organisation verschiedene Funktionen: Vice President Six Sigma, Master Black Belt, Black Belt und Green Belt – orientiert an asiatischen Kampfsportarten. Green Belts widmen sich dem Thema Six Sigma in Teilzeit. Sie erhalten ein mehrwöchiges Trainingsprogramm und nutzen die erlernten Methoden, um ihre aktuellen Aufgaben in den Fachbereichen schneller und effektiver ausführen zu können. Bei Kautex gibt es momentan etwa 350 Green Belts, das sind rund sieben Prozent aller Mitarbeiter. Ende 2009 sollen alle angestellten Mitarbeiter als Green Belts zertifiziert sein.

Black Belts arbeiten zwei Jahre lang in Vollzeit an TSS-Projekten und werden nach der Zertifizierung als Black Belt in die Organisation zurückgeführt. In diesem Programm sind ständig ein Prozent aller Mitarbeiter als Black Belts aktiv. Zurzeit arbeiten 30 zertifizierte Black Belts bei Kautex.

Darüber rangieren die Master Black Belts, die in Vollzeit den Black Belts bei der Durchführung als Mentoren zur Seite stehen. Bei Kautex nehmen die Master Black Belts eine strategische Rolle ein. Sie ermitteln, welche Projekte nach 6 durchgeführt werden können.

Welche Prozesse sind es wert?

Es ist unmöglich, eine komplette Organisation in einem Durchgang zu optimieren. Kautex nähert sich dem TSS-Ziel daher in Teilschritten. Um dabei eine möglichst hohe Wirkung zu erzielen, wählen wir in einem standardisierten Business Assessment Process die Prozesse aus, deren Optimierung den größten Effekt versprechen. Hieraus werden Projekte abgeleitet, die messbare Einsparungen bringen müssen. Welche Projekte sich am meisten lohnen, identifiziert Kautex anhand von Value-Streams. An dieser Analyse sind neben den Black Belts auch Mitarbeiter aus allen Ebenen bis in die Fertigung beteiligt.

Die Fehlerrate, gemessen in DPMO (Defects per Million Opportunities), verbessert sich im Laufe eines TSS-Projekts um 50 bis 70 Prozent. Das ist bei Kautex der Fall, und diese Zahl wird von Unternehmen, die sich ähnlich konsequent an 6 ausrichten, bestätigt. Die DPMO-Rate lässt sich in allen Prozessen ermitteln; dadurch werden Transaktions- und Fertigungsprozesse miteinander vergleichbar.

Six Sigma in der IT

Auch wenn es in diesem Heft um Methoden des IT-Managements geht: Six Sigma ist kein reines IT-Thema. Vielmehr unterliegt die Informationstechnologie denselben hohen Anforderungen wie alle Unternehmensbereiche. Auch hier sind ein Prozent der Mitarbeiter Black Belts, der Kautex-CIO ist zertifizierter Green Belt. Der Einsatz von Six Sigma in der IT hat eine Besonderheit: Wir haben bei Kautex im Jahr 2003 den IT-Outsourcing-Partner gewechselt: Vorher kam alles aus einer Hand, jetzt sind der SAP-Betrieb und die Infrastruktur auf zwei Dienstleister aufgeteilt. Bei der Ausschreibung wurden die Servicelevels von einem Black Belt anhand DFSS definiert.

Das bedeutet natürlich, dass auch aufseiten des Dienstleisters Methodenkompetenz vorhanden sein muss, und zwar nicht nur während der Ausschreibungsphase, sondern vor allem im laufenden Betrieb. Outsourcing-Partner, die komplett nach Six Sigma arbeiten, findet man jedoch kaum am Markt. Unsere Lösung: Bestimmte Mitarbeiter des Outsourcing-Partners in Schlüsselpositionen erhalten eine Six-Sigma- Kurzschulung durch Fachleute unseres Unternehmens, die sich an die Green-Belt-Ausbildung anlehnt.

Seit dem Wechsel verzeichnet Kautex eine Verbesserung der Servicequalität um 20 Prozent und zusätzlich positive Kosteneffekte. Die Vergleichbarkeit ist hier jedoch eingeschränkt, weil unter den neuen Bedingungen eine größere Zahl von Dienstleistungen eingekauft wird als zuvor.

Die Six-Sigma-Akzeptanz entwickelt sich trotz anfänglicher Skepsis in unserem Unternehmen sehr positiv. In der IT haben wir Mitte 2002 angefangen, neue Produkte und Services mithilfe von DFSS einzuführen. So wurde zum Beispiel ein SAP-Release-Wechsel mithilfe von NP&SI im Zeitplan und sogar unter den budgetierten Kosten abgeschlossen.

In Zukunft will Kautex dafür sorgen, dass 6 auch bei unseren Lieferanten und unseren wichtigsten Kunden eingesetzt wird. Das erste Customer-Partner- Projekt mit einem Team aus Kautex- und Kundenmitarbeitern haben wir gerade abgeschlossen.