Software für Krankenkassen

SAM 1.0 - Stich!

02.05.2005
Mit dem SAM Release 1.0, dem ersten funktionsfähigen Baustein für einen Softwarestandard für gesetzliche Krankenversicherungen, hatte die AOK zusammen mit SAP den ersten Stich gemacht. Inzwischen ist SAM 1.0 in acht AOKs im Einsatz. Die Konkurrenz im Dienste der Innungs- und Betriebskrankenkassen hat mit dem Paket ISKV 21c gerade mal den ersten Parallelbetrieb abgeschlossen. Ende des Jahres soll dort sogar bereits das erste Gesamtpaket laufen. Heißt es dann: ISKV - Stich?

Werner Bleckmann raufte sich die Haare: Das Schweizer Softwarehaus AIC meldete Konkurs an. Dessen Produkt Open Ikos war nicht irgendeine Software, sondern jene, die die Betriebs- und Innungskrankenkassen zu einem Standard für die gesetzlichen Krankenkassen ausbauen wollten - genannt ISKV 21c. Deren Prokurist Bleckmann konstatiert: "Wir haben ein halbes Jahr dadurch verloren."

Doch auch das Konkurrenzprojekt von AOK und SAP, der AOK-SAP-Master (SAM), bekam im vergangenen Jahr leichte Risse. Die Unternehmensberatung Bain & Company sah sich nach Budgetüberschreitungen bei der AOK um. Die AOK schärfte daraufhin ihre Controlling-Instrumente. "Die Kostenkontrolle folgt dem Personaleinsatz nun erheblich zeitnäher", berichtet der IT-Chef des Bundesverbandes Herbert Reichelt. Dennoch: Zwei Jahre länger als ursprünglich geplant wird AOK-Systems nun am Standard schrauben.

Dabei wäre eine schnelle Umsetzung dringend nötig: Denn mit einem Krankenversicherungsstandard steht und fällt die Entwicklung im Gesundheitswesen. Standards in der Gesetzlichen Krankenversicherung machen es dem Gesetzgeber einfacher, neue Technologien einzuführen - etwa in Hinsicht auf die ursprünglich für Anfang 2006 geplante Gesundheitskarte, die sich ohnehin bereits mindestens um ein halbes Jahr verzögert. "Der Abstimmungsbedarf für neue Schnittstellen zu solchen Projekten sinkt enorm, wenn nur noch zwei Standards in der GKV im Einsatz sind", meint ISKV-Mann Bleckmann. "Für das kassenübergreifende Datenmanagement ist der Standard sehr wichtig", ergänzt AOK-Mann Reichelt.

Die AOK hat den ersten Baustein SAM 1.0 nun in acht der 17 AOKs im Einsatz. Darin sind das Kundenmanagement der Geschäftspartner-Stammdaten, das Finanzwesen und der Bereich Inkasso/Exkasso eingebunden. Aus technischer Sicht ist für AOK-Systems der wichtigste Schritt gemacht. "Zumal dieser Baustein mit der Einführung der Gesundheitsreform seine Feuertaufe bereits bestanden hat", ergänzt Reichelt. "Wir haben die Qualifikationen aufgebaut, mit SAP umzugehen, und die großen technischen Klippen hinter uns", so Reichelt. Nach und nach werden nun die neun verbleibenden AOK-Verbände mit SAM 1.0 versorgt, der Leistungsbaustein SAM 2.0 ist seit Ende März bereits entwickelt und die Einführungen folgen 2006. Die IT-Ausgaben, sagt Reichelt, hätten den Zenit bereits überschritten. Nun würde der Anteil der Entwicklung gegenüber der Softwarepflege immer mehr abnehmen.

Sechs Millionen für die ISKV-Software

Die ISKV hat inzwischen den Konkurs von AIC verkraftet, wenn nicht gar neue Kraft daraus geschöpft. Für etwa sechs Millionen Euro erwarb die ISKV die Rechte für Open Ikos, übernahm einige Mitarbeiter von AIC und spart nun sämtliche Lizenzzahlungen an das eidgenössische Softwarehaus. Hingegen kann die ISKV als Softwaredienstleister der Innungs- und Betriebskrankenkassen nun ihrerseits Lizenzen von den derzeit etwa 250 Krankenkassen verlangen, die auf ISKV 21c setzen. Der erste "Parallelbetrieb" bei der IKK Gesund Plus mit den Bausteinen "Partner, Meldung und Disease" ist nun abgeschlossen. Im April folgen die Bereiche Beiträge und Zahlung bei der Siemens BKK und im Juli der Leistungsbaustein bei der Hamburg Münchener. Ab 2006 geht’s bei den Kassen in die Migration.

Welcher der beiden Wege der Königsweg ist, ist umstritten. Die Struktur der Organisationen unterscheidet sich. Während die größte Betriebskrankenkasse gerade einmal eine Million Versicherte zählt, hat die AOK Baden-Württemberg beispielsweise sechs Mal so viele. Deshalb setzt AOK-Mann Reichelt bei der Einführung in den einzelnen AOKs auch nicht auf den Big Bang, die Implementierung auf einen Schlag. Die AOK löst das Altystem IDVS vielmehr schrittweise ab. Das macht zwar die Pflege zahlreicher Schnittstellen nötig, doch nach Ansicht von Reichelt wäre ein Big Bang sehr riskant. "Wir müssen den gesamten Datenbestand mitnehmen und die zurückliegende Jahre müssen nachvollziehbar sein - so fordert der Risikostrukturausgleich", ergänzt Reichelt.

Das Projektlenkungsgremium der ISKV hingegen entschied sich für das Big-Bang-Szenario - die Einführung der Software an einem Wochenende. Die Pflege der Schnittstellen hätte nochmal das Gleiche wie die eigentliche Entwicklung gekostet, so die Quintessenz aus kleineren Gutachten. Der erste Big Bang steht für Ende dieses Jahres allerdings noch bevor.

Bislang hat die ISKV lediglich einen Parallelbetrieb erfolgreich abgeschlossen, innerhalb dessen die Entwicklung abgeschlossen wird, während die AOK den Baustein SAM 1.0 in acht AOKs bereits eingeführt hat. Wenn AOK-Systems von Piloten spricht, ist die Einführung der einzelnen Releases bereits gemacht. Bei der ISKV bekommen die Teilschritte andere Namen: "Den Pilottest machen wir 2005 auf zehn Kassen - mit Parallelbetrieb", erläutert Bleckmann. Die Pilotanwendung startet Ende 2005 mit einer Kasse - dann soll ISKV 21c erstmals ohne Parallelbetrieb laufen.

Eine Vergleichbarkeit der Projekte ist schon wegen der unterschiedlichen Struktur, Teiletappen und Bezeichnungen schwierig. Die ISKV geht bis Ende 2005 von einem Entwicklungsbudget von knapp 60 Millionen Euro aus, inklusive des Erwerbs der AIC-Software (sechs Millionen Euro) sowie Kosten für den Aufbau einer Einführungsinfrastruktur mit Projektleitung, Schulungen und Migration - die Vorbereitungen kosten rund fünf Millionen Euro. Über die Kosten, die jede einzelne BKK oder IKK für den Big Bang und die Vorbereitungen veranschlagt, möchte Bleckmann keine Prognose wagen. Klar ist, dass die Vorbereitung und die Organisation bei jeder Kasse etwa neun Monate dauern werden.

Die AOK geht von Gesamtkosten von 540 Millionen Euro aus. Damit sind alle Bausteine bis hin zu SAM 3.0 und der Pilotbetrieb in den AOKs bezahlt. Reichelt hat Personal, Lizenzen, Softwarepflege und sämtliche Entwicklungskosten hineingerechnet, wozu auch Anpassungen an Gesetzesnovellen gehören. SAM als Komplettpaket gewissermaßen.

Programmieraufwand ist Glaubensfrage

Wie hoch bei neuen gesetzlichen Bestimmungen der Programmieraufwand ist oder ob lediglich ein Customizing nötig ist, kann bei AOK-Systems niemand sagen. Man hofft, dass nur etwa 20 Prozent programmiert werden müssen - ein Wert, der sich nun wieder mit einer Aussage von Volker Gruhn deckt, dem Aufsichtsratsvorsitzenden des wichtigsten Entwicklungspartners der AOK, Adesso. "75 Prozent können generiert, 25 Prozent müssen programmiert werden", so Gruhn zum Java-Konzept der ISKV.

Sicher ist: Die Barmer, mit 7,5 Millionen Versicherten nach der AOK mit 25 Millionen Kunden eine der größten Krankenkassen hierzulande, wird im Herbst SAM 1.0 bei sich einbauen. Einige mitgliederstarke Krankenkassen wie DAK, KKH und Gmünder werden sich zunächst anschauen, wie sich die konkurrierenden Modelle "schlagen" - und dann entscheiden. Zwei Systeme könnten durchaus nebeneinander bestehen, bemerkt Reichelt von der AOK - "allerdings nur zu Beginn". Der Wettlauf geht weiter.