Umgang mit einem Tabu

Scheitern erlaubt!

31.08.2016 von Georg Kraus
Wer in unserer Gesellschaft scheitert, wird schnell als „Loser“ abgestempelt. Ähnlich verhält es sich in vielen Unternehmen: Wer dort zum Beispiel ein Projekt gegen die Wand fährt, muss mit einem Karriere-Knick oder gar -Aus rechnen. Deshalb fällt es vielen Menschen schwer, sich und anderen einzugestehen: Ich bin oder war auf dem falschen Weg. Dadurch berauben wir uns vieler Lernchancen.

Was ist ein Fuck-up? Das Gegenteil eines Start-ups - oder zumindest eine mögliche Konsequenz hiervon. Jahr für Jahr werden allein in Deutschland circa 300.000 Unternehmungen gegründet; also mehr als 800 pro Tag. Doch nur jedes Zehnte hat Erfolg. Das heißt: Bei circa 270.000 Jungunternehmern und Selbstständigen ist das Scheitern programmiert.

Bei circa 270.000 Jungunternehmern und Selbstständigen ist das Scheitern programmiert.
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Und wenn sie scheitern? Sind sie dann stolz auf diese Erfahrung und die Lehren, die sie hieraus zogen? Erzählen sie anderen davon, lecken ihre Wunden und starten gereift und gestärkt neu durch? Eher selten! Wer in Deutschland scheitert, schweigt. Denn scheitern ist tabu: Es riecht nach Schwäche, schmeckt nach Fehlern. Im besten Fall erzeugt es Mitleid beim Gegenüber. Im schlimmsten Fall ist der Misserfolg ein scharlachrotes Brandmal. Das Umfeld reagiert mit Abneigung und Ausgrenzung, versteckter Schadenfreude oder Häme. Ein "Loser" zu sein, das ist nicht lustig. Es ist peinlich: ein Grund zum Schämen und zum Schweigen.

Darüber zu sprechen befreit

Doch seit zwei, drei Jahren gibt es einen Trend, der mit diesem Tabu bricht. Die Mexikanerin Leticia Gasca hatte die Geschäftsidee, Indio-Kunsthandwerk übers Internet zu verkaufen. Die Umsetzung ging schief. Zunächst hatte die junge Unternehmerin Hemmungen, über ihr Scheitern zu sprechen. Doch dann erzählte sie Freunden davon und merkte, wie wichtig es für sie war, diese Erfahrung zu teilen.

So entstand die Idee von FuckUp-Nights - Treffen, die Raum geben, Geschichten vom eigenen Scheitern zu erzählen. Und viele Menschen kamen. Denn die Frauen und Männer, die es sich erlaubten, offen über ihr Scheitern zu reden, erlebten dies wie eine Katharsis. Sie wurden wieder frei von Scham, Angst und Selbstverurteilung. Frei für den nächsten Versuch, den nächsten Start.

Inzwischen hat dieser Trend viele Länder erfasst. Und in zahlreichen Großstädten finden regelmäßig solche "Loser-Treffen" statt: Storytelling, um das Erlebte zu verarbeiten; Misserfolge salonfähig machen. Das ist ein sinnvoller Weg, um nicht in einer Art Schockstarre zu verharren, sondern wieder Mut zu fassen, aufzustehen und durchzustarten.

Fuck-up-Nights: auch sinnvoll in Unternehmen?

Solche Foren und Freiräume sind nötig - auch in Unternehmen. Denn nicht nur viele Vorstände, (Projekt-)Manager und Führungskräfte in ihnen, sondern auch Mitarbeiter, die operative Verantwortung tragen, scheuen sich zunehmend, Risiken einzugehen - aus Angst zu scheitern, am (gesellschaftlichen) Pranger zu stehen, das Stigma "Loser" auf der Stirn zu tragen.

Doch wer soll in unserer Gesellschaft, in unseren Unternehmen noch herausfordernde Aufgaben übernehmen und zukunftsweisende Entscheidungen, die stets risikobehaftet sind, treffen, wenn wir eine Kultur tolerieren, die ein Scheitern verurteilt? Was passiert dann mit dem Unternehmergeist, dem Pionierdenken, der Entdeckerfreude, dem Veränderungswillen, der unsere Gesellschaft und die Unternehmen vorantreibt?

Thomas Edison, der Erfinder nicht nur der Glühbirne, erhob das Fehler-Machen und Scheitern zum Prinzip. Als ein Mitarbeiter nach dem tausendsten Versuch, eine marktreife Glühbirne zu entwickeln, sagte "Wir sind gescheitert", soll Edison erwidert haben: "Ich bin nicht gescheitert. Ich kenne jetzt 1000 Wege, wie man keine Glühbirne baut." Dieses Denken fehlt uns zunehmend. Wir haben vergessen, wie wertvoll die Erfahrungen sein können, die Menschen im Kontext mit Misserfolg sammeln.

Sie heben den Reifegrad und verbessern die Performance bei den nachfolgenden Aufgaben und Versuchen - wenn die Erfahrungen reflektiert und verarbeitet werden. Doch leider fördert die Kultur in unserer Gesellschaft und in vielen Unternehmen das Gegenteil. Ein Scheitern ist nicht erlaubt. Und Menschen, die gescheitert sind, bekommen selten eine zweite Chance. Doch so kann kein Lernen erfolgen. Vielleicht sollte es auch in den Unternehmen FuckUp-Nights oder -Meetings geben, in denen Mitarbeiter freimütig darüber berichten, wie sie zum Beispiel

- ein Projekt krachend gegen die Wand fuhren, oder

- eine Auftragschance so richtig vergeigten, oder

- einer absoluten Fehleinschätzung unterlagen, oder

- zu lange an einer falschen Strategie festhielten.

Ein Umdenken ist nötig

Außer den Köpfen der "Gescheiterten" würde dies auch die Köpfe vieler ihrer Kollegen wieder freier machen, die in der ständigen Angst leben: "Das darf mir nicht passieren, sonst...". Vermutlich würden solche Nächte oder Meetings einen Beitrag leisten dazu, dass Fehler als Chance gesehen werden und Personen, die auf dem Holzweg sind oder waren, sich und anderen offen eingestehen können: "Das ist zwar dumm gelaufen, doch ich habe daraus viel gelernt."

Auch die Personalverantwortlichen sollten umdenken. In vielen Unternehmen bedeutet zum Beispiel ein gescheitertes Projekt noch das Karriere-Aus. Also wird das sich abzeichnende Scheitern so lange verschwiegen bis die Fehlentwicklung zum Himmel stinkt, und mittelmäßige Ergebnisse werden so stark beschönigt, dass sie in gleißendem Licht erstrahlen. Und bewirbt sich ein gescheiterter Selbstständiger bei Unternehmen? Dann fassen ihn diese, wenn überhaupt, meist nur mit Glacéhandschuhen an. Dabei sollten solche Bewerber einen Bonus haben, denn sie zeigten Eigeninitiative und -verantwortung und wissen, wie man gewisse Dinge nicht machen sollte, wenn man erfolgreich sein möchte.

Eigentlich sollten die Personalverantwortlichen in den Unternehmen Bewerber - zumindest solche, die sich für eine Position bewerben, die viel Eigeninitiative und -verantwortung erfordert - in Vorstellungsgesprächen stets fragen:

- "Sind Sie in Ihrem (Berufs-)Leben schon einmal so richtig gescheitert?". Und:

- "Was haben Sie daraus gelernt?".

Und wenn auf der ersten Frage nichts kommt, dann sollten sie sich überlegen: Stellen wir diese Person wirklich ein? Denn dann hat der Bewerber für seine künftige Position sehr wichtige Erfahrungen noch nicht gemacht. Oder er hat sie verdrängt. Oder er lügt. In allen drei Fällen ist er wohl nicht der Richtige.

Wie Ihre Projekt-Management-Software garantiert scheitert
Platz 10: Intensive Recherche
Lassen Sie den gesamten europäischen Raum nach einer für Ihr Unternehmen passenden Softwarelösung durchforsten.<br /><br /> Zum einen stellt dies sicher, dass alle in den nächsten Monaten mit der Software-Recherche beschäftigt sein werden und sich eine wahre Informationsflut in Ihr Unternehmen ergießen wird. Sie zeigen Aktion und stellen zudem sicher, dass niemand in absehbarer Zeit eine Entscheidung treffen wird.
Platz 9: Fragenkatalog
Konfrontieren Sie Anbieter von Projekt-Managemet-Software mit einem sehr umfassenden Fragekatalog, der sich aus den Features aller zuvor recherchierten Anbieter speist.<br /><br /> Damit erhöhen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass Anbieter, die sich auf Ihre wirklichen Bedürfnisse spezialisiert haben, früh ausscheiden.
Platz 8: Vage Anforderungen
Halten Sie Ihre konkreten Anforderungen eher vage und allgemein und verpflichten Sie alle Anbieter, schriftlich zu bestätigen, dass ihr Produkt alle erdenklichen Anforderungen abdeckt. Das siebt weitere seriöse Anbieter aus dem Rennen.
Platz 7: Viele Schnittstellen
Beschreiben Sie die Notwendigkeit von zahlreichen Schnittstellen in alle möglichen Systeme, obgleich Sie heute Projektmanagement mit Papier machen.<br /><br /> Das macht den Angebotsprozess spannender, da sich die Anbieter die Wirkungsweise und den Business-Case Ihrer Schnittstellen ausdenken können. Das schafft im wahrsten Sinne "unvergleichbare" Angebote, die sich niemand trauen wird, zu beauftragen.
Platz 6: Umfassende Ablösung
Konnten Sie den Auswahlprozess dennoch nicht verhindern, können Sie nun im Einführungsprozess Ihre Asse ausspielen. Bringen Sie bereits im erste Kickoff die Notwendigkeit zur Sprache, das PM-Tool in allen wesentlichen Prozessen des Unternehmens zu verankern und ggf. eine Vielzahl von Tools abzulösen.<br /><br /> Das schafft Ängste bei allen Akteuren und lässt Widerstände entstehen. Zudem ist mit einer Maximalforderung jedes Einführungsteam überfordert und verkomplizieren sich alle Folgeschritte.
Platz 5: Ohne Betriebsrat
Halten Sie den Betriebsrat möglichst lange von dem Einführungsprojekt fern. Damit erhöht sich die Chance einer bereits von Beginn entstehenden gespannten Stimmung zwischen Betriebsrat und Einführungsteam.
Platz 4: Keine Schulung
Führen Sie eine PM-Software ein, ohne die die dahinter liegenden Methoden und Prozesse zu erklären oder gar zu schulen.<br /><br /> Das Nichtverständnis führt dazu, dass sich alle Anwender schwer mit der Methode tun und dies jedoch dem Tool anlasten.
Platz 3: Doppelte Arbeit
Lassen Sie parallel zum neuen PM-Tool alle Daten sicherheitshalber in den alten Werkzeugen doppelt erfassen. Sie müssen ja schließlich dafür Sorge tragen, dass das Unternehmen nicht zusammenbricht.<br /><br /> Da werden sich alle Anwender freuen. Doppelter Aufwand bei gleichzeitig neuen Arbeitsprozessen. Die Herzen der Anwender werden Ihnen entgegen fliegen.
Platz 2: Chaos
Lassen Sie die Projekte so detailliert wir möglich ausplanen und in dem Tool erfassen. Am besten alles in den Projektablaufplan mit tausenden Abhängigkeiten. Spätestens nach der Ersteingabe wird jedem Anwender klar, dass er diesen Plan nicht mehr anfassen wird.<br /><br /> Damit schlagen Sie gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe. Der Plan wird nicht mehr aktualisiert, was ein effizientes Ressourcenmanagement an absurdem führt. Die Statusberichte werden aus diesem Grund weiterhin in Microsoft Project "gefaked" und die ohnehin gering ausgeprägte Begeisterung zum Erfassen von Arbeitszeiten wird nun zu einem echten Event: "Finde die richtige Aktivitäten!"
Platz 1: Nebenkriegsschauplätze
Initiieren Sie nach der Einführung eine Vielzahl von "Maßnahmen", die als inoffizielle Projekte nicht über das PM-Tool abgewickelt werden müssen. Das bringt viel Neider auf den Plan und beschädigt praktischer Weise die offiziellen Projekte, da Sie selbstverständlich deren Ressourcen nutzen werden.<br /><br /> Nach ungefähr 6 Monaten wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nach einem neuen PM-Tool Ausschau gehalten.<br /><br /> Gratulation! Starten Sie nun wieder bei Platz 10!

Auf Warnsignale achten und hören

Wenn wir das Tabu des Scheiterns auflösen möchten, muss sich auch unsere Reaktion auf Warn- oder Alarmsignale ändern. Meist reagieren Personen (und Organisationen) heute auf ein sich abzeichnendes Scheitern wie folgt:

Reaktion 1: Verdrängung.

Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Die Realität wird ausgeblendet, Warnsignale und Fakten werden verdrängt.

Reaktion 2: Augen zu und durch.

Dieses Verhalten registriert man oft bei Selbstständigen, deren Business scheitert. Statt Insolvenz anzumelden und an die Öffentlichkeit zu gehen, werfen sie gutem Geld schlechtes hinterher - häufig mit der Begründung: "Jetzt hab ich schon so viel investiert, da kann ich doch nicht einfach aufhören...". Augen zu und durch! Dieses Verhalten beobachtet man auch in Unternehmen - zum Beispiel bei Projekten. Spricht man mit Beteiligten über gescheiterte Projekte, dann sagen sie oft:

"Eigentlich war uns vor einem Jahr schon klar: Wenn wir unsere Strategie, unser Vorgehen, unsere Ziele nicht ändern, dann erleiden wir Schiffbruch." Doch Stopp sagen? Auf keinen Fall! Denn das wäre ein Eingeständnis des Scheiterns. Oft sind genau dies die Momente, in denen die Beteiligten dringend Unterstützung bräuchten: jemanden, um sich auszutauschen und neu zu finden. Doch fatalerweise sind genau dies auch die Momente, in denen viele von uns dicht machen, die Ohren zuklappen und nicht mehr aufnahmefähig sind. Augen zu und durch!

Es ist paradox: Gerade in Stress-Phasen, wenn wir einen klaren Kopf bräuchten, verlieren viele Menschen diesen; ebenso ihren messerscharfen Verstand und ihre Fähigkeit, sich zu entscheiden. Und genau dann, wenn sie die meiste Energie bräuchten, um Lösungen zu finden und neue Wege zu beschreiten, fehlt ihnen diese. Sich dessen bewusst zu sein, ist gerade für Führungskräfte wichtig - nicht nur um Mitarbeitern im Bedarfsfall die nötige Unterstützung zu gewähren. Auch ihr eigenes Befinden und Handeln müssen sie gut im Blick haben, damit sie merken, wenn etwas ins Un-gleichgewicht gerät und sich in ihrem Inneren solche warnenden Stimmen melden wie:

- Achtung, ich bin nicht mehr Herr der Situation. Oder:

- Achtung, ich bin nicht mehr souverän!

Die Chancen im Scheitern sehen

Führungskräfte, die, wenn sie solche Warnsignale registrieren, innehalten und alleine oder mit einem Unterstützer ihre Ängste und ihr Verhalten reflektieren, haben eine große Chance, das sich abzeichnende Scheitern abzuwenden; diejenigen jedoch, die dicht machen und in der Sackgasse stecken bleiben, knallen gegen die Wand.

Deshalb der Appell: Achten Sie auf Ihre inneren Warnsignale. Versuchen Sie, früh zu erkennen, wann die Gefahr besteht, dass Sie in einer Sackgasse landen. Und suchen Sie sich dann jemanden, mit dem Sie die Situation reflektieren können. Denn nur, wenn wir es wagen, uns die Möglichkeit eines Scheiterns einzugestehen, können wir uns von den Automatismen lösen, in die wir oft verfallen, wenn ein Scheitern droht. Und nur wenn wir uns unser (partielles) Scheitern eingestehen, können wir auch die Chancen sehen, die hieraus entstehen.