Mobiler Anschluss im St. Gotthard

SAP im Tunnel

27.04.2007 von Johannes Klostermeier
Der Schweizer Baudienstleister Implenia arbeitet am derzeit größten Tunnelbauvorhaben der Welt. Das voriges Jahr aus der Fusion von Zschokke und Batigroup hervorgegangene Unternehmen nutzt mySAP ERP 2005. Dank der Anbindung mobiler Baustellenlösungen an das Back-End sind alle Beteiligten stets auf dem Laufenden.

Eine weiße Margerite ist das neue Logo der Implenia AG. Für die Männer im Baugewerbe war das zarte Blümchen gewöhnungsbedürftig. Was jedoch die Errungenschaftendurch mobiles SAP und ERP im Tunnel angeht, sind keine Fusionsschmerzen bekannt. Hier wollen die Baustellenvorarbeiter heute nicht mehr zurück. Denn es sucht seinesgleichen, was der nach der Fusion der Baufirmen Zschokke und Batigroup mit rund 2,9 Milliarden Schweizer Franken Umsatz und einem Marktanteil von fünf Prozent größte Schweizer Baukonzern an durchdachter ITTechnik im Baugewerbe einsetzt.

Bei der in Zürich ansässigen Firma schreiben die Bauvorarbeiter gleich auf der Baustelle mit 500 Windows-Mobile-PDAs oder ihren Laptops ihre Stundenzettel, verfassen Tätigkeitsberichte und erfassen Ausmaße. Sie bestellen online Material unddisponieren Maschinen. Alles angebunden an die SAP-Systeme des Konzerns, per GSM, das heißt mit EDGE oder UMTS im Tunnel sowie per WAN/LAN aus dem Baustellenbüro.

Ausgedacht hat sich das fortschrittliche Mobile-Computing-System das Team um Implenia-IT-Leiter Johnny Gschwend, zuvor IT-Chef von Batigroup. Für die IT des umsatzmäßig größeren Bauunternehmens Zschokke war die Fusion mit Batigroup ein Glücksfall, läutete sie doch die Ablösung von 20 Jahre alten Technologien ein. Nach der Fusion im Zeitraum zwischen März 2006 und Ende Mai wurden sämtliche Geschäftsabläufe, alle Bestellungen, die Bauabwicklung on der Offerte bis zur Projektabwicklung sowie die gesamte Anwendungslandschaft analysiert: Abacus, SAP/R3 (4.6 c) mit den Modulen HR, FI und CO sowie mit über 17 verschiedenen Legacy-Tools, berichtet Gschwend. Er verweist auf die Schnittstellenprobleme, hätte man alles unverändert belassen wollen. „Wir haben dann geprüft, wie wir die Aufgaben der verschiedenen Anwendungen am besten in einer schnittstellenfreien Einheit abbilden können.“

Administration und Bau verknüpft

Eine gewaltige Aufgabe, die sich aber bei Gschwend und seiner Mannschaft federleicht anhört: „Alles wurde einem End-to-End-Prozess-Reengineering unterzogen und in mySAP ERP 2005 abgebildet.“ Damit
verschmolzen die verschiedenen Administrations- und Bausysteme. Die zweite Ebene über den SAP-Modulen bildet die selbst entwickelte und dann der SAP als Industry Solution zur Verfügung gestellte Baulösung, die alle Daten eines Projekts „from quote to cash“, wie es im Fachjargon heißt, abbildet.

Für die rund 1700 Mitarbeiter bedeutete der Umstieg auf mySAP ERP 2005 intensive Schulungen und Trainings. „Unsere Schwierigkeiten waren dabei weniger technischer Natur, Sie müssen die Nutzer auf der Reise unbedingt mitnehmen. In einem integrierten, durchgängigen System haben ja alle die gleichen Spielregeln einzuhalten. Dabei ist das Geschäft für einen Real-Estate-Dienstleister etwas ganz anderes als für einen Baufachmann“, sagt Gschwend.

Hilfe vom Ramp-up-Manager

Am 30. April 2006 hatte Implenia innerhalb von zwei Monaten auf das neueste SAP-Release gewechselt. „Damit können wir jetzt bis 2010 leben.“ Ein Ramp-up-Manager von SAP aus Walldorf half beim frühen Umstieg, der für die Allgemeinheit erst im Juli frei gegeben wurde. Auch bei allen neuen Großprojekten, wie sie im Tunnelbau üblich sind, wird jetzt alles vollständig über SAP abgewickelt.

Beeindruckendes Referenzobjekt dafür ist die derzeit größte Tunnelbaubaustelle der Welt am St. Gotthard. Die neue Bahnstrecke der Alptransit Gotthard AG, einer 100-prozentigen Tochter der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB), wird künftig dank der drei Basistunnel an Gotthard, Zimmerberg und Ceneri als „Flachbahn“ die schnellste Querung der Alpen darstellen. Die Fahrzeit der Züge zwischen Zürich und Mailand soll sich nach Inbetriebnahme der neuen Eisenbahn-Alpentransversale im Jahr 2016 von heute gut vier Stunden auf dann nur noch zwei Stunden und 40 Minuten verkürzen.

Webcams im Tunnel

„Alle Mitarbeiter der Tunnelbaustelle, egal von welcher Firma, arbeiten mit unserem IT-System“, berichtet Gschwend. Die verantwortlichen Mitarbeiter und Manager im Backoffice in Zürich können dadurch stets alle wichtigen Daten im Blick behalten.

Während per Internet steuerbare Webcams direkt aus dem Tunnel den aktuellen Baufortschritt zeigen, sehen die Projektverantwortlichen im neuen SAP-System genau, wo die Baustelle im Moment steht und welche Daten im grünen oder im roten Bereich liegen. Dabei können sie aktuelle Ist/Soll-Berechnungen aufrufen, auf Wunsch beispielsweise unterteilt in Löhne, Material und Arbeitszeiten.


Eine derartige Transparenz spart Zeit und Kosten. Auch an anderer Stelle vermeidet Implenia unnötigen Aufwand. Selbst entwickelt Implenia nur seine Business-Anwendungen in SAP sowie mit Java und C++. „Alles Wiederkehrende wie Telekommunikation, der gesamte Betrieb sowie die technische Betreuung unserer Systeme haben wir ausgelagert“, sagt Gschwend.

Der SAP-Komplettdienstleiter AC-Service (Schweiz) AG steuert und betreibt SAP „End-to-End“ in seinem Rechenzentrum in Wettingen sowie im rund acht Kilometer entfernt liegenden Backup-Service-Center.

In diesem Jahr will die Baufirma damit beginnen, SAP auch für neue Geschäftsfelder wie Facility Management einzusetzen, um damit höhere Margen als im Baugewerbe üblich zu erwirtschaften. „Nach Fertigstellung der Gebäude wollen wir für den Kunden Dienstleister rund um die Immobilie bleiben“, sagt Gschwend.

SAP für neue Geschäftsfelder

Alle Daten eines Hauses über Licht, Energie, Wasser, Jalousien und Störungsmeldungen sollen über eine auf dem Markt zugekaufte Gebäude-Management-Box ins SAP-System laufen und dort ausgewertet und verarbeitet werden. So wird etwa die verursachergerechte Verrechnung auf einzelne Kostenstellen möglich. Ergänzt wird diese Lösung durch eine Callcenter-Applikation, die im Störungsfall hilft.

Geht etwa eine Glühbirne kaputt, bekommt der jeweilige Hausmeister eine Meldung auf sein mobiles Gerät; nach getaner Arbeit kann er diese per PDA gleich quittieren und seine Arbeitszeit abrechnen. Der Kunde kann gleichzeitig alle vorhandenen Daten für sein Gebäude über das Internet einsehen. Der entscheidende Vorteil ist, dass Implenia mit der nun gewählten Anwendung sowohl den kaufmännischen als auch den technischen Teil abdecken kann. Dem frisch fusionierten Unternehmen entstehen dadurch weitere Synergien.