"Run simple", so lautet das neue Motto, unter dem SAP-CEO Bill McDermott den größten deutschen Softwarekonzern in die Zukunft führen möchte. Damit zielt der neue starke Mann bei SAP sowohl auf seine Kunden wie auch auf die eigene Organisation. "SAP verfolgt eine mutige Vision für das Geschäft der Zukunft - eine einfachere Welt, eine einfachere SAP und eine einfachere Kundenerfahrung", verkündete der US-amerikanische Manager in seiner Keynote zur Eröffnung der Kundenveranstaltung Sappire in Orlando, Florida.
McDermott geißelte vor 25.000 Zuhörern die immer stärker um sich greifende Komplexität als das größte Problem, mit dem sich Geschäftsführer heutzutage konfrontiert sähen. "Vielleicht ist sie nur heimtückisch und unsichtbar, aber niemand könne abstreiten, dass sie überall steckt."
An dieser Stelle will der SAP-CEO offenbar den Hebel ansetzen, um seinen Softwarelösungen auch in Zukunft einen Markt zu sichern. "Wir können und wir werden die Komplexität bekämpfen", versprach McDermott seinen Kunden. Schließlich habe der Softwarehersteller in seiner über 40 Jahre zählenden Geschichte viele komplexe Business-Probleme gelöst. Mit seiner Botschaft dürfte der SAP-Chef bei vielen seiner Kunden auf offene Ohren stoßen. Wiederholt hatten sich in den vergangenen Jahren Vertreter der SAP-Anwenderorganisationen über wachsende und vielfach kaum noch zu beherrschende Komplexität beklagt.
Allerdings wird McDermott seinen Worten schnell Taten folgen lassen müssen. Denn schließlich scheint auch SAP selbst mit eine Ursache für die Komplexität zu sein. Ein Großteil der Investitionen in Enterprise-Ressource-Planning-Systeme (ERP) fließe derzeit in die Konsolidierung und Vereinfachung der Softwarelandschaften, hat die Deutschsprachige SAP-Anwendergruppe (DSAG) anhand von Befragungen ihrer Mitgliedern in den zurückliegenden Jahren immer wieder festgestellt.
Anwender setzen Forderungen durch
Die SAP-Verantwortlichen beteuern, ihren Kunden einen Weg aus der Komplexitätsfalle zeigen zu können. Dazu haben die Softwerker aus dem Badischen beispielsweise schon im vergangenen Jahr mit "Fiori" und "Screen Personas" Lösungen angekündigt, die Anwendern die Arbeit mit SAP-Software erleichtern sollen. Fiori soll Anwendern eine moderne aufgeräumte Benutzeroberfläche bieten, mit der sich über 300 Prozesse aus der Business Suite auf verschiedensten Endgeräten abbilden und nutzen lassen. McDermott zufolge lasse sich damit in der Nutzung von SAP-Software die Zahl der Klicks um bis zu 75 Prozent reduzieren. Mit Hilfe der Screen Personas können Nutzer die Oberflächen der SAP-Software flexibler und individueller auf bestimmte Rollen im Unternehmen zuschneiden.
Allerdings stieß die Strategie SAPs, die neuen Lösungen nur gegen zusätzliche Gebühren anzubieten, auf Kritik seitens der Kunden. Darauf hat der Softwarekonzern nun reagiert. "Einige Kunden und Anwendergruppen haben gefordert, SAP soll keine Gebühren dafür nehmen", konstatierte McDermott auf der Sapphire-Bühne. "Und wissen Sie was, dem stimme ich zu." SAP zufolge werden Fiori und die Screen Personas künftig Teil der Wartung sein. Alle Kunden mit einem gültigen Maintenance-Vertrag bekommen die Lösungen künftig ohne zusätzliche Kosten. Wer bereits Geld dafür in die Hand genommen hat, soll eine Gutschrift erhalten.
Anwendervertreter begrüßten den Schritt ihres Softwarelieferanten. Damit begegne SAP der Forderung, wonach die Auslieferung im Rahmen der Standardwartung und damit ohne zusätzliche Lizenzkosten erfolgen muss, hieß es von Seiten der DSAG. Es handle sich schließlich zum einen um technische Anpassungen, mit denen eine geräteunabhängige Benutzerschnittstelle zur Verfügung gestellt wird. Zum anderen würden dank SAP Fiori und SAP Screen Personas zeitgemäße, einfache Oberflächen geschaffen, die im Zuge des geänderten User-Verhaltens notwendig geworden sind. "SAP hat erkannt, dass attraktive Oberflächen ein wichtiger Trend bei Anwendern sind, der bedient werden muss - und zwar im Rahmen der Standardwartung, zeigte sich Andreas Oczko, DSAG-Vorstand für Operations/Service & Support, mit dem Ergebnis zufrieden. "Jetzt können Anwender ohne zusätzliche Lizenzkosten evaluieren, ob sich Fiori und Screen Personas für ihr Unternehmen eignen oder nicht."
Cloud wird zur Herausforderung im Geschäftsmodell
Für SAP selbst geht es über die Arbeiten an der Softwareoberfläche hinaus aber auch um grundlegendere Fragen hinsichtlich der Softwarearchitektur und des Geschäftsmodells. Der Softwarehersteller aus Walldorf will sich künftig noch stärker als Anbieter von Cloud-Software positionieren und verfolgt ambitionierte Ziele in diesem Geschäft. Im kommenden Jahr rechnet der Konzern mit Cloud-Einnahmen in Höhe von zwei Milliarden Euro - das wären zehn Prozent vom anvisierten Gesamtumsatz von 20 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr kam SAP auf Gesamteinnahmen von knapp 16,9 Milliarden Euro und einen Cloud-Umsatz von knapp 700 Millionen Euro. Noch basiert der Löwenanteil des SAP-Business allerdings auf dem klassischen Lizenz- und Wartungsgeschäft. Vor allem der Anteil der Maintenance-Gebühren ist in den vergangenen Jahren immer stärker gewachsen, während der herkömmliche Lizenzumsatz meist stagniert oder sogar leicht rückläufig ist.
SAP wird sich also deutlich steigern müssen. Dazu haben die Verantwortlichen auf der Sapphire eine Reihe neuer Lösungen angekündigt. Dazu zählt beispielsweise "Simple Finance". Mit diesem Set von Applikationen, das auf der SAP HANA Enterprise Cloud basiert, sollen die Finanzverantwortlichen in den Unternehmen einen besseren Einblick in ihr Geschäft erhalten. Mit Hilfe der In-memory-Technik von HANA könnten beispielsweise Geschäftsabschlüsse praktisch in real-time abgewickelt werden. Darüber hinaus erhielten die Anwender eine Reihe verschiedener Reporting- und Analyse-Werkzeuge.
Simple Finance werde im Abonnement-Modell angeboten und lasse sich als Managed Service über die SAP HANA Enteprise Cloud beziehen, hieß es in einer Mitteilung. Abgerechnet werde nach einem einfachen Subscription-Modell. Welche Metrik für die Abrechnung herangezogen werde, wollte der Konzern allerdings noch nicht bekannt geben. Simple Finance lasse sich SAP-zufolge mit anderen Cloud-Lösungen wie auch mit On-Premise-Umgebungen verknüpfen. SAP-Kunden könnten zudem ihre bestehenden Financials-Umgebungen in die neue Cloud-Lösung migrieren. "Mit SAP Simple Finance läuten wir jetzt eine neue Ära ein", sagteBernd Leukert, Vorstandsmitglied der SAP, zuständig für Produkte und Innovationen."Wir helfen unseren Kunden, jeden Geschäftsprozess agiler, flexibler und damit auch einfacher zu gestalten."
SAP will Branchenlösungen aus der Cloud entwickeln
Darüber hinaus gab SAP bekannt, künftig auch speziell für bestimmte Branchen zugeschnittene Cloud-Lösungen anbieten zu wollen. Insgesamt adressiert der Konzern 25 Industrien. Dafür will SAP einen eigenen Geschäftsbereich gründen, den Simon Paris leiten soll. In den verschiedenen Branchen gebe es ganz spezielle individuelle Herausforderungen, sagte der Manager. SAP werde sich auf die wichtigsten Business-Probleme der einzelnen Segmente fokussieren und entsprechende Cloud-Lösungen entwickeln. Dieser Schritt sei längst fällig gewesen, stellte Ray Wang fest, Analyst und Gründer von Constellation Research. Viele Kunden würden sich bereits nach Branchenspezialisten für passende Cloud-Lösungen umsehen. Und gerade das Industrie-Knowhow sei schließlich eine Stärke von SAP.
Die Ankündigungen auf der Sapphire machten wieder einmal deutlich, dass SAP mitten im Umbau in Richtung Cloud-Computing steckt. Daran lässt auch Firmenlenker McDermott keine Zweifel: "Unsere Marschrichtung geht in die HANA-Cloud. SAP ist eine Cloud-Firma", so sein Credo. Auf der Sapphire bemühte sich der SAP-Manager, auch seine Kunden für diesen Weg zu begeistern. 2015 würden erstmals mehr Workloads in der Cloud abgebildet als mit herkömmlicher On-Premise-Software. 80 Prozent der Unternehmen, die den Schritt in die Wolke gewagt hätten, würden damit Geld einsparen. Und zuletzt pries der Firmenlenker die Vorzüge der aufziehenden Network Economy. Diese habe bis 2020 weltweit ein Business-Potenzial von 90 Billionen Dollar - das sei drei Mal mehr als das Potenzial der zurückliegenden Internet-Economy des vergangenen Jahrzehnts.
McDermott betont Einigkeit im SAP-Vorstand
Doch nicht nur seine Kunden muss McDermott mitnehmen, auch die SAP-Organisation selbst muss den neuen Weg mitgehen. Hier gilt es für den CEO, der nach dem Abgang seines Kollegen Jim Hagemann Snabe in den SAP-Aufsichtsrat vor wenigen Tagen nun allein die Zügel in der Hand hält, die entsprechenden Weichen zu stellen. In Orlando demonstrierte McDermott Einigkeit und betonte das Vertrauen, das innerhalb des Vorstands und des erweiterten Führungskreises herrsche. Gleich zu Beginn seiner Keynote dankte McDermott dem SAP-Gründer Hasso Plattner für sein Engagement und seine Impulse in der Entwicklung neuer Lösungen. Auch seinen Führungszirkel mit den neuen Vorständen Bernd Leukert und Rob Enslin stellte er gleich zu Beginn dem Publikum vor und rückte ihn damit ins Rampenlicht.
Für McDermott ist es wichtig, eine geschlossene SAP-Mannschaft hinter sich zu wissen und jede weitere Unruhe nach dem überraschenden Abgang von Technikchef Visahl Sikka Anfang Mai im Keim zu ersticken. So wurde denn auch Sikka, der in den vergangenen Jahren gerade die Entwicklung von HANA maßgeblich vorangetrieben hatte, auf der Sapphire mit keinem Wort erwähnt.
Auch SAP muss "simple" werden
Dass der Umbau innerhalb SAPs nicht ohne die eine oder andere Verwerfung ablaufen dürfte, ließ sich an den Zwischentönen in Orlando hören. McDermott betonte, dass das neue Motto "Run simple" auch für SAP gelte. Der Konzern müsse enger an die Kunden rücken und daher agiler und einfacher funktionieren. Man müsse bestimmte Dinge auch einmal anders sehen und anders machen. Konkrete Details, welche Auswirkungen das auf die Organisation von SAP haben wird, blieb der CEO indes schuldig. Nachdem in den zurückliegenden Wochen verschiedene Gerüchte über einen Jobabbau bei SAP kursierten, bekräftigte McDermott jedoch, dass der Konzern zu Jahresende mehr Menschen beschäftigen werde als Anfang 2014. Allerdings könne es durchaus sein, dass sich der eine oder andere Mitarbeiter mit neuen Dingen und Projekten beschäftigen müsse, forderte der Manager Flexibilität von seiner Belegschaft ein.
Inwieweit Änderungen in der Management-Struktur SAPs anstehen, lässt sich vielleicht daran ablesen, was McDermott seinen Kunden hinsichtlich Komplexität und der nötigen Vereinfachung rät. Aus seiner Sicht erzeugen Manager viel Komplexität. Mit jedem neuen Produkt oder jeder neuen Akquisition würden zusätzliche Ebenen im Management eingezogen - das mache die Strukturen komplizierter. "Ein großes Unternehmen darf nicht wie eine Zwiebel aufgebaut sein", forderte McDermott. "Und es sollte einen nicht zum Weinen bringen, wenn man Schicht für Schicht abzieht." Was das für den Umbau von SAP bedeutet und ob dieser ohne Tränen von statten gehen wird, muss die Zukunft zeigen. McDermott spricht zwar von "One SAP", aber auch davon, dass es nicht einfach wird: "Es ist nicht einfach, einfache Dinge zu tun - es ist hart."