Analoger Betriebsfunk ist ein Auslaufmodell. Auf dem Gelände vieler Firmen verrichten veraltete Systeme die Funkversorgung: Der Pförtner koordiniert über ein großes Schaltpult den Werkschutz, das Schutzpersonal spricht über anfällige Analogfrequenzen miteinander.
Die oft mehr als 20 Jahre alten Anlagen entsprechen nicht mehr den Anforderungen: Kosten für Energie und Instandhaltung der alten Anlagen steigen fortlaufend, die Teilnehmeranzahl lässt sich häufig nicht mehr erweitern, Komfort und Handhabung lassen zu wünschen übrig. Vor allem die mangelnde Abhörsicherheit und IT-Integrationsfähigkeit macht Unternehmen zunehmend zu schaffen. "Zwar reichen die analogen Endgeräte vielfach noch für Sprache und für einfache Datenübertragung ohne Anspruch an Sicherheit", so Jan Steuer, Geschäftsführer der Garbsener IuK-Beratungsgesellschaft DOK Systeme. "Häufig steckt jedoch ein erheblicher Instandhaltungsaufwand hinter dem Betrieb der alten Technik."
Der Bündelfunk Tetra (Terrestrial Trunked Radio) soll den Analogsystemen ein Ende bereiten. Der vom europäischen Normierungsinstitut ETSI standardisierte Bündelfunk für geschlossene Nutzergruppen bietet vieles von dem, was dem Analogfunk fehlt: Sicherheit, Komfort sowie Sprach- und Datenkommunikation. Das Kölner Energieversorgungsunternehmen GEW Rhein-Energie war von der Funktechnologie überzeugt: "Tetra-Bündelfunk war die einzige Technologie im Ausschreibungsverfahren, die alle Anforderungen für unsere Bedürfnisse erfüllt hat", sagt Jost Hermanns, Leiter des IT-Produktionszentrums bei der GEW Rhein-Energie.
Mehrere Gründe veranlassen Unternehmen wie GEW Rhein-Energie zum Umstieg auf Tetra. Ein erster Pluspunkt: Schnelligkeit und Sprachqualität. Tetra verbindet per Tastendruck Gesprächspartner innerhalb von Millisekunden - in kritischen Situationen für den Werkschutz ein entscheidender Faktor. Die digitale Sprachübertragung sorgt nicht nur für eine glasklare Sprachqualität, sie unterdrückt auch Nebengeräusche wie Straßen-, Triebwerks- oder Baustellenlärm.
Außerdem überträgt Tetra im Gegensatz zu GSM Daten und Sprache gleichzeitig. Wie im Internet werden die Daten im TCP / IP-Format transportiert. Werkseinsätze können so telefonisch besprochen und parallel Positionen und Fahrzeugzustände übertragen werden. Funkchips an Gefahrgut-Containern geben über Tetra an, wo sich die Container gerade befinden oder in welchem Produktionsprozess sie stecken.
Tetra macht Funk abhörsicher
Ein dritter Punkt: In kritischen Lagen müssen mehrere Einsatzkräfte gleichzeitig informiert werden können - etwa dann, wenn eine nicht berechtigte Person ins Firmengelände eindringt. Der Verbindungsaufbau zu mehreren Teilnehmern - im Fachjargon Punkt zu Mehrpunkt-Kommunikation - ist bei GSM nur umständlich über Makeln möglich. Bei Tetra genügt ein Tastendruck, um 20 Gesprächspartner gleichzeitig zu alarmieren.
Wichtigster Faktor für Tetra ist bei vielen Anwendern die Sicherheit: Um zu verhindern, dass der Funkverkehr von Betriebsfremden belauscht wird, können die Sprachverbindungen bei Tetra abhörsicher aufgebaut werden. Chiffrierte Luftschnittstellen garantieren die Sicherheit, die bei Bedarf durch verschlüsselte Signale vom Absender zum Empfänger ergänzt werden.
Organisationen mit Sicherheitsaufgaben in Großbritannien, Griechenland, Polen, den Niederlanden und Belgien nutzen das Funksystem schon länger. Inzwischen verrichtet der Digitalfunk auch in anderen sicherheitskritischen Bereichen seine Dienste. Bei den Olympischen Spielen in Athen wurde Tetra ebenso eingesetzt wie bei den Pariser Flughäfen und Verkehrsbetrieben. Weltweit sind seit der Einführung 1994 laut John Cox, CEO der "Tetra MoU Association" (MoU: Memorandum of Understanding), über 550 Tetra-Netze in 65 Ländern aufgebaut worden.
Einen wichtigen Grund für den internationalen Erfolg von Tetra sieht Cox darin, dass die Funktechnik bis hin zu den Endgeräten normiert ist. Standardisierung bedeutet Produktvielfalt, Wettbewerb und bringt Vorteile für die Anwender: Sie können zwischen verschiedenen Tetra-Anbietern wählen. Dies ist beim Konkurrenzprodukt Tetrapol, einem proprietären Firmenstandard der französischen EADS Telecom, nicht der Fall.
Die wichtigsten Anbieter von Tetra-Netzinfrastruktur sind Rohde & Schwarz, Frequentis, OTE sowie die Marktführer Nokia und Motorola. Technisch besteht zwischen den einzelnen Systemen kein wesentlicher Unterschied. Sehr breit ist das Angebot an Endgeräten. Im Sortiment findet man Handys für die Hemdtasche, Handfunkgeräte, Fahrzeugfunkgeräte und Dual-Mode-Geräte, die sowohl in Tetra- als auch in normalen Mobilfunknetzen arbeiten.
In Deutschland ist die Investitionsbereitschaft für Tetra noch verhalten. Für IuK-Berater Jan Steuer sind die Unternehmen verunsichert, da Tetra und Tetrapol den Markt mit geschicktem Marketing und guten Angeboten umwerben. Ein Teil der Energieversorger ist von GSM zum Digitalfunk umgeschwenkt, musste aber feststellen, dass nicht alle Anwendungsfälle abgedeckt werden. "Zum Beispiel gibt es bei Netzüberlastung im öffentlichen Mobilfunknetz keine erhöhten Prioritäten für Firmenkunden", sagt Steuer. "Für Einsäte wie bei einem Gas-Unfall besteht immer die Gefahr, dass eine Verbindung zu den Einsatzzentralen nicht hergestellt werden kann."
Als größeres Unternehmen setzt Tetra derzeit nur Degussa ein. VW und BMW sind gerade in der Ausschreibungsphase, wobei BMW in Kürze entscheiden wird. Hinzu kommen Verkehrsbetriebe wie die BVG Berlin und der Verkehrsverbund Rhein-Sieg, die Tetra zur Betriebskoordination und für ihre Einsatzkräfte nutzen.
Derzeit bedeutendstes deutsches Tetra-Projekt ist das Münchner WM-Stadion. Ordnungskräfte, private Sicherheitsdienste und das Stadionmanagement sollen dort künftig den digitalen Betriebsfunk nutzen. Bei dem 500 000-Euro-Projekt plant und baut T-Systems das Netz auf, während Motorola die Systembausteine liefert.
Schub durch Sicherheitsbehörden
Den großen Schub für Tetra dürfte der Aufbau eines Digitalnetzes für die deutschen Sicherheitsbehörden bringen. Ein digitales System soll die 30 Jahre alten analogen Funksysteme von Polizei, Feuerwehren und anderen Sicherheitskräften ersetzen. Im Februar 2005 startete der Bund die Ausschreibung für die "Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben", kurz BOS. Nach monatelangen Streit zwischen Bund und Ländern über die Finanzierung soll das drei Milliarden Euro teure Funknetz nun bis Ende 2010 stehen.
Zur Auswahl stehen neben Tetra das französische Tetrapol und ein BOS-Netz von Vodafone innerhalb des herkömmlichen GSM-Netzes. Fachleute räumen den Tetra-Konkurrenten wenig Chancen ein. Während Tetrapol nicht kompatibel mit Systemen anderer Hersteller ist, besitzt GSM-BOS noch technische Mängel wie lange Aufbauzeiten.
Ein erstes Angebot von T-Systems für den Aufbau der Infrastruktur lag bei sieben Milliarden Euro, die neue abgespeckte und nicht mehr flächendeckende Version kostet den Steuerzahler jetzt rund drei Milliarden Euro. Erhält Tetra-BOS den Zuschlag, werden T-Systems und Motorola das Netz in den kommenden vier Jahren aufbauen und betreuen.
Tetra-Dienstleister und -Hersteller versprechen sich vom BOS-Digitalfunknetz ein Ende des Investitionsstaus. Für Axel Birkholz, Segmentdirektor Innere & Äußere Sicherheit und Tetra-Experte bei T-Systems, öffnet das Großprojekt Digitalfunk BOS Schleusen für Investitionen auch in Unternehmen: "Werden hier entsprechende Rahmenbedingungen für den digitalen Bündelfunk geschaffen, gibt dies immense Impulse bei Wettbewerb und Preisen. Wenn eine Million Einsatzkräfte der Sicherheitsbehörden Tetra nutzt, hat das auch positive Auswirkungen auf den Corporate-Bereich und damit auf den ganzen Markt."