Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) will den Aufbau einer souveränen europäischen Cloud-Infrastruktur beschleunigen und hat in diesem Zusammenhang den vorzeitigen Beginn eines Projekts von SAP genehmigt. Der deutsche Softwarekonzern soll noch vor der finalen Beihilfeentscheidung der Europäischen Kommission ein Zeichen setzen, geht aus einer Mitteilung des Ministeriums hervor.
Die Initiative gehört zu einem 2021 gestarteten Projekt mit dem etwas sperrigen Kürzel IPCEI-CIS. IPCEI bezeichnet ein "Important Project of Common European Interest" und CIS steht für Cloud Infrastructure and Services. Derzeit laufen insgesamt sechs IPCEI-Projekte, neben dem Cloud-Vorhaben geht es darin beispielsweise um Mikroelektronik und Chipentwicklung, Batterietechnik sowie für die Forschung rund um den Einsatz von Wasserstoff.
Im Rahmen des IPCEI Industrial Cloud arbeiten europaweit zwölf Mitgliedsstaaten sowie 150 Unternehmen und Forschungseinrichtungen zusammen, verlautete von Seiten des BMWK. Das Projekt von SAP sei das erste von insgesamt 22 deutschen Projekten. Bis zum soeben angekündigten Start ist allerdings schon einige Zeit ins Land gegangen.
Bereits Anfang Juli 2021 hatte das Ministerium in Berlin einen Aufruf zur Beteiligung am IPCEI-CIS gestartet. 22 Projektskizzen wurden ausgewählt und haben von Oktober 2021 bis Februar 2022 an einem Matchmaking-Prozess auf europäischer Ebene teilgenommen. Das Ziel: Weitere Partner aus den beteiligten Vorhaben anderer Mitgliedstaaten zu gewinnen und so ein integriertes europäisches Gesamtprojekt zu entwickeln.
Die internationale Konkurrenz schläft nicht
Jetzt, ein gutes Jahr später, geht es um die Umsetzung. Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, bezeichnete Industrial Cloud als zentrales Vorhaben für mehr Resilienz und eine stärkere digitale Souveränität in der EU. "Wir brauchen eine starke europäische Cloud-Infrastruktur. Daher ist es wichtig, hier mit Tempo voranzugehen, denn die internationale Konkurrenz schläft nicht."
Das rasante Entwicklungstempo, mit dem US-amerikanische Hyperscaler wie AWS, Google und Microsoft ihre Cloud-Infrastrukturen ausbauen, scheint Habeck zu beunruhigen. Deshalb ermögliche man jetzt den Start des Projekts von SAP, so der Minister. Damit könne eine wichtige Grundlage für das Gesamtprojekt und verschiedene Teilvorhaben gelegt werden. "Die zügige beihilferechtliche Genehmigung des IPCEI Industrial Cloud ist dann der nächste Schritt und hat für mich hohe Priorität."
Das IPCEI Industrial Cloud soll zentrale und dezentrale Rechenkapazitäten unterschiedlicher Akteure auf einer gemeinsamen technologischen Grundlage zusammenführen, so die Wunschvorstellung des Wirtschaftsministeriums. Dies ermögliche eine anbieterunabhängige Datenverarbeitung in Echtzeit über Unternehmens- und Ländergrenzen hinweg und eröffne der Industrie Chancen auf innovative digitale Geschäftsmodelle. Das Ziel: fortschrittliche Cloud-Lösungen, die ein leistungsfähiges Angebot für die selbstbestimmte Speicherung, Nutzung und Verarbeitung von Unternehmensdaten in Europa ermöglichen.
SAP soll offene Referenzarchitekturen entwickeln
SAP soll zusammen mit anderen IPCEI-Partnern offene Referenzarchitekturen (ORA) entwickeln, auf deren Basis europäische Unternehmen Sovereign-Cloud-Ansätze verfolgen können. Aus Sicht der Politik soll so eine paneuropäische Cloud-Edge-Infrastruktur entstehen. Das Projekt ORA ermögliche dem Wirtschaftsministerium zufolge den Umgang mit Software und Daten unter offenen und fairen Wettbewerbsbedingungen. Schlüssel dafür seien der Einsatz von gemeinsamen Schnittstellen, KI-Basisdienste, eine anbieterübergreifende Optimierung der Datenverarbeitungsprozesse sowie ein gemeinsames Betriebssystem.
Mit einer so standardisierten europäischen Industrie-Cloud hätten andere Anbieter, insbesondere kleinere und mittelgroße Unternehmen, die Möglichkeit, sich mit einer niedrigen Eintrittsbarriere in ein dezentrales Ökosystem einzuklinken. Darüber hinaus will ORA offene Schnittstellen bieten, indem eine gemeinsame Dienste- und Berechtigungslösung entwickelt wird. Im Ergebnis werde so die technische Interoperabilität verschiedener Anwendungen und Daten sichergestellt.
Noch bleiben rund um IPCEI-CIS und ORA viele Fragen offen. Vor allem aus technischer Perspektive ist derzeit noch unklar, wie der Unterbau der europäischen Industrie-Cloud aussehen soll. "Alle Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten werden deutlich über den globalen Stand der Technik hinausgehen und den Bedarf der Industrie hinsichtlich Energieeffizienz, Nachhaltigkeit, IT-Sicherheit und Offenheit gerecht werden", heißt es dazu in der Mitteilung des Wirtschaftsministeriums. Zwischen den Zeilen klingt damit durch, dass das Vorhaben einige Zeit beanspruchen wird.
Was wird aus Gaia-X?
Unklar ist auch das Verhältnis von IPCEI-CIS zu dem anderen großen europäischen Cloud- und Datenraum-Projekt Gaia-X. Hieß es vor zwei Jahren beim BMWK noch, IPCEI-CIS werde auf Gaia-X aufbauen, scheint man heute auf Distanz zu gehen. "Das IPCEI ist synchronisiert mit Gaia-X", steht in der aktuellen Mitteilung zum Projekt.
Wie es um Gaia-X steht lesen Sie hier:
Auch hinter der Finanzierung stehen Fragezeichen. Das Gesamtinvestitionsvolumen aller europäischer Partner liegt nach Angaben des deutschen Wirtschaftsministeriums bei rund fünf Milliarden Euro. Das liegt unter den ursprünglichen Erwartungen. Vor knapp zwei Jahren war noch von einem hohen einstelligen Milliardenbetrag aus öffentlichen und privaten Mitteln die Rede. Deutschland wollte für dieses Projekt einen Betrag in Höhe von 750 Millionen Euro aus den Mitteln des Europäischen Wiederaufbaufonds bereitstellen - so der Stand vor zwei Jahren. In der aktuellen Mitteilung schweigt sich das Ministerium über konkrete Finanzierungszusagen aus.
Ob es Habeck angesichts der momentanen Haushaltsstreitigkeiten mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) gelingt, die benötigten Mittel loszueisen, gilt als fraglich. Zuletzt klang immer wieder durch, dass Digitalisierungsprojekte wegen der leeren Kassen keine hohe Priorität mehr besäßen. Gelder für Projekte wie Gaia-X wurden einfach gestrichen.
Jetzt ist Handeln angesagt
Die IT-Branche hofft derweil auf einen Erfolg des europäischen Projekts. Cloud- und Edge-Computing bildeten die Basis für Zukunftstechnologien wie Big Data und Künstliche Intelligenz, sagte Bitkom-Präsident Achim Berg. "Der heutige Förderstart beim europäischen Gemeinschaftsprojekt IPCEI-CIS ist ein wichtiger industriepolitischer Impuls und markiert den Übergang von der Diskussion zum konkreten Handeln." Allerdings müssten auch zügig alle weiteren Teilprojekte in die Umsetzung kommen. Wichtig sei, die dezentral und regional verteilten Anbieter von Cloud- und Edge-Lösungen in Europa besser zu vernetzen und offene und inklusive Standards voranzubringen.
Berg betonte, wie wichtig eine dezentrale Datenverarbeitung etwa für Anwendungsbereiche wie das autonome Fahren, Datenanalysen in der Produktion oder die Dezentralisierung des Energiesystems sei. Die großen internationalen Cloud-Anbieter hätten Edge Computing hier als wichtiges Wachstumsfeld ausgemacht und entsprechende Angebote entwickelt. Eine gemeinsame Antwort aller EU-Mitgliedstaaten über Landes- und Unternehmensgrenzen hinweg sei ein entscheidender Beitrag zu einer stärkeren europäischen digitalen Souveränität.