Im Büro von Wolfgang Vogel bei Blohm + Voss im Hamburger Hafen hängt das Holzmodell eines Schiffsrumpfes. Unaufgeregt hanseatisch ist die Arbeitsatmosphäre bei der Traditionswerft, die zur Thyssen Krupp Marine Systems AG (TKMS) gehört. Der für Product-Lifecycle-Management (PLM)-Systeme zuständige Vogel blickt aus dem Fenster auf einen einfachen Werkshof. Und dann rutscht dem IT-Verantwortlichen doch diese eine Vokabel raus, die man eher aus den Präsentationen von Beratern kennt: "Enterprise Agility", sagt Vogel und hält dann kurz inne. "Eigentlich bin ich keiner, der Schlagworte gebraucht", sagt er. "Aber inzwischen kann ich mich durchaus für den Begriff Enterprise Agility begeistern."
Das Konzept vom Unternehmen, das blitzschnell auf neue Marktanforderungen reagiert, ist für viele IT-Profis reizvoll. Dass Vogel die TKMS in dieser Hinsicht als besser aufgestellt betrachtet, liegt am PLM-System, das unter seiner Ägide eingeführt wurde. TKMS setzt die PLM-Software Teamcenter von UGS zur Konstruktion und zur Fertigungssteuerung ein. Der Verbund, der mehrheitlich zum Stahlkonzern Thyssen Krupp gehört und im Jahr rund 2,2 Milliarden Euro umsetzt, besteht aus Werften in Kiel, Rendsburg und Emden sowie Standorten in Schweden und Griechenland. 2002, also lange bevor auch die Hanseaten im Januar 2005 in den Verbund integriert wurden, hatte Blohm + Voss nach einer sechsmonatigen Planungszeit begonnen, die Software einzuführen, um kniffelige Militärprojekte effizient abwickeln zu können.
Heute dient sie nicht nur als Werkzeug zum Produktdaten-Management, sondern auch als Projekt-Management-System. Dadurch kam TKMS beinahe zufällig zu einem Werkzeug, das sich nun als wichtig für ein Geschäftsfeld erweist, welches sich erst kurzfristig zum Umsatzbringer entwickelt hat und von dem Werftenverbund große Flexibilität erfordert: den Bau von Luxusyachten. Das Geschäft boomt, rund 30 schwimmende Luxus-Riesen werden derzeit nach Angaben des Verbandes für Schiffbau und Meerestechnik (VSM) bei TKMS und auf anderen Werften in Norddeutschland gebaut. "Unsere Mitgliedsfirmen gehen davon aus, dass der Markt sich auch weiterhin gut entwickeln wird", sagt VSM-Referent Gerhard Carlsson.
Fregatten zu Luxus-Yachten
Für die rund 9.000 TKMS-Mitarbeiter ist der Luxusschiff- Boom ein Segen, denn im internationalen Militärschiffbau herrscht Flaute. "Heute sind Produktfelder, die noch vor fünf Jahren bei uns keine Rolle spielten, für mehr als 50 Prozent des Umsatzes von Blohm + Voss verantwortlich", sagt Vogel. Bedeutende Marineaufträge aus dem Ausland fehlen dagegen.
Doch das neue Geschäft ist anspruchsvoll. Wer mehr als 100 Millionen Euro für eine Yacht bezahlt, hat seine Sonderwünsche. "Geht nicht" gibt es nicht als Antwort, wenn Oligarchen wie Roman Abramowitsch oder Software-Milliardäre wie Larry Ellison Schiffe kaufen, egal, wie aberwitzig die Vorgaben scheinen. Private Mini-UBoote oder Gewächshäuser müssen die Konstrukteure in die Entwürfe integrieren - und immer öfter auch Hubschrauberlandeplätze. Doch die vermögenden Auftraggeber sind auch dafür bekannt, dass sich ihre Vorstellungen schnell ändern - etwa, wenn ein anderer Oligarch vor Nizza mit einem Beiboot protzt und deshalb ein entsprechender Boot-Hangar noch nachträglich in die Konstruktionszeichnungen des neu bestellten Schiffs integriert werden muss.
Die PLM-Lösung ermöglicht es, Änderungswünsche schneller und vor allem günstiger als früher zu realisieren. Pro Meter Yacht veranschlagen Branchenkenner einen Preis von 1,5 Millionen Euro und mehr. Und wenn umgebaut werden muss, bleibt es in der Regel nicht bei punktuellen Änderungen. Wurde in einem Raum die Abwärme eines Computers oder Motors unterschätzt, so dass eine Raumkühlung eingebaut werden muss, hat das auch Auswirkungen auf die umliegenden Räume. Die Arbeit von Wochen ist dann umsonst gewesen, die Konstrukteure fangen wieder von vorne an.
"Fehler sind extrem teuer"
Die PLM-Software stellt auch sicher, dass bei Re-Design-Prozessen tatsächlich alle Änderungen übernommen werden und nur das geplant wird, was sich in der Praxis auch wirklich bauen lässt. "Fehler sind in unserer Branche extrem teuer", sagt Vogel. In Spitzenzeitenarbeiten bei TKMS bis zu 50 Ingenieure an einem CAD-Modell, und die Konstruktionsunterlagen durchlaufen in der Regel sechs bis acht Mal einen Änderungs- und Freigabeprozess. Alle Entwürfe sind in einem gemeinsamen Datentresor abgelegt, der inzwischen mehr als zehn Millionen Dokumente umfasst und durch das PLM strukturiert wird. Immer ist für die 620 PLMAnwender klar zu erkennen, mit welcher Version ein Entwickler arbeitet und wer zuletzt etwas an dem Dokument geändert hat.
Konzertsaal statt Kriegsschiff
Der Eindruck, dass es zwischen Marine- und Luxusschiffbau kaum Überschneidungen gibt, täuscht. Viele Technologien, die für einen Bereich entwickelt wurden, nutzen auch dem anderen. Ein Beispiel ist etwa die Aufhängung, mit der TKMS-Ingenieure es schaffen, für Luxus-Yacht-Kunden ganze Konzertsäle zu integrieren. "Bei 20 Knoten soll man da einen Stecknadel fallen hören", sagt Vogel. Die Ingenieure konstruieren für solche Fälle einen Raum, der an Gummigelenken in einem weiteren Raum hängt und frei mitschwingt. Diesen Kniff haben sich die Yachtbauer aus der Kriegsschifftechnik abgeschaut, wo besonders schwere Motoren doppelt elastisch gelagert im Maschinenraum aufgehängt werden. Auch das Know-how beim Aufbau von Computernetzwerken, die oft bis zu 600 Komponenten umfassen und von der Stereoanlage bis zum Steuerrad in der Luxus-Yacht alles lenken, stammt aus dem Marinebau. Ähnliche Anlagen steuern auch die Geschütze von Fregatten.
Vogel stellt mit dem PLM-System nicht nur den Austausch von Komponenten und technischem Know-how sicher, sondern auch deren Nutzbarkeit an Standorten mit anderen Produktionsmitteln. "Die Ingenieure bauten in Kiel ganz ähnliche Schiffe wie unsere Fachleute in Hamburg, aber es gab keine prozessbezogene Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen", erinnert sich Vogel an die Zeit unmittelbar nach der Zusammenführung der Werften in der TKMS. Beispielsweise unterschieden sich die Genehmigungsverfahren in den Einzelunternehmen erheblich. "Jedem die vielen feinen, aber wichtigen Unterschiede zu seiner alten Arbeitsweise klar zu machen hätte viel zu lange gedauert", sagt Vogel. "Also brauchten wir ein Werkzeug, um über die Standorte hinweg Informationen zu verteilen und die Prozessabläufe durch elektronische Workflows zu unterstützen."
Heute sorgt die im PLM-System hinterlegte Logik dafür, dass jede Konstruktionsunterlage und Stückliste automatisch zum richtigen Reviewer kommen, ohne dass sich die Konstrukteure um die organisatorischen Änderungen der letzten Jahre Gedanken machen. Die PLM-Lösung ist über einen Online-Connector eng mit dem SAP-System der Werft verbunden. Jede Bestellposition einer Stückliste im PLM hat ein Daten-Pendant in SAP, der Produktstruktur auf der technischen Seite ist eine entsprechende Kosten- und Kalkulationsstruktur auf der kaufmännischen Seite der IT zugeordnet.
Mithilfe des dualen Systems können die Manager zum Beispiel entdecken, was jedes einzelne verbaute Element kostet oder wie viele Arbeitsstunden bereits für eine bestimmte Aufgabe verbraucht wurden und wie viele geplant waren. So erhalten sie ein Frühwarnsystem, das sie rechtzeitig darüber unterrichtet, wenn ein bestimmter Projektbereich aus dem Ruder läuft. Die Management-Reports werden in Vorstandssitzungen intensiv genutzt. Die Controller können zugleich strategisch entscheiden, wann welche Komponenten angeschafft werden. "Wir wissen innerhalb einer Viertelstunde, welche Auswirkungen es auf den Quartalsbericht hat, wenn ich die Hauptmaschine drei Monate früher bestelle als benötigt und sie bis zum Baubeginn lagere", sagt Vogel.
Zudem hat sich die Lösung PLM plus Connector plus SAP als extrem robust erwiesen. Sie verkraftete, dass im Zuge der TKMS-Integration am Ende 50 Prozent mehr Anwender das System nutzen als geplant. Bleibt eines der Systeme stehen, kann die andere Seite davon unbeeinflusst weiterarbeiten. Den größten Vorteil sieht Vogel darin, dass bei dieser Lösung jeder Anwender die Arbeits-Software nutzen kann, die er braucht und schätzt: "Die Controller müssen nur ihr SAP beherrschen, und die Konstrukteure können wie gewohnt ihr PLM benutzen."