Jüngst hat SAP mit großem Aufwand eine Analysten- und Medienkonferenz abgehalten, die gleichzeitig in Boston und Frankfurt stattfand und via Satellit vernetzt war. Das erklärte Ziel: Marktaufklärung über SAPs weiteres Vorgehen im Zusammenhang mit der Übernahme von Sybase. Allerdings ist über die ohnehin bekannten Pläne kaum etwas Neues vermittelt worden.
Im Einzelnen: SAP und Sybase werden eine Mobile Plattform anbieten, die alle wesentlichen mobilen Geräte unterstützen soll. Eine "mobile Experience" sollen Anwendern von vorhandenen Anwendungen zugänglich gemacht werden. Außerdem soll Sybase SAPs Mobil-Strategie vorantreiben.
Zweitens sollen die Technologien von SAP Business Objects und Sybase zusammengeführt werden, um eine einheitliche Infrastruktur für Datenanalysen zu gewährleisten. Weiterhin will SAP beim Thema EIM (Enterprise Information Management) in verschiedenen Bereichen ein abgestimmtes Vorgehen mit Sybase an den Tag legen.
Zusätzlich wird Sybase als eine weitere Datenbankoption für die SAP Enterprise Suite verfügbar sein, nachdem eine Portierung, Zertifizierung und Optimierung der Enterprise Suite vorgenommen wurde. Letztlich sollen die In-Memory-Technologien beider Unternehmen in alle Datenmanagement-Angeboten von SAP und Sybase eingebaut werden.
Obwohl der Medienaufwand mit hochkarätiger Besetzung der CEOs Bill McDermott in USA und Jim-Hagemann-Snabe in Frankfurt sowie Sybase CEO John Chen und SAPs CTO in USA beeindruckend war, hielt sich der Informationsneugehalt eher in Grenzen. Es scheint ein wenig so, als ob SAP die Weiterentwicklung des Marktes etwas bremsen wolle bis SAP und Sybase wirklich liefern können. Dabei ist der Zeitpunkt, nach dem erst in neun Monaten eine gemeinsame mobile Entwicklungsplattform verfügbar sein soll, viel zu weit in der Zukunft.
Im derzeitigen Marktgeschehen entstehen alle drei Monate neue Mobile-Telefon-Trends und verschwinden wieder. Dabei fühlen sich für viele drei Quartale wie drei Geschäftsjahre an. Das Mobil-Enterprise-Segment ist derzeit derartig dynamisch, dass eine "Inkubationszeit von neun Monaten" als sehr defensiv angesehen werden muss. Die Kunden fragen sich natürlich, warum das so lange dauert, da SAP gerade deshalb Sybase gekauft hat, weil es über eine ausgesprochen gute Mobility-Strategie und dazugehörige Produkte verfügt. Eine plausible Antwort sind die Unternehmen schuldig geblieben.
Keine Antworten auf Lizenzpolitik bei In-Memory-Technologien
Außerdem konnten Fragen zur Lizenzpolitik in Bezug auf die bisher konkurrierenden In-Memory-Technologien von SAP und Sybase nicht beantwortet werden. Zusätzlich vermissten die anwesenden Zuhörer eine klare Aussage dazu, welche der vorhandenen Technologien in ein zukünftiges Produkt einfließen werden. Sowohl SAP als auch Sybase haben sich auch diesbezüglich sehr bedeckt gehalten.
Die Ankündigung, dass mit Sybase zukünftig als weitere Datenbank - neben Oracle, IBM DB2 und Microsoft SQL-Server - für SAPs Enterprise Suite zur Verfügung stehen wird, wurde ohnehin erwartet. Allerdings wird diese Option einen Wandel im bisherigen Gleichgewicht der Datenbankanbieter einleiten. Strategisch bedeutet die Möglichkeit, eine Datenbank sowie eine Analysefunktionen zusammen mit den Geschäftsanwendungen vom gleichen Anbieter beziehen zu können, ein "strategisches Unentschieden" mit Oracle.
Mit IBM werden die Differenzen - neben Interessenskonflikten bei der Middleware SAP NetWeaver und IBM Websphere - weiter wachsen. Das geringste Konfliktpotenzial dürfte gegenüber Microsoft im klassischen Datenbankbereich bestehen, obwohl SAP und Microsoft auch in einigen Anwendungsfeldern konkurrieren. In Bezug auf das Thema Mobilität kann aber erwartet werden, dass die Spannungen mit Microsoft wachsen werden, da auch Microsoft Mobility als ein Kernzukunftsthema proklamiert hat.
Die Nachricht, dass SAP das Unternehmen Sybase weiterhin als weitgehend selbständiges Unternehmen führen will, ist dann schon fast als taktische Nebensächlichkeit zu betrachten. Aus den fehlenden klaren Aussagen in Bezug auf eine weitere Technologieintegration ergab sich diese Vorgehensweise quasi zwangsläufig. Zwar legt eine bisher sehr unterschiedliche Kundenbasis der Unternehmen ein zeitlich begrenztes Nebeneinander nahe; dennoch erwarten Kunden ein klares, abgestimmtes Vorgehen am Markt.
Sorge um Amerikanisierung des SAP-Verhaltenskodex
Unterm Strich in Bezug auf den oben genannten Medienevent muss man SAP zwar bescheinigen, dass das Unternehmen sehr geschickt die Doppelspitze aus McDermott und Jim Hagemann-Snabe einsetzt, um auf unterschiedlichen Kontinenten gleichzeitig und gleichberechtigt präsent zu sein. Eine Option, die derzeitig nur SAP hat. Angesichts der strategischen Bedeutung der Übernahme für SAP scheint es aber unangemessen, die Kunden und dem Markt selbst nach drei Monaten seit Bekanntwerden der Übernahmeabsicht so dehnbare Aussagen zur zukünftigen Technologieintegration anzubieten.
Nicht wenige hätten klare Roadmaps und Entwicklungsziele für alle Teilbereiche erwartet. Es bleibt zu hoffen, dass der zunehmende amerikanische Einfluss auf SAP nicht weiterhin zu einer Amerikanisierung des Verhaltenskodexes von SAP führen wird. Für den Moment bleibt zu sagen: "SAP - you can do better".
Rüdiger Spies ist Independent VP Enterprise Applications bei IDC.