DER PERFEKTE AUSSENDIENSTLER arbeitet rund um die Uhr, schläft nie, vergisst nichts und meldet sich auf die Sekunde genau, wie man es mit ihm abgesprochen hat. Einen solchen Mitarbeiter sucht man unter Menschen natürlich vergebens – nicht aber unter Software-Agenten. Die kleinen Programme erledigen für ihre Auftraggeber selbstständig die verschiedensten Aufgaben; sie sammeln Informationen und organisieren Datenbanken. Die Autonomie, mit der die Agenten fortlaufend Entscheidungen treffen, auf Veränderungen in ihrer Umgebung reagieren und nach bestimmten Lösungen suchen, unterscheidet sie von herkömmlicher Software – und macht sie zu perfekten Einkäufern, wie IBM-Wissenschaftler herausgefunden haben.
Die Forscher des IBM Institute for Advanced Commerce im Thomas J. Watson Research Center in Hawthorne, New York, ließen erstmals sechs Einkaufsagenten gegen sechs Menschen antreten. Den Experimenten lagen Transaktionsmodelle zugrunde, die auch beim realen Handel mit Waren, Rohstoffen oder Wertpapieren gelten. Gedealt wurde in Echtzeit; allen Teilnehmern standen dieselben Informationen zur Verfügung. Die Agenten setzen sich in jedem direkten Vergleich durch und erzielten dabei Ergebnisse, die im Schnitt um zwanzig Prozent besser waren als die ihrer menschlichen Konkurrenz. Sie starteten ihre Aktionen schneller und reagieren rascher auf die jeweilige Marktsituation.
Fast alle Anbieter von Business-to-Business-Software haben vor diesem Hintergrund Agentenfunktionen in ihre Produkte integriert. In der Software von Ariba, die unter anderem bei BMW und Swissair im Einsatz ist, arbeiten virtuelle Einkäufer etwa im Modul für Online-Auktionen und in dem für die strategische Suche von Beschaffungsquellen. „Die Kunden haben den Wunsch nach automatisierten Einkaufshelfern, die rund um die Uhr arbeiten und nach voreingestellten Parametern wie Qualität oder Preis Aktivitäten einleiten, an uns herangetragen“, erklärt Rolf Weiland, Marketing-Direktor bei Ariba Deutschland, „und wir haben dem Rechung getragen.“
Auch als Kundenberater im Einsatz
Ihre Mobilität, ihre Reaktionsfähigkeit und Unermüdlichkeit machen Software-Agenten nicht nur zu talentierten Einkäufern. Die Siemens-Tochter Automation & Drive (A&D) in Erlangen setzt beispielsweise zur Beantwortung von Kundenanfragen auf ein entsprechendes System. Die Industriesteuerung Simatic ist das bekannteste ihrer 80000 Produkte, die unter anderem in Fertigungsstraßen zum Einsatz kommen. Mit dem wachsenden Kundenstamm und zunehmend komplexeren Produkten stieg die Zahl der technischen Probleme. Die Support-Kosten nahmen zu, die Flut von Hotline-Anrufen überlastete die Experten. Deshalb führt heute der im letzten Jahr implementierte „Simatic Knowledge Manager“ (SKM) Internet-Nutzer durch das Service-Angebot des Unternehmens. Das teilautonome Programm versteht auch ungenaue Anfragen und sucht von sich aus in den technischen Dokumentationen nach Lösungen. Die Entlastung der Siemens-Mitarbeiter hat sich bereits bezahlt gemacht: In zwölf Monaten sparte das Unternehmen nach eigenen Angaben drei Millionen Euro.
Der Begriff des Software-Agenten wurde Mitte der achtziger Jahre in der Forschung zur künstlichen Intelligenz geprägt. Mit Hilfe einfacher Algorithmen, die auf Informationen in ihrer Umwelt reagieren, konnten Roboter am Massachusetts Institute of Technology (MIT) erstaunlich schnell relativ komplexe Aufgaben erledigen, ohne dass die Programmierer sie genau anweisen mussten. Im Rahmen von Wenn-dann-Mustern entschieden sie selbst, wie die Vorgaben umzusetzen seien. Heute können sich die meist auf dem plattformunabhängigen Java-Codes basierenden Programme im Intranet und Internet von Rechner zu Rechner bewegen, um Aufgaben zu erledigen. Sie feilschen für ihre Auftraggeber auf Auktionsseiten wie E-Bay oder suchen für ihre Absender in den Datenbanken von Online-Shops nach Schnäppchen. Doch vor allem der Einsatz von Agenten in Unternehmensanwendungen sorgt für die immer raschere Verbreitung dieser Technologie: Auf 112,3 Millionen Dollar bezifferten die Analysten von IDC den Markt für Software-Agenten für das letzte Jahr; 2004 soll er auf 873,2 Millionen anwachsen. Kurt Kammerer, Geschäftsführer des Agenten-Software-Anbieters Living Systems: „Vor dem Hintergrund der sich sehr schnell verändernden Geschäftsumfelder braucht man kontextsensitive Automaten. In allen Situationen, in denen zeitkritisch nach Bewertung zahlloser Parameter entschieden werden muss, bieten Software-Agenten Vorteile.“
Software verteilt die Arbeit flexibel
Von der Möglichkeit, dass die Agenten allein Geschäftsvorgänge – vom Einkaufen über das Organisieren der Logistik bis zur Abrechung – abwickeln, ist die Technologie allerdings noch weit entfernt. Dafür sind die selbstständigen Helfer nicht nur für Anwendungen auf der Benutzeroberfläche geeignet, sondern auch als Bausteine für flexible IT-Architekturen. Agentenorientierte Systeme seien leistungsfähiger, flexibler und robuster als konventionelle Software-Systeme, sagt Kammerer. Software-Agenten kümmern sich selbst um die Lastenverteilung auf Systeme, während früher von Hand umkonfiguriert werden musste. Fällt ein Agent aus, übernehmen andere seine Aufgaben; ist eine Funktion überlastet, reproduziert sie sich selbst.
Inzwischen arbeiten viele Unternehmen mit komplexen Verbünden von Agentenmodulen, den so genannten Multi-Agenten-Systemen. Living-Systems-Technologie ist etwa die Grundlage des Transportportals Portivas, eines vier Millionen Euro teuren Projekts der Deutschen Post World Net. Ihre Einkäufer erwerben Laderaum bei Frachtführern in ganz Europa. Bisher wurden diese Aufträge per Telefon oder Fax verhandelt und vergeben. „Die Preisfindung dauerte oft Tage“, so Thomas Ruffing, Geschäftsführer des Bereichs B2B-Portale bei der Post. Mittelfristig will die Post über Portivas die gesamte europäische Fracht in den Bereichen Brief, Express und Logistik - und damit vor allem von Danzas – online effizienter und billiger vergeben. Seit Mitte September wurden die rund 6000 Spediteure, die heute mit der Post zusammenarbeiten, für den Start der Plattform im Oktober registriert. „Durch die Migration auf das Medium Internet rechnen wir mit Einsparungen von rund zwanzig Millionen Euro pro Jahr nach Kompletteinführung des Systems“, sagt Ruffing.
Die besseren Teamworker
Dabei spielen die Agenten eine zentrale Rolle. Sie stecken bei Portivas unter anderem im so genannten Spot-Modul: In dieser dynamischen Datenbank werden Laderaumnachfrage und kurzfristig frei werdende Kapazitäten zusammengeführt. Die Agenten arbeiten als automatisierte Fracht-Broker, die laufend Ladungsaufkommen und Lkw-Flotten, Staus und Wetter berücksichtigen. Gerade bei so dynamischen Prozessen zeigt sich die Stärke der Software-Module, die als Team in einer Umgebung mit variablen Einflüssen einen besseren Überblick haben als jeder Disponent aus Fleisch und Blut.
Agenten im Krankenhaus
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) lotet in einem Projekt an der Berliner Charite Potenzial und Grenzen der Agententechnologie aus. „Wir haben Informationsflüsse für Notfallpatienten – von der Aufnahme über die Anforderung von Laborwerten und Befunden bis zur Organisation der Anästhesie - aufgezeichnet und entwickeln jetzt Aufgaben für Agenten“, erklärt Charite-Mediziner Holger Köth. Bisher ist der Informationsfluss im Notfall von Medienbrüchen geprägt: Ärzte werden von Schwestern mündlich gebrieft, über das Telefon alarmiert oder fordern Laborwerte per Fax an. In Zukunft sollen Software-Agenten die Mediziner bei diesen Zeit raubenden Prozessen entlasten. Noch fehlen flächendeckend portable PCs, auf denen die Beteiligten ablesen können, welche Informationen die Agenten zusammengetragen haben. „Aber das Krankenhaus als verteiltes System ist optimal für Agentensysteme geeignet“, sagt Köth. „Agenten wissen immer genau, wer sie losgeschickt hat und wo sie hin sollten. Dass Faxe verschwinden, gibt es dann nicht mehr.“