Schummriges Licht, eine kleine Bühne, Rotwein auf den Tischen - genau das richtige Ambiente für August-Wilhelm Scheer. Gelassen betritt der Firmengründer (IDS Scheer), Bitkom-Präsident und vormalige Professor die Jazzbar Vogler in Münchens Szene-Viertel Glockenbach. Statt Nadelstreifen trägt er schwarz - ohne Schlips natürlich - und statt Laptop ein Baritonsaxofon. Scheer spielt in der Band "Groovin’ High" rund um den Drummer Oliver Strauch.
Jazz und Wirtschaft - das ist die neue Mission des 68-Jährigen. Scheer will, dass beide Bereiche voneinander lernen. Daher tourt er mit Groovin’ High durch Clubs und tritt in Unternehmen auf. Doch bevor er an diesem Novemberabend das Münchner Publikum jazzt, hat er Zeit für ein Gespräch mit cio.de.
Herr Scheer, Sie tauschen das Chef-Büro gegen die Jazz-Bühne - was ist das für ein Gefühl? Wie gehen Sie mit Lampenfieber um?
Scheer: In angespannter Erwartung eines starken Erlebnisses und leicht nervös. Gegenüber dem Lampenfieber vor einer Keynote bei einem Business-Event überwiegt aber die Vorfreude auf etwas Besonderes, etwas Beglückendes. Bei einem Business-Vortrag geht es mehr darum, eine vorbereitete konzentrierte Leistung abzuliefern, aber es ist kein emotionales Highlight zu erwarten. In einem Jazzkonzert passiert viel Unerwartetes. Man muss risikobereit sein und spürt dieses auch. Man kann nicht mehr tun, als sein Bestes zu geben - und dieses Gefühl bringt plötzlich eine innere Gelassenheit.
Mit wem arbeiten sie lieber zusammen - mit Informatikern oder Jazzern?
Scheer: Am liebsten arbeite ich mit Informatikern zusammen, die offen, spontan und gruppenorientiert sind wie Jazzmusiker. Übrigens sind viele Jazzmusiker auch Computerfreaks und ich kenne auch Informatiker, die Jazzmusik machen.
Improvisieren heißt, unter höchstem Zeitdruck kreativ sein
Was haben Jazz und IT gemein? Dass man gut improvisieren können muss?
Scheer: Gekonnt zu improvisieren heißt, spontan und unter höchstem Zeitdruck kreativ zu sein. Gleichzeitig muss der Jazzmusiker den Zusammenhalt zu den anderen Musikern bewahren und seine spontanen Einfälle müssen einen musikalischen Sinn ergeben. Viele dieser Eigenschaften sind auch in der IT-Welt gefragt. Auch hier leben wir in einer sich ständig verändernden Welt. Gekonnt auf neue Entwicklungen zu reagieren und in einem Entwicklungsteam die Schnittstellen zu den anderen Teammitgliedern ständig zu beachten, sind wichtige Fähigkeiten. Die Entwicklungsgeschwindigkeit der Jazzmusik im letzten Jahrhundert vom New-Orleans-Jazz zum modern Jazz ist ähnlich hoch gewesen wie die der IT. Offen zu sein für neue Entwicklungen ist deshalb bei beiden Bereichen erforderlich.
Sie wollen sich künftig stärker für den Austausch von Jazzwelt und Wirtschaftswelt einsetzen. Wie gehen sie konkret vor?
Scheer: Ich halte Vorträge zum Thema Jazz und Management, bei denen ich mit einer tollen Band auftrete und dann konkrete Beispiele für die Zusammenhänge zeige. Auch trete ich bei Business- Veranstaltungen mit Jazzbands auf, um eingefahrene Rollenklischees zu durchbrechen. Ich unterstütze die Jazzscene auch finanziell als Sponsor und würde mich freuen, wenn dies noch mehr aus der Wirtschaft geschehen würde, da der Jazz nicht so stark von öffentlichen Subventionen unterstützt wird.
Auf den Punkt gebracht - was können ITler und andere Manager vom Jazz lernen?
Scheer: Starke Selbstbestimmung durch die Improvisationsfreiheit, Mut zum Outen der Persönlichkeit, Risikobereitschaft für neue Wege, Zuhören auf Ideen anderer und diese weiterentwickeln.
Der Wirtschaftsinformatiker August-Wilhelm Scheer habilitierte sich 1974 und gründete 1984 das Software-Unternehmen IDS Scheer AG. Seit Juni 2007 ist er Präsident des Branchenverbandes Bitkom. In Oliver Strauchs Jazzband Groovin’ High spielt er Baritonsaxophon. Seine August-Wilhelm-Scheer-Stiftung für Wissenschaft und Kunst finanziert eine Jazz-Professur an der Hochschule für Musik Saar.
Das Gespräch führte Christiane Pütter.