Keine Sorge: Jetzt, wo das Jahr adventlich auszuklingen beginnt, soll es auch hier versöhnlich zugehen. Weil das bei einer Ranking-Vogelschau nicht in Gänze möglich ist, kommt die böseste Gemeinheit kurz und schmerzlos sofort: Die "worst region" hierzulande ist der Raum Cottbus, Finsterwalde, Forst in der Lausitz, Spremberg - also da, wo die Postleitzahl mit 03 anfängt. Die zweite Ausgabe des deutschen Hightech-Atlas von Spotfolio.com lässt daran keinen Zweifel. Nur 61 Hightech-Firmen gibt es dort. 99 sind es demgegenüber in der zweitschlechtesten Postleitzahlen-Leitregion, der Nummer 17 um Neubrandenburg, Greifswald, Neustrelitz und Usedom.
61 Firmen in Cottbus, 1579 in Berlins Innenstadt
Der Champion - die Berliner Innenstadt - hat laut Atlas hauptstadtwürdige 1579 Hochtechnologiefirmen. Auf 967 kommt der Hamburger Norden und Nordwesten, ergänzt um Norderstedt, Ahrensburg und Wedel. Mit 862 Firmen erreicht den dritten Platz München mit seiner Mitte und seinem Nordwesten; gefolgt sogleich vom eigenen Umland in Norden und Osten, zu dem in dieser Auswertung auch Ingolstadt zählt.
Ärgern darf man sich in Cottbus und Umgebung über den Spotfolio-Befund sicherlich. Zum Glück der Lausitz findet der Hightech-Atlas medial kein so lautes Echo wie das Städte-Ranking des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Instituts (HWWI) und der Hamburger Privatbank Berenberg, das die 30 größten Städte der Bundesrepublik hinsichtlich Standortfaktoren und somit Zukunftsfähigkeit bewertet. In Chemnitz erregte der letzte Platz in der Rangliste durchaus Unmut - und Widerspruch.
Kritik an Rankings
"Die Entwicklung der Stadt in den letzten Jahren nehme ich, im Gegensatz zu der aktuellen Studie, als sehr positiv wahr", zitiert die Freie Presse Tino Petsch, Gründer und Vorstand des Weltmarktführers für Lasermikrobearbeitungs-Anlagen 3D-Micromac. "Städte-Rankings wie das von HWWI/Berenberg haben keinen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit von Siemens in Chemnitz", beruhigt in eben jener Zeitung Elke Fuchs von Siemens, das erst im August 2014 ein neues Werkes für Kombinationstechnik mit 700 Arbeitsplätzen im Stadtteil Röhrsdorf eröffnete. Kritiker monierten unter anderem, dass sich der seit kurzem in Chemnitz zu beobachtende Umschwung bei der Bevölkerungsentwicklung in der Studie nicht ausreichend niederschlug.
Nun sind Städte-Rankings sicherlich nicht irrelevant für die Geschäftstätigkeit diverser Unternehmen, die aktuell Standort-Entscheidungen zu treffen haben. Vor allem dann, wenn sie IT-Bezug haben, dürften sie von grundsätzlichem Interesse für IT-Profis, IT-Firmen und - weil die IT bekanntlich immer wichtiger wird - Unternehmen aller möglichen Couleur sein.
Weil es aber inzwischen so viele Vergleichsstudien gibt und die digitale Welt sowieso in ständigem Fluss ist, muss man bei der Einordnung der süffigen Ergebnisse genau hinsehen - und sich Sollbruchstellen bewusst machen. Nur dann lohnt sich ein Blick auf diverse Rankings, die in den vergangenen Monaten erschienen sind.
Der Hightech-Atlas
Was genau steckt also hinter dem erwähnte Hightech-Atlas? Grundlage dafür ist die Plattform spotfolio.com, die Daten des Bundesanzeigers (ein Bekanntmachungsorgan der Bundesbehörden) verwendet und um Daten aus weiteren Quellen ergänzt. "Die Daten werden durch den Einsatz semantischer Crawler und verschiedener Aktualisierungsdienste stets up to date gehalten", heißt es in der Studie. Der Atlas liefert somit einen schlichten Überblick über die gezählten Unternehmen aus Bereichen wie Biotechnologie, Mikro- und Nanotechnologie, MedTech, FinTech oder auch Big Data. Mitte Juni wurden 55.590 Hightech-Unternehmen bundesweit gezählt. Aufgedröselt werden diese im Atlas nach Postleitzahl-Regionen.
Die Nase klar vorne hat hier also die vom scheinbar unendlichen Flughafenbau und anderen Desastern gebeutelte Bundeshauptstadt, die sich gleichzeitig für ihre boomende Gründerszene gerne selbst bauchpinselt. Sie tut das mit einigem Recht, wie der Atlas durchaus eindrucksvoll belegt. 461 kleinste und 1082 kleine Hightech-Firmen stellen eine stattliche Dimension dar; unerreicht sind zudem erkleckliche 321 Firmen, die Risikokapital im Rücken haben - alleine in der Innenstadt. Da kann sonst nirgendwo mitgehalten werden im Lande.
Große Unternehmen in Essen und Düsseldorf
Bei anderer Betrachtung aber sehr wohl, denn über die Platzierung entscheidet eben nur die schiere Gesamtzahl an Hightech-Unternehmen. Mittelgroße Firmen hat Berlins Innenstadt 29, was in diversen anderen Regionen überboten wird. Über 40 Hochtechnologie-Mittelständler gibt es sogar in den Postleitzahlgebieten 72 (Tübingen, Reutlingen, Sigmaringen, Freudenstadt, Balingen, Nürtingen) und 73 (Göppingen, Esslingen, Schwäbisch Gmünd, Aalen).
Jede der in den Top20 gelisteten Regionen hat zudem mehr große Firmen zu bieten als die Berliner City mit ihren sieben Stück. Im nördlichen und östlichen Münchner Umland und im Großraum Essen sind es mehr als 25, die Region um Düsseldorf hat 24.
Die strikte Auflistung nach Postleitzahl-Gebieten hat ebenfalls erkennbaren Einfluss auf das Ranking im Atlas. Der Raum München taucht zum Beispiel gleich viermal in den ersten 20 auf - auch mit dem südlichen und westlichen Umland auf dem achten Platz und mit dem westlichen, östlichen und südlichen Stadtgebiet auf Rang 19. Würde man das alles zusammenzählen, so läge auch nach absoluten Unternehmenszahlen München vor Berlin.
Mehr Fintechs in Berlin als in Frankfurt
Interessant auch mit Ausblick auf andere Ranglisten erscheint die Frage, wo im Hightech-Atlas die wirtschaftliche Boomtown Frankfurt am Main auftaucht. Man findet sie nämlich nur schwer. Die östliche Nachbarregion um Offenbach, Hanau und Aschaffenburg indes liegt mit 779 Firmen auf dem sechsten Rang insgesamt, darunter - anders als in der Hauptstadt - 23 große und 31 mittlere Firmen.
Auf Platz 16 liegt der Frankfurter Westen, allerdings im Zusammenspiel mit Wiesbaden, Rüsselsheim und Limburg an der Lahn. Die Frankfurter City wird nicht unter den ersten 20 Regionen gezählt, 559 Firmen sind aber immerhin für den achten Platz im nach Bevölkerungszahl abgestuften Ranking gut, das vom Hamburger Norden und Westen angeführt wird.
Frankfurt am Main eignet sich nun in besonderer Weise als Brennspiegel, für die unterschiedlichen Facetten der in 2015 veröffentlichen und meist oberflächlich wahrgenommenen Ranglisten. Das nicht berauschende Abschneiden im Hightech-Atlas etwa kann durchaus mit der inzwischen offensiv nach außen getragenen Selbstkritik gedeutet werden, in der dynamischen FinTech-Branche derzeit weit hinter Berlin herzuhinken. Man hat sich vorgenommen, schnellstmöglich nicht mehr fußlahm zu sein.
Städte-Ranking der Lebensqualität
Was ist ansonsten wissenswert im Hinblick auf Standortentscheidungen von Unternehmen und Freiberuflern - mit und ohne IT-Aspekt? Das Mercer-Ranking zur Lebensqualität von Städten in aller Welt wird in diesem Jahr angeführt von Wien, Zürich und Auckland, Vancouver liegt auf dem fünften Rang.
Deutsche Städte schneiden hervorragend ab: München ist Vierter, Düsseldorf Sechster, Frankfurt Siebter. Dieses Trio liegt in dieser Studie klar vor dem 14. Berlin, dem 16. Hamburg und dem - welch magische Zahl im Kessel - 21. Stuttgart.
Die - vor allem verkehrliche - Infrastruktur ist in Frankfurt bekanntlich ein Faustpfand des Wohlstands, dazu punktet man am Main IT-technisch seit Jahren mit dem DE-CIX als größten Internet-Knoten für weltweiten Datenaustausch.
Rankings nach Grad der Digitalisierung
Wie ist die Stadt angesichts dieser günstigen Faktoren aber nun im Vergleich zu anderen im Hinblick auf die Digitalisierung aufgestellt? Diesjährige Studien offenbaren Licht und Schatten. Einerseits ist Frankfurt in diesem Jahr als eine von zehn "eTowns" ausgezeichnet worden. Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln Consult GmbH (IW Consult) und Google ermitteln hierfür Digitalisierungsniveau und Digitalisierungsdynamik.
Andererseits ist Frankfurt die größte deutsche Stadt, die es nicht unter die ersten Zehn des Digitalisierungsrankings von PricewaterhouseCoopers (PwC) schaffte. Ein Digitalisierungschampion kann also zugleich dein Digitalisierungslooser sein - das sollte wissen, wer gelegentlich und zufällig auf aktuelle Ranking-Meldungen stößt.
PwC-Digitalranking für Kommunen
Zu erklären ist der Befund leicht. PwC und IW Consult haben Ranglisten zu völlig unterschiedlichen Dingen erstellt. Die einen betrachten, wie stark die Digitalisierung in der kommunalen Verwaltung ausgeprägt ist, die anderen, wie es um die digitalen Aktivitäten der Unternehmen bestellt ist.
"Um den aktuellen Stand der Kommunen in Deutschland in Sachen Digitalisierung zu ermitteln, haben wir gemeinsam mit der Universität Bonn mehr als 200 Kommunen befragt, mit 25 Digitalisierungsexperten gesprochen und die 25 bevölkerungsreichsten Städte Deutschlands hinsichtlich ihrer Digitalisierung bewertet", erläutert PwC sein Studiendesign. Die Studienergebnisse zeigten, dass noch nicht alle Kommunen damit begonnen haben, sich auf den Weg in die digitale Zukunft zu machen. "Vor allen bei den Online-Angeboten und der Breitbandversorgung besteht Nachholbedarf", so die Berater.
Städten fehlen Strategien für Digitalisierung
Zu Grunde liegt der Studie eine ganze Reihe von Indikatoren. Social Media-Aktivität, Fahrgastinformationssysteme und Online-Terminvereinbarungen sind inzwischen Standard und werden von allen 25 Städten angeboten. Aber nur 70 Prozent haben einen Kita-Navigator oder einen Online-Bürgerhaushalt, nur 40 Prozent einen Digitalisierungsbeauftragten beziehungsweise eine Digitalisierungsstrategie und lediglich in fünf dieser Städte haben mehr als 95 Prozent der Bürger eine schnelle Breitbandverbindung.
Wuppertal in den Top 10
Basierend auf diesen Indikatoren konnten die Kommunen maximal 20 Punkte erreichen. Sieger in dieser Hitliste ist Köln mit 16,4 Punkten, dahinter erreichen Hamburg, München und Bonn Werte über 15. Das Ranking setzt sich fort mit Düsseldorf, Leipzig, Berlin, Wuppertal, Dresden und Stuttgart.
"Google und das IW Köln zeichnen mit der Unterstützung des Deutschen Städte- und Gemeindebundes dieses Jahr bereits zum vierten Mal die zehn digitalsten Städte Deutschlands mit dem eTown Award aus", erläutern die Verantwortlichen das gänzlich anders gestrickte Digitalisierungsranking. Bewertet werden zwei Dinge:
1. Digitalisierungsniveau: Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln Consult GmbH (IW Consult) führt dazu eine Umfrage in Unternehmen durch. Hierbei werden die Betriebe nach der Digitalisierung ihres Geschäftsmodells in einzelnen Bereichen sowie nach der Bedeutung des Internets für ihre Auslandsaktivitäten befragt.
2. Digitalisierungsdynamik: Auswertung der Nutzungszahlen von Googles Online-Marketing-Plattform AdWords - auf diese Weise lässt sich ermitteln, in welchen deutschen Städten die Unternehmen besonders viele Besucher aus dem Ausland auf ihre Seiten führen und ein besonders starkes Wachstum erzielen.
Eine Parallele gibt es zum Hightech-Atlas: Auch bei den eTowns spielt die Postleitzahl eine Rolle, allerdings auf andere Weise. Gekürt wird nicht ein nationaler Sieger, sondern es gibt in jeder großen Postleitzahlenregionen einen Gewinner, also jährlich zehn Stück.
Die besten eTowns
In diesem Jahr heißen die eTowns: Dresden, Schwerin, Landkreis Harburg, Bielefeld, Düsseldorf, Koblenz, Frankfurt am Main, Landau in der Pfalz, Landkreis Oberallgäu und Neumarkt in der Oberpfalz.
Alles in allem zeigt der Blick in einen Teil der Rankings, die im Jahr so erschienen sind, ein abwechslungsreiches Bild. Die meisten deutschen Städte und Regionen haben offensichtlich noch die eine oder andere Hausaufgabe zu lösen, aber auch vermeintliche Loser wie Chemnitz haben allen Unkenrufen zum Trotz ihre Potenziale. Die nationalen Champions beim Versuch einer Gesamtgewichtung erscheinen überraschend klar: München dürfte alles in allem Spitzenreiter sein, gefolgt von Berlin.
Ranking von A.T. Kearney
Dafür sprechen auch zwei weitere Rankings: A.T.Kearney ermittelt jährlich und weltweit, wie global Städte in den Bereichen Geschäftsaktivität, Humankapital, Informationsaustausch, kulturelle Erfahrung und politisches Engagement aktuell aufgestellt sind und wie es mit den Zukunftsperspektiven aussieht. Im "Global Cities Index" führt New York vor London und Paris; im "Global Cities Outlook" liegt San Francisco vor London und Boston vorne. München ist Siebter bei den Zukunftsaussichten; Berlin platziert sich als 17. und 13. sogar in beiden Listen untern den besten 25.
Die eingangs erwähnte Studie vom HWWI und von Berenberg kennt selbstverständlich nicht nur einen Verlierer. Im Gesamtranking - zusammengesetzt aus dem Trend-, Demografie- und Standortindex - liegt München vor Berlin ganz vorne. Es folgen Leipzig, Frankfurt am Main und Stuttgart. Ach so, adventlichen Trost sollte es ja noch für die Lausitz geben. Nun: Cottbus war immerhin eTown im Jahr 2014.