Der Alltag der Menschen in den Städten und Gemeinden ist digitalisiert: Wartende an Haltestellen oder in Bussen und Bahnen des öffentlichen Nahverkehrs verbringen ihre Zeit mehrheitlich in der Online-Welt. Und zu Hause in den Familien sind internetfähige Endgeräte im Dauereinsatz.
Die kommunalen Versorgungs- und Dienstleistungsunternehmen haben auf den Grad der Digitalisierung ihrer Endkunden bislang kaum reagiert. Intelligente Dienste fehlen. Das Internet der Dinge hat weder in Straßen, Laternen, in Bussen und Bahnen oder in Kraftwerken großflächig Einzug gehalten. Dies liegt vor allem an dem Druck, der sich in den vergangenen Jahren aus Wettbewerb und Regulierung ergeben hat. Die meisten Stadtwerke befinden sich in einer Phase der Restrukturierung, die Mitarbeitern und Führungskräften viel abverlangt. Zeit und Mittel für Zukunftstechnologien und (digitale) Strategieprozesse bleibt da kaum.
Für die Digitalisierung von Städten und Gemeinden sind Stadtwerke jedoch zumeist das Vehikel für die Umsetzung. Als Anteilseigner sind Bürgermeister, Stadt- oder Gemeinderäte im Aufsichtsrat vertreten. Sie haben zwar das Interesse daran, der Wirtschaftlichkeit der Stadtwerke durch Restrukturierungen zu erhöhen. Doch auf der anderen Seite benötigen sie rasch Vorzeigeprojekte, um die Zukunftsorientierung der Politik öffentlichkeitswirksam zu beweisen, den Megatrend "Digitalisierung" zu bedienen sowie die Standortattraktivität zu erhöhen.
Schritt I: Interessen sondieren, Wissen aufbauen und Vision entwickeln
Die Entwicklung einer Strategie zur Digitalisierung von Stadtwerken beginnt daher mit der Sondierung der Interessen der Anteilseigner. Welche Rolle soll das kommunale Unternehmen bei der Digitalisierung der Stadt einnehmen? Was sind die Erwartungen des Bürgermeisters sowie der relevanten, lokalen politischen und medialen Meinungsführer?
Bei diesem Vorgehen wird man allerdings schnell feststellen, dass die kommunalen Anteilseigner keine klare und einheitliche Vorstellung von der Digitalisierung haben. In den meisten Städten und Gemeinden gibt es keine gemeinsam geteilte digitale Vision.
Das Stadtwerk muss daher den Anspruchsgruppen zunächst die Weitsicht ermöglichen und ein Zukunftsbild des digitalen Zeitalters entwickeln, das fasziniert und greifbare Chancen für die Stadt sichtbar macht. Durch diese Aufgabe kann das Stadtwerk den Handlungsrahmen für die digitale Transformation von Beginn an erweitern.
Dazu bieten sich Learning Journeys zu branchen-internen und -übergreifenden Startups, der fachkundige Austausch mit Experten und "digitalen Pionieren", Szenario-Workshops, Vorträge sowie die Bereitstellung von Studienergebnissen aus dem internationalen Digital-Urban-Innovation-Scouting (strategischer Foresight) an.
Neben den externen Stakeholdern des Stadtwerks ist es ebenfalls erforderlich, die internen Anspruchsgruppen am Wissensaufbau zu beteiligen. Geschäftsführer und Führungskräfte brauchen Unterstützung, um sich der Digitalisierung annähern und sich mit Vorgehensweisen und Geschäftsmodellen anzufreunden, die teilweise fernab der klassischen Managementpraxis sowie der bisherigen Wertschöpfung liegen.
Vor allem die Learning Journeys, verbunden mit Unterbrechungen zum intensiven Durchdenken und Verstehen, können dabei als besonders wirksam erachtet werden. Abschließend ist es wichtig, das gemeinsame Zukunftsbild im Rahmen eines Workshops an die Wand zu werfen (Digital Public Utility Canvas), um die gemeinsame Vorstellung zu definieren, zu teilen und Projekte entwickeln zu können, die der Verwirklichung des Bildes Rechnung tragen.
Schritt II: Erfassung des digitalen Reifegrades von bestehenden Projekten
Was haben die Fachbereiche schon an Digitalem in der Umsetzung oder in der Pipeline? Das ist in dieser Phase die Leitfrage. Oftmals sind es externe Beratungen, die gebeten werden, den digitalen Ist-Zustand zu erfassen.
Die Ergebnisse des "Digital Readiness-Check" werden in einem Top-Management-Meeting präsentiert. Der externe Berater nimmt eine Bewertung auf Basis eines internationalen Benchmarks vor. Dabei kann es sein, dass die laufenden oder geplanten Projekte zur Digitalisierung aus den Bereichen eher Updates des Bestehenden als Innovationen sind, welche spürbare Effizienz und Wachstumspotenziale ermöglichen oder Disruptionen abwehren könnten (Stichwort Aufbau von digitalen Ökosystemen im regionalen Raum).
Hier zeigt sich wieder, wie wichtig es ist, in die Phase I Zeit und Geld zu investieren. Denn haben die zuständigen Projektleiter der Bereiche eine gemeinsame Vorstellung von der Digitalisierung (dem Soll), sind sie selbst in der Lage, den gemessenen Ist-Zustand selbstkritisch zu kommentieren und bereits Potenziale beziehungsweise Lösungswege aufzeigen. Auch die Ansprüche aus der Politik und seitens des Geschäftsführers/Vorstands sind ihnen bekannt.
Schritt III: Klassifizieren, Optimierung verfolgen und Wildcards entwickeln
Der Verantwortliche der digitalen Strategieentwicklung - in den Stadtwerken oftmals ein Stabsmitarbeiter - erstellt eine mit den Beteiligten abgestimmte Klassifizierung der bestehenden Projekte, die sich aus der Vision ableitet. Im Idealfall existieren bereits Vorhaben zur Digitalisierung mit einem Reifegrad, der es erlaubt, darauf aufbauen zu können. Für diese Projekte gilt es, nach Optimierungspotenzialen zu suchen.
Dennoch muss beachtet werden, dass der Digitalisierungsgrad nicht gleich dem Innovationsgrad entspricht. So können Prozesse vollständig digitalisiert werden (end-to-end), dennoch leisten sie keinen Beitrag für zusätzliche Wertschöpfung oder für die Außenwahrnehmung und Interessen der (politischen) Anteilseigner.
Die Optimierungsprojekte gilt es zwar zu verfolgen, dennoch sollten parallel dazu sogenannte Wildcards entwickelt werden. Wildcards sind mehr oder weniger der "Rock 'n' Roll" der Digitalisierung. Sie beinhalten zukunftsweisende Leuchtturmprojekte, die fernab der tradierten Geschäftsfelder liegen können und Kooperationen mit neuen, auch branchenfremden Partnern gestatten. Es sind disruptive Projekte, für die Business Cases kaum darstellbar sind und eine Trial und Error-Vorgehensweise erfordern.
Für die Entwicklung und Ausarbeitung von Wildcard-Projekten bietet sich die Zusammenarbeit mit Startups an. Das Risiko kann minimiert werden und vorzeigbare Ergebnisse sind mit geringem Mitteleinsatz meist binnen zwei bis drei Monaten "anfassbar" (Quick-Win-Projekte). Die Vorteile: Die Politik erhält eine Plattform, um Zukunftsfähigkeit zu beweisen, der Geschäftsführer des Stadtwerks belegt seine Leadership-Qualität und bekommt von den Anteilseignern die "Licence to Operate" für die weitere digitale Transformation.
Doch wie kommt man an die Ideen zur Optimierung bestehender Projekte oder zur Entwicklung von Wildcards? Einerseits durch die Inspiration von Startups, die man idealerweise bereits im Vorfeld auf der Learning Journey kennengelernt hat. Andererseits durch ein Technologie- und Innovationsscouting für den jeweiligen Bereich. Ebenso wichtig wie hilfreich ist es, das Wissen der Führungskräfte und Mitarbeiter nutzbar zu machen.
Dafür bieten sich die Kreativmethoden des Silicon Valley an: Elemente des Design Thinking, Working-Out-Loud oder die Business Model Canvas sollten zum Einsatz kommen. Diese Ansätze und ihre Tools stellen vor allem das Wünschbare sowie die kreative Ideengenerierung in den Mittelpunkt und fokussieren den Kundennutzen - wobei der Kunde auch ein Mitarbeiter sein kann.
Schritt IV: Unternehmenskultur und Changeprozess erneuern
Die Auswirkungen digitaler Vorhaben auf Führung und Zusammenarbeit gilt es umfassend zu durchdenken. Bereits die Phase der Entwicklung der digitalen Projekte erfordert bereichsübergreifendes Denken und Handeln. Dies ist in der Wahrnehmung vieler Führungskräfte mit dem Verlust an Einflussnahme verbunden. Zudem entstehen neue Abstimmungsschleifen, die eingeübte informelle Netzwerke verändern. Abwehrhaltungen sind programmiert.
Die Digitalisierung wird zudem die IT-Abteilungen stark beanspruchen. Diese werden künftig viel stärker mit den jeweiligen Bereichen, sowohl als Berater wie auch als Umsetzungseinheiten, zusammenarbeiten müssen. Die Frage ist, ob in Stadtwerken die IT bereits an neuen datenbasierten Produkten und Geschäftsmodellen mitarbeitet und als "interne Beratung" bereichsübergreifend fest integriert ist. Falls nicht, ist ebenfalls Zeit in die Veränderung der Unternehmenskultur zu investieren.
Neben diesen genannten Punkten, gibt es zahlreiche weitere Baustellen für die Erneuerung der Unternehmenskultur. Dabei ist es erforderlich, mit besonderem Fingerspitzengefühl die Belegschaft an das Thema der Digitalisierung heranzuführen. Denn in vielen Stadtwerken nehmen Mitarbeiter eine Art "Zurück in die Zukunft" wahr, wenn sie am Feierabend mit hochmodernen Endgeräten ihre privaten Angelegenheiten end-to-end erledigen, während untertags die "digitale Steinzeit" vorherrscht.
Der Change Prozess ist daher kein Vermittlungs- sondern ein Mitgestaltungsprozess. An den in Phase III dargestellten Innovationsformaten beteiligen sich Mitarbeiter. Im Idealfall gibt es ein fest installiertes Innovation Lab, in dem Freiwilligenteams (Digital Pilot Groups) an Zukunftsthemen arbeiten können. Führungskräfte und Mitarbeiter bekommen außerdem - wie auch das Top-Management - verschiedene Gelegenheiten, das digitale Zeitalter zu erkunden und zu verstehen. Dazu bieten sich Vortragsreihen durch lokale Startups und Experten, Fed-Ex-Days und weitere involvierende Lern- und Mitgestaltungseinheiten an.
Ziel sollte es sein, die Digitalisierung als einen gemeinsam zu gestaltenden Weg, der durchaus eine Durststrecke sein kann, erleb- und vorstellbar zu machen. Es ist ein Weg, der im Idealfall nicht endet (und daher den Vorwurf "der nächsten Sau, die von der Führung durchs Dorf getrieben wird" nicht bestätigt), sondern kontinuierliche Erneuerungsfähigkeit zum Ziel hat. Change macht sich quasi - wie bei Google & Co. - überflüssig.
Schritt V: Das digitale Manifest
Die Projektideen der Bereiche werden im Rahmen von mehreren Top-Management-Workshops und teilweise unter Beteiligung von externen Experten priorisiert und ausgewählt. Diese Meilenstein-Meetings bereitet der Verantwortliche für die digitale Strategie vor. Die Komplexität der Vorbereitung ergibt sich aus den jeweiligen Einstellungen der Teilnehmer zu dem Thema und das Entscheiden über Budgets, sodass die Workshop-Konzeption viel Zeit in Anspruch nimmt.
Ziel der Workshops ist es, ein digitales Manifest zu verabschieden, mit dem die Geschäftsleitung/der Vorstand auf den Aufsichtsrat zugehen kann. In diesem Dokument sind sowohl die digitale Vision als auch ausgewählte Projekte zur Digitalisierung und zur Verankerung von neuen Formen von Führung und Zusammenarbeit beschrieben. Insbesondere den kommunalen Anteilseignern soll vermittelt werden: "Das Stadtwerk ist bereit und macht sich auf den Weg. Es will die digitale Zukunft der Stadt und Gemeinde aktiv unterstützen und mitgestalten sowie ein moderner Arbeitgeber sein."
Um diese Wirkung zu erzielen und die Licence-to-Operate zu erhalten, ist es erforderlich, Projekt-Highlights vorweisen zu können, welche nicht nur die interne Prozessoptimierung, sondern die externe Wahrnehmung berücksichtigen. Denn das Manifest hat in erster Linie Symbolkraft.
Der Verantwortliche der digitalen Strategie muss dafür die Sprache und die Denkweisen der Anteilseigner berücksichtigen, wenn er das Manifest zu Papier bringt.
Schritt VI: Risikominimierung
In der weiteren Ausarbeitung der Projekte (wie der Erstellung von Business Cases - sofern möglich) oder der Pilotisierung von ersten Leuchtturm-Maßnahmen ist die Ungewissheit bei der digitalen Transformation bestimmend. Wie für andere Unternehmen, so gibt es auch für Stadtwerke und ihre Projekte in der Regel keine Schablone, die ihnen angibt, wie das Vorhaben erfolgreich sein wird. Das Scheitern und "Daraus-Lernen" sind daher fester Bestandteil des digitalen Manifests.
Dennoch ist auch klar, dass Stadtwerke mit den Geldern ihrer Kunden und Anteilseigner kein "Spielgeld" haben und daher nicht wie Venture Capital-Institutionen vorgehen können. Bei aller Risikobereitschaft müssen sie einen Prozess der Risikominimierung installieren - das Digital Transformation-Controlling.
Der Verantwortliche der digitalen Strategie konfiguriert den Controlling-Prozess. Dieser kann als zentrale Instanz ein bereichsübergreifendes Gremium beinhalten, das fachliche Expertise einbringt und die verschiedenen Projektvorhaben regelmäßig kritisch prüft. Dem Gremium ist zudem ein Soundingboard angeschlossen. Dieses Board besteht aus externen Experten von Start-ups, der Wissenschaft, der Regulation sowie digitalen Meinungsführern. Es berät das Controlling-Gremium und erstellt Gutachten.
Das Digital Transformation-Controlling hat auch die sogenannte Pollination der verschiedenen Bereiche zu leisten: Erfahrungswerte, die gesammelt werden, stellt es anderen Projektteams zur Verfügung.
Fazit
Das Besondere bei der Entwicklung einer Roadmap zur Digitalisierung von Stadtwerken ist die Vorstellungskraft, die politische Dimension und die regionale Verantwortung. Sie bestimmen die Haltungen von Akteuren. Um möglichst weitreichende Schritte gehen zu können, ist es daher erforderlich, die Strategie sehr durchdacht, sehr kommunikativ und möglichst risikominimierend zu gestalten. Die Kooperation mit Startups ist dabei sowohl für die Veränderung von Haltungen als auch für die rasche Realisierung von Digitalisierungsprojekten mit Leuchtturmcharakter ein wichtiger Schritt.