DSAG-Jahreskongress

SAP-Kunden halten wenig von Cloud-ERP und HANA

17.10.2014 von Martin Bayer
Während SAP alles auf seine HANA-Plattform und die Cloud setzt, wollen die Anwender davon wenig wissen. Stattdessen fordern sie, dass sich ihr Softwarelieferant wieder mehr um seinen On-Premise-Stack kümmern sollte.

Passen die SAP-Angebote zum Bedarf und den bestehenden IT-Landschaften der Unternehmen? Diese Frage stand im Mittelpunkt der 15. Jahrestagung der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG) Mitte Oktober in Leipzig. Die Antwort: Offenbar nicht. Im Vorfeld ihrer Konferenz hatte die Anwendervertretung 524 Mitgliedsunternehmen gefragt, wie diese Trends hinsichtlich Cloud und SAPs In-Memory-Plattform HANA bewerteten. Demnach kann sich nur jeder 20. IT-Verantwortliche vorstellen, in den nächsten fünf Jahren sein ERP-System in der Cloud zu betreiben. Für immerhin knapp ein Fünftel der Befragten könnten zumindest hybride Modelle in Frage kommen.

Ähnlich zurückhaltend beurteilen die SAP-Kunden das Angebot Business Suite on HANA. Gerade einmal fünf Prozent der befragten Unternehmen stecken gerade in Umstellungsprojekten oder haben diese bereits abgeschlossen. Weitere elf Prozent denken über den Einsatz nach. Das bedeutet allerdings auch, dass für mehr als vier von fünf SAP-Anwenderunternehmen der Einsatz des Kernprodukts Business Suite auf der HANA-Plattform derzeit kein Thema ist.

Auf der Suche nach dem Business Case

"ERP-Systeme zählen in den meisten Unternehmen zu den komplexesten IT-Lösungen", interpretierte der DSAG-Vorstandsvorsitzende Marco Lenck diese Ergebnisse. "Veränderungen in diesem Umfeld werden daher nur sehr vorsichtig vorgenommen." Beim Umstieg in die Cloud müssten zunächst Schlüsselfragen geklärt werden, wie SAP mit Eigenentwicklungen und Anpassungen umgehe, und welche Schnittstellen und Integrationsmöglichkeiten zur Verfügung stünden. Die Rahmenparameter müssten stimmen, stellte der DSAG-Vertreter klar. "Solange die Risiken die Chancen übersteigen, werden die die SAP-Kunden nur unkritische Teilprozesse in die Cloud verlagern."

Ähnlich skeptisch beurteilen die SAP-Kunden Investitionen in HANA. Das liege allerdings nicht an den Kosten oder dem fehlenden technischen Verständnis betonte Lenck. Vielmehr sei für die Kunden in aller Regel kein Business Case zu erkennen. "Viele Unternehmen sehen zurzeit kein Innovationspotenzial für ihre Geschäftsprozesse." SAP müsse daher an einer besseren Nutzendarstellung arbeiten, forderten die DSAG-Vertreter. Es gelte Beispiele zu liefern, wie HANA betriebswirtschaftliche Standardprozesse verbessern könne. Die von SAP oft strapazierten Leuchtturmprojekte wie beim Deutschen Fußballbund (DFB) oder in der Krebsforschung seien nicht übertragbar und nutzten den SAP-Anwendern daher nur wenig.

SAP will Anwendern Zeit geben

SAP-Vorstand Bernd Leukert äußerte Verständnis für die Nöte der Anwender. Es brauche Zeit, Infrastrukturen umzubauen und neue Skills der Mitarbeiter zu entwickeln. Er sehe jedoch durchaus Kunden, die sich auf den Weg machten. Den Anteil der Anwender, die sich mit der Business Suite on HANA beschäftigten, interpretierte der SAP-Manager als "gutes Momentum".

Um seinen Kunden Luft zu verschaffen, hat der Softwarekonzern die Zeitspanne für die Standardwartung der Business Suite um fünf Jahre bis 2025 verlängert. Außerdem versprach SAP Neukunden bis dahin auch Preisstabilität beim Wartungssatz von 22 Prozent für den Enterprise Support (ES). Bestandskunden könnten zudem bis 2020 mit stabilen Supportgebühren im ES rechnen. Bis dahin werde es keine inflationsbedingten Anpassungen geben.

Vereinfachung durch HANA und s-Apps

Allerdings ließ Leukert auch keinen Zweifel daran, dass auf die Anwender im Zuge der digitalen Transformation Herausforderungen zukämen, denen sie sich stellen müssten. Viele Prozesse würden in Zukunft in Echtzeit ablaufen. Daher bräuchten die Unternehmen auch einen Echtzeitblick auf ihre gesamte Wertschöpfungskette. Den Anwendern verspricht der SAP-Vorstand Antworten auf diese Herausforderung.

Grundlage dafür bildet wie nicht anders zu erwarten die HANA-Plattform. Diese sei Leukert zufolge ein Hebel dafür die IT-Landschaften zu vereinfachen. Als einheitliche Datenplattform für transaktionale (OLTP) und analytische (OLAP) Systeme sei HANA der "Vereinfacher" schlechthin. Produkte der Konkurrenz würden Daten nach wie vor redundant ablegen. Der SAP-Vorstand betonte darüber hinaus die Offenheit der HANA-Plattform. Jeder Softwarehersteller sei eingeladen, Anwendungen auf HANA zu bauen.

Auch die neue Applikationsgeneration, die sogenannten s-Apps - das kleine s steht für simple -, soll die von vielen Anwendern beklagte Komplexität der Anwendungslandschaften reduzieren. Leukert kündigte an, das gesamte Anwendungs-Portfolio der SAP umzubauen und zu vereinfachen. Mit "Simple Finance" hatte der Konzern bereits eine erste Lösung in diesem Jahr vorgestellt, weitere Module sollen folgen. Funktionale Reihenfolge und Zeitplan stehen jedoch noch nicht fest. Diese s-Apps sollen zunächst in der Cloud angeboten werden, aber auch den On-Premise-Kunden zur Verfügung stehen.

"Cloud first, aber nicht Cloud only", so Leukerts Credo. Bestehende Investitionen sollen nach den Worten des SAP-Managers so gut wie möglich geschützt werden. Auch der Umstieg und die Integration funktionierten einfach, da die neue Anwendungsgeneration auf dem bestehenden Datenmodell basiere, versicherte der Vorstand.

Doch die SAP-Anwender bleiben skeptisch. "Einfach ist nicht einfach", stellte Lenck klar. Die Komplexität in den Geschäftsabläufen werde sich nicht auflösen. Wirkliche Vereinfachung für die Anwenderunternehmen würde bedeuten, den komplexen Bedarf ohne komplizierte Abbildung zu erfüllen. Dafür müsse sich SAP jedoch auch wieder stärker um die klassischen On-Premise-Landschaften der Kunden kümmern. Hier gehe es darum, redundante Datenstrukturen abzubauen, Systeme zu konsolidieren, Abhängigkeiten zwischen Release-Ständen zu reduzieren und für eine bessere User Experience zu sorgen.

Erst wenn dies gewährleistet sei und bestehende Investitionen geschützt seien, könnten Anwender über neue Produkte nachdenken. Es sollte aber auch Innovationen in On-Premise-Lösungen geben, die sich nicht um die s-Apps und Hana drehen, forderte Lenck. "Es kann nicht sein, dass wir für die Wartung, die wir bezahlen, keine Weiterentwicklung der On-Premise-Systeme bekommen - auch außerhalb von HANA."

Ärger über neue SAP-Preisliste

Auch wenn allen Beteiligten daran gelegen war, keine Missstimmung aufkommen zu lassen, und die DSAG-Verantwortlichen die gute Zusammenarbeit speziell mit dem neuen Vorstand Leukert betonten - in den Beziehungen zwischen den SAP-Anwendern und ihrem Softwarelieferanten knirscht es. Nachdem es dem Softwarekonzern in den vergangenen Jahren gelungen war, das durch die ungeschickt eingeführte Erhöhung der Wartungsgebühren ramponierte Vertrauen wiederherzustellen, droht nun neuer Ärger.

Lange hatten die Anwendervertreter darauf gedrängt, die in ihren Augen zu komplizierte und unübersichtliche Preisliste zu reformieren und zu vereinfachen. Dem ist SAP nun offenbar nachgekommen und hat im zweiten Quartal dieses Jahres eine neue Preisliste veröffentlicht - doch offenbar ohne die User Groups an dem neuen Konzept zu beteiligen.

Das Urteil der DSAG zum neuen Pricing-Konzept fällt vernichtend aus: "Die neue Preisliste ist nicht praxistauglich", stellte DSAG-Vorstand Andreas Oczko auf dem Jahreskongress fest. Die neuen Metriken seien mehr als fragwürdig und die Bündelung verschiedener Produkte führe zu explodierenden Preisen. Außerdem könnten Kunden teilweise nicht nachkaufen, weil es die erforderlichen Lizenzformen nicht mehr gebe. Die neue Preisliste steigere somit die Komplexität und überfordere alle Beteiligten, lautet Oczkos Fazit. Hier müsse dringend nachgebessert werden.

Kritik gibt es offenbar auch an den Enhancement Packages (EhP). Im Rahmen der Wartung gibt SAP damit neue Entwicklungen und Erweiterungen für seine Software an die Kunden weiter. Vielen Anwendern (85 Prozent) seien der DSAG zufolge die Inhalte dieser Erweiterungspakete aber nicht bekannt. Da es oft auch keine Transparenz darüber gebe, welche Teile davon zusätzliche Lizenzen erforderten, würden die EhPs vielfach erst gar nicht aktiviert. Damit einher geht ein immer kritischerer Blick auf die Wartungsgebühren. Mehr als zwei Drittel der SAP-Anwenderunternehmen (69 Prozent) sehen keinen Mehrwert für die geleisteten Support-Zahlungen und würden den Wert der Wartung zunehmend hinterfragen.