Silicon Valley, das Mekka des technologischen Fortschritts, Insel der Innovation und Vorbild aller Start-Ups... Wenn wir über das Silicon Valley reden, dann glänzen die Augen, denn dort wird nicht nur Umsatz gemacht, sondern auch Geschichte geschrieben.
Liest man sich die Interviews der Zuckerbergs und Cooks durch oder schaut sich die ZDF-Dokumentation "Schöne neue Welt" an, so kann man sich durchaus inspirieren lassen. Der Mut zu Fehlern, die kurzen Entscheidungswege und die idealistischen Ziele motivieren zu mehr Bewegung im eigenen starren Unternehmensalltag und machen Lust auf freie Entwicklungsräume, in denen selbst die Fehlerkultur gefeiert werden kann.
Daher bedienen sich viele klassische Unternehmen und auch Start-Ups der Best Practices aus dem Silicon Valley. Schade nur, dass man sich dabei auch einige Scheiben abgeschnitten hat, die näher betrachtet vielleicht doch lieber im beschaulichen Santa Clara Valley geblieben wären.
1. Großraumbüros und Open Space-Räume
Zugegeben, das Großraumbüro gab es schon lange vor der Trendwende hin zum digitalen Unternehmen, doch bis dato hat sich niemand eingeredet, dass es mehr ist als der Versuch, Geld und Platz zu sparen. Das Silicon Valley will uns derweil selbst mit millionenschweren Budgets weismachen, dass Mitarbeiter es lieben, flexibel in gigantischen Lagerhallen an Schreibtischinseln zu sitzen und der Traum vom Einzelbüro ohnehin passè ist. Das Ganze nennt sich dann natürlich nicht mehr "Großraumbüro", sondern wird ganz im Sinne der "Open Your Mind"-Philosophie zum "Open Space". So fallen auch gleich die Trennwände des konventionellen Großraumbüros weg.
Im Xing-Spielraum erklärt Johannes Rosenboom, Niederlassungsleiter bei Microsoft in Köln zur neuen "Bürolandschaft: "Sie ermöglicht spontane Gespräche, daraus entwickeln sich neue Ideen und Produkte." Und auch Facebook betreibt im Silicon Valley ein Großraumbüro im Wandel im betont unfertigen Look, das offene Rohre, Leitungen und eine Werkatmosphäre zur Schau stellt. Nicht umsonst wird es als "Zukunftsfabrik" bezeichnet. Im Interview mit dem ZDF erklärt Mike Schroepfer, CTO bei Facebook: "Wir haben kein Geld für Deko ausgegeben, hier sieht es bewusst unfertig aus, denn unser Job ist unfertig."
Die Wirklichkeit:
So schön der Ideenaustausch auch ist, so wenig können diese Ideen umgesetzt werden, wenn man in einem Büro sitzt, in dem eine durchgehend laute und hektische Atmosphäre herrscht. Eine Studie der Cornell University offenbart, dass der Lärm eines Großraumbüros bei den Mitarbeitern für einen erhöhten Adrenalinspiegel sorgt. Ihre Mitarbeiter befinden sich also in einer permanenten Stresssituation.
Zudem stehen die Chancen gut, dass sie auch müder, anfälliger für Krankheiten und weniger zufrieden mit ihrem Job sind, sowie komplexe Aufgaben weniger gut lösen können. Doch das war's noch nicht: Menschen in offenen Büros neigen außerdem weniger dazu, ihre Tische und Stühle dem eigenen Komfort anzupassen und quälen sich so auch noch in physisch nachteiligen Positionen durch den Arbeitstag. Weniger Produktivität im Tausch für mehr Krankentage? Das sollte man sich vielleicht noch einmal überlegen.
2. Unicorns: Probieren geht über studieren
"Unicorns" (dt. Einhörner) nennt man Start-Ups, die einen geschätzten Geschäftswert von über einer Milliarde Dollar haben - also beispielsweise Uber, Snapchat, Dropbox oder Pinterest. Unterstützt werden diese Werte vor allem durch riesige Investitionen. Das Unternehmen hat also einen Geschäftswert, der nicht durch tatsächliche Umsätze, sondern prognostizierte Umsätze und entsprechend hohe Investitionen entsteht. Unternehmen haben somit die Chance, ihre Geschäftsidee in Ruhe auszuarbeiten und mit den Investitionen gleichzeitig die Möglichkeit, relativ schnell international zu agieren, die richtigen Leute zu engagieren, Ideen zu entwickeln und ein professionelles Marketing auszurollen.
Die Wirklichkeit:
Bereits seit einigen Jahren gehen viele Experten davon aus, dass die Geschäftswerte mehr oder weniger arbiträr sind. Gleichzeitig wird besonders zu Beginn der Wachstumsphase weniger auf den Umsatz als vielmehr auf jegliche Wachstumszahlen geschaut (Leads, Kunden, Angestellte, Büros) - unabhängig davon, ob diese auch wirklich auf Geschäftserfolge hindeuten. Das kann dazu führen, dass Start-Ups von Investoren bereits Schecks augehändigt bekommen, obwohl sie nicht einmal einen funktionierenden Prototypen ihres Produktes parat haben. Der Zusammenbruch folgt oft auf dem Fuße, wie etwa im Fall von Theranos.
Auch werden hier teilweise Ideen gefördert, die nicht auf einem funktionierenden Geschäftsmodell fußen. Gerade weil die Idee bezahlt wird, bevor sie überhaupt umgesetzt werden konnte, steigt das Risiko, dass Milliarden in ein Unicorn versenkt werden.
3. Datenschutz und Ethik als Fußnote
Wenn alles schneller geht, offener ist und Ideen bereits finanziert werden, bevor Ihre Praktikabilität überhaupt geprüft werden kann, gibt es zwangsläufig einen Fortschritts-Schub. Mit großen, schnellen Schritten werden im Silicon Valley Einsatzgebiete von 3D-Druck, Zellmanipulation und künstlicher Intelligenz vorangetrieben. Sie mögen nicht die Einzigen sein, die daran arbeiten, aber die klugen Köpfe in Silicon Valley schreiben mit an der Menschheitsgeschichte. Angela Merkel und Günther Oettinger begrüßen diesen Elan und motivieren deutsche Unternehmen immer wieder dazu, die digitale Transformation möglichst rasch anzugehen.
Die Wirklichkeit:
Uber und Airbnb sind die besten und aktuellsten Beispiele dafür, wie fragwürdig es ist, ein Geschäftsmodell zu erarbeiten und nahezu simultan auszurollen - bevor man sich mit den ethischen und rechtlichen Fragen, die dieses Modell aufwirft, auseinandergesetzt hat. Beide Unternehmen kämpfen quasi seit Ihrer Gründung in den unterschiedlichsten Ländern mit Nutzern, Behörden und Arbeitsrechtlern.
Auch Facebook, Dropbox und Snapchat müssen immer wieder neue Fragen rund um Datenschutzrechte klären und befinden sich damit in heiklen Gewässern. Google steht aufgrund seiner Monopol-Stellung sowie zahlreicher Datenschutz-Bedenken seit längerem im Fokus der europäischen Justiz. Unternehmen wie Google haben das Geld und die Ressourcen für derartige Rechts-Querelen, doch ein junges Unternehmen das frisch auf den Markt kommt, sollte die rechtlichen Anforderungen besser im Vorfeld überprüfen.
Stichwort VW-Skandal: Natürlich verstoßen auch Unternehmen mit klassischen Strukturen gegen Gesetze. Der Unterschied liegt dabei auf der Hand: Volkswagen wusste, dass es sich um Betrug handelt. Silicon Valley-Unternehmen handeln oft aus reiner Ignoranz oder lassen sich "überraschen" - oftmals zum Nachteil der Kunden.