Im Telegrammstil hört sich die Geschichte so an: "Fast abgeschlossene Verhandlungen zur Übernahme unserer Branchenlösung durch SAP, Scheitern der Verhandlungen, eigene Unternehmenstochter mit SBS zur Weiterentwicklung der Branchenlösung, Entwicklung der SAP-Branchenlösung IS-U-Waste, schwieriger, gesättigter Markt, Rückzug aus dem Wettbewerb mit SAP, jetzt wieder Annäherung an SAP."
Doch die Geschichte begann schon im Jahr 1996 und zog sich über sechs Jahre hin. Zwar sind die Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR) nicht die Einzigen, die SAP eine selbst entwickelte Lösung als neuen Standard verkaufen wollten. Doch Martin Urban, Leiter der Geschäfts-einheit Datenverarbeitung, Informations- und Kommunikationssysteme, ist als einer der wenigen CIOs bereit, über seine Erfahrungen zu berichten.
Allerdings kennt der heutige IT-Leiter die komplexen Ereignisse um die eigenentwickelte, SAP-basierte Branchenlösung auch nur vom Hörensagen und natürlich aus den Akten. "Die Entscheidungsträger, die in die Vorgeschichte direkt involviert waren - die Gründung der Tochter und die Verhandlungen mit SAP zur Übernahme der Branchenlösung -, sind nicht mehr im Hause tätig."
Tradtionell Eigenlösungen bevorzugt
Urbans Vorgänger hatten Großes im Blick, als sie beschlossen, ihr selbst entwickeltes System als Branchenlösung an die Walldorfer zu verkaufen. Die Berliner sind, so betont Urban, einer der größten kommunalen Entsorger Europas mit 6000 Beschäftigten und 2000 Fahrzeugen, die durch IT täglich koordiniert werden müssen.
Doch auf ihre selbst entwickelte Software konnten die IT-Chefs wirklich stolz sein. Denn ein ähnliches Modul für die Abfallwirtschaft gab es damals noch nicht - und das ist bis heute eigentlich so geblieben. Die meisten Entsorger haben traditionell Eigenlösungen entwickelt. Dagegen waren die Berliner die Ersten, die bei ihrer Eigenentwicklung auf SAP gesetzt haben.
Die Berliner kamen nur bis Bassum
Am 18. November 1998 hatten die BSR zusammen mit Siemens Business Services SAWIS gegründet. SAWIS steht für "Siemens Applied Waste Management Integrated Solutions". 74 Prozent hielt SBS, 26 Prozent lagen bei BSR. Urban: "Wir kannten unsere Schwächen", sagt der IT-Chef. Die Münchener, so dachte man, würden mit ihren Kontakten schon für den weltweiten Vertrieb sorgen.
Doch statt Kunden in der ganzen Welt für das jetzt "Awision" genannte Abfallwirtschaftliche Informationssystem zu gewinnen, hatten BSR plus SBS Ende 1999 nur die Abfallwirtschaftsgesellschaft im kleinen Bassum bei Bremen (16 000 Einwohner) als Kunden. Das damalige Amt für Abfallwirtschaft München, heute Abfallwirtschaftsbetrieb München, erwarb im Jahr 2000 lediglich das Wiegedatensystem und damit nur einen kleinen Baustein der Entwicklung. Urban konstatiert: "Wir waren zu optimistisch. Es gab zwar breites Interesse und viele Interessenten, letztlich aber keine Abschlüsse." Am 20. September 2002 kam deshalb das Aus für die gemeinsame Gesellschaft. "Es ist viel Herzblut in die Sache geflossen", sagt IT-Chef Urban, doch "die Abfallwirtschaft ist zu unterschiedlich, der Markt sehr eng". Die Anforderungen von öffentlichen und privaten Entsorgungsunternehmen lägen zu weit auseinander. Zum Glück sei man "mit einer schwarzen Null" herausgekommen.
Urban rät darum, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren: "Eigentlich ging es uns ja nie darum, viel Geld zu verdienen, sondern unsere Prozesse zu unterstützen." Nach dem Abenteuer konzentriert sich die BSR-IT jetzt wieder auf die Unterstützung des operativen Geschäfts.
Ähnliche Probleme wie SAWIS hat nach Urbans Angaben auch SAP mit seinem Modul erfahren. Nach seinen Worten gibt es in Hamburg und Frankfurt zwar inzwischen einen Piloten der SAP-Lösung "IS-U Waste, doch eine größere Verbreitung lässt auch hier auf sich warten.
Urban sieht positiv in die Zukunft: "Wir haben konstruktive Gespräche mit SAP im Arbeitskreis der Anwender in der kommunalen Entsorgung. Am Ende der Geschichte sieht es nach Wiederannäherung aus.