Im vergangenen Jahr zeigte die deutsche Versicherungsbranche, welches Konsolidierungspotenzial in ihr steckt: Die Wüstenrot & Württembergische Versicherung übernahm die Karlsruher Versicherungen, die Provinzial-Regionalvertretungen von Münster und Kiel fusionierten ebenso wie die von Stuttgart und Wiesbaden, während München in Berlin einstieg. Selbst die Großen kaufen, um Skaleneffekte zu nutzen: Mit der größten Fusion seit acht Jahren übernahm der Gerling-Konzern die Talanx-Gruppe.
Überleben nur mit Schnelligkeit
Im Vergleich zu anderen Ländern prägt eine Vielzahl kleiner Unternehmen den deutschen Markt. Während die fünf größten Anbieter in Deutschland zusammen „lediglich“ auf einen Marktanteil von rund 50 Prozent bringen, schaffen die fünf Marktführer in der Schweiz etwa 80 Prozent. Laut Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) stiegen die Betragseinnahmen seiner Mitgliedsunternehmen auf 158 Milliarden Euro – 3,8 Prozent mehr als im Vorjahr.
IT gilt bei Versicherern als geschäftskritische Kernkompetenz. Nur wer seine Angebote schnell und transparent digitalisieren und auf den Markt bringen kann, sichert sein Überleben. Denn nach nur kurzer Zeit haben die Konkurrenten sehr ähnliche Produkt auf den Markt gebracht. Traditionell gelten Versicherer daher als eine Branche, die überdurchschnittlich viel in ihre IT investiert. So entfallen nach Angaben der Marktforscher von IDC 5,2 Prozent aller IT-Ausgaben, aber insgesamt nur ein Prozent der Beschäftigten auf das Versicherungsgewerbe in Deutschland. Bis zum Jahr 2009 sollen die Ausgaben laut IDC auf mehr als 3,8 Milliarden Euro steigen. Das entspricht einem jährlichen Wachstum von weniger als zwei Prozent; inflationsbereinigt kommt diese Steigerung llerdings einer Stagnation gleich.
Angesichts gedeckelter Ausgaben nimmt auch der Druck auf die IT-Abteilungen zu. Während sich die ITKostenführer nach Angaben der Beratungsgesellschaft Compass Deutschland mit rund 8000 Euro pro Mitarbeiter begnügen, spendieren die Schlusslichter mehr als 30000 Euro pro Mitarbeiter. Letztere investieren zu viel in die Pflege und Wartung der Infrastruktur und nutzen weder Skaleneffekte noch industrielle Steuerungsmethoden. „Der Rückstand der Versicherungen gegenüber anderen Branchen liegt vor allem an einer ziemlich ‚handgestrickten‘ Herangehensweise an die IT“, sagt Compass-Geschäftsführer Martin Lippert.
Ein gesteigertes Bemühen um mehr Effizienz beobachtet Stephan Heydorn, Geschäftsführer bei der Boston Consulting Group (BCG). Ihm zufolge ist der Anteil der Gesamt-IT-Kosten an den Bruttoprämieneinnahmen in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken. So rutschten die durchschnittlichen IT-Kostenquoten bei den Sachversicherern seit 2001 von fünf auf unter vier Prozent und bei den Kranken- und Lebensversicherern von 2,1 auf 1,8 Prozent. „In einigen Häusern wurden die Quoten noch deutlich aggressiver nach unten gemanagt“, erklärt Heydorn. „Eine weitere Reduzierung ist auch für die nächsten drei Jahre zu erwarten.“
Über die größten Einsparpotenziale herrscht unter den Experten Einigkeit. So senkten die Versicherer ihre IT-Kosten durch den verstärkten Einsatz von Standardsoftware. Insbesondere SAP drängt neben FJA, Cor, ID Soft und Innovas mit Vehemenz in den Markt für Vertragsverwaltung. Nach vielen Rückschlägen implementierte SAP im vergangenen Jahr erstmals das Schaden-Management-System auf Basis von SAP for Insurance Claims Management bei der Öffentlichen Versicherung Braunschweig.
Sparen durch Kooperationen
Außerdem wuchs die Bereitschaft, bei Kernprozessen wie Abschlüssen sowie Inkasso und Exkasso mit anderen Häusern der Branche zu kooperieren. „Zwei deutsche Versicherer haben zum Beispiel durch ihre Zusammenarbeit Skaleneffekte erzielt sowie ihre Anwendungslandschaft harmonisiert und konsolidiert“, weiß Compass-Geschäftsführer Lippert. „Dadurch konnten sie 40 Prozent ihrer IT-Ressourcen einsparen.“
Ungenutzt bleiben auch die Chancen, die in einer höheren Arbeitsteiligkeit stecken, glaubt Joachim Benner, Research-Analyst bei IDC. Die Eigenwertschöpfung der Versicherer liegt seinen Untersuchungen zufolge bei über 60 Prozent – ähnlich wie bei Banken also. Während die Kreditinstitute diesen Anteil allerdings deutlich reduzieren wollen und dabei insbesondere dem Outsourcing von Geschäftsprozessen eine wichtige Rolle zuschreiben, verhalten sich viele Versicherer in dieser Frage sehr zurückhaltend. „Dabei sind gerade in den Back-Office-Bereichen wie der IT erhebliche Outsourcing-Potenziale vorhanden“, sagt Brenner.
Handlungsbedarf besteht auch bei Prozessen wie der Produktentwicklung. So hat BCG-Experte Heydorn Folgendes festgestellt. „Deutsche Versicherer benötigen nicht selten 18 bis 24 Monate, um ein Produkt von der Idee bis zur Markteinführung zu bringen. Da kann man kaum von einer dynamischen Produktentwicklung sprechen“, sagt er. „Optimal aufgestellte Unternehmen schaffen das in drei bis sechs Monaten.“
Knapp 80 Prozent der IT-Budgets geben Versicherungsunternehmen immer noch für das Rechenzentrum und den Betrieb der Anwendungen aus. Nur etwa 20 Prozent blieben daher, um Innovationen umzusetzen. Um sich auch bei hohem Kostendruck mehr Budget-Spielräume zu verschaffen, sollten die Unternehmen verstärkt auf eigene Mitarbeiter setzen. „Viele Versicherer greifen bei Engpässen auf Mitarbeiter eines IT-Dienstleisters zurück und zahlen dafür bis zu dreimal mehr als für eigene Mitarbeiter“, rechnet Heydorn vor.Vorausschauende Versicherer steuern durch ein systematisches Qualifizierungs-Management gegen: „Aus einer verbindlichen IT-Mittelfristplanung werden Ressourcen und Skill-Bedarfe abgeleitet und notwendige Qualifizierungsmaßnahmen frühzeitig in die Wege geleitet.“