Über moderne Ansätze zur Digitalisierung der Versicherungsbranche wird aktuell breit diskutiert. Kaum eine Woche vergeht, in der man nicht etwas zu diesem Thema in den Medien findet. Meist sind die Beiträge thematisch von den "jungen Wilden" der Branche, den InsurTechs, getrieben. Diese Unternehmen sind angetreten, neue Wege im Bereich der Assekuranz zu gehen.
Im Wesentlichen sind viele ihrer Ansätze deutlich an moderne Techniklösungen angelehnt oder komplett auf moderne Technologien ausgerichtet. Bei all dem Hype um InsurTechs und ihre Ziele, den Markt zu revolutionieren, stellt sich aber eine spannende Frage, zu der man medial eher wenig findet:
Wie beurteilen die FinTechs eigentlich die digitalen Ambitionen der Platzhirsche, also der etablierten Wettbewerber am Markt?
Um eine Antwort darauf zu bekommen, muss man etwas tiefer in die InsurTech-Szene hineinhören. Die Möglichkeit dazu gibt es zum Beispiel auf den deutschlandweit verteilten Treffpunkten der Szene, Kompetenzzentren wie Insurlab Germany in Köln, den InsurTech Hub München, oder die InsurTech Werft in Hamburg. Oder man fragt auf einem der zahlreichen Networking-Treffen nach, wie zuletzt Ende März im Rahmen der GIR 2019, der German Insurtech Roadshow an der Goethe-Universität Frankfurt.
Betriebsmodell muss transformiert werden
Dabei zeigt sich, dass die meisten InsurTechs nach außen hin eine gewisse Gelassenheit im Umgang mit diesem Thema pflegen. Das hat sicherlich verschiedene Gründe. Einer ist zum Beispiel, dass sie sehr wohl wissen, wie träge die etablierten großen Player im Markt agieren.
Ein anderer ist der strukturelle Vorteil, den ein neu gegründetes Unternehmen fast immer hat: Man sucht sich einen bestimmten Teil der Wertschöpfungskette und baut diesen dann ohne Altlasten digital neu. Diesen Vorteil haben die Wettbewerber – die InsurTech-Szene nennt sie neu-deutsch Incumbents – nicht. Sie müssen ein existierendes Geschäftsmodell inklusive Kundenstamm, eine über Jahre gewachsene IT-Struktur, ihr Betriebsmodell und die eigene Belegschaft in eine digitale Welt transformieren. Das ist nicht banal, sondern eher anspruchsvoll und herausfordernd.
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Eines wird aber bei aller Gelassenheit auch deutlich: Die meisten InsurTechs beobachten die digitalen Ansätze der etablierten Player sehr genau, auch wenn sie mitunter zaghaft erscheinen. Und natürlich werden manche digitalen Ambitionen im Markt als fragwürdig gesehen. So macht eine App allein noch nicht den digitalen Frühling.
Beispielhaft dafür ist das Projekt der AXA mit Ihrer App "WayGuard". Diese bietet Hilfe für Frauen, die unterwegs in eine bedrohliche Situation geraten. Die Frauen bekommen dann Assistenz auf dem Nachhauseweg durch eine professionelle Leitstelle und gegebenenfalls private Freunde – alles organisiert über die App. Diese lobenswerte Hilfestellung allerdings nur sehr mittelbar etwas mit dem Versicherungsgeschäft zu tun. Das zugegebenermaßen schöne "Leuchtturm"-Projekt verändert nicht nachhaltig die Art, wie Versicherung erlebt wird.
Ein anderes Beispiel liefert die Kfz-Schaden-App der Allianz (Allianz SchadenAssistent). Die Art und Weise der Regulierung und nicht zuletzt die Bewertung der Schadenshöhe hinterließ die Frage bei den Kunden, ob die App nicht von vornherein knapper reguliert. Das mediale Echo war entsprechend – und sicher nicht im Sinne des Unternehmens.
Große Versicherer lernen sehr schnell
Aber, und das sollte man bei all den mehr oder minder erfolgreichen Versuchen der großen Versicherer nicht vergessen, sie lernen – und sie lernen schnell. InsurTechs sollten sich nichts vormachen. Ein Konzern wie die AXA hat ganz andere Mittel und Möglichkeiten als eine Neugründung mit 15 Mitarbeitern in einem Loft - ganz egal ob in München, Hamburg oder Berlin.
Konzerne haben die Kraft ihres Kundenbestandes und die Ausdauer eines etablierten Unternehmens. Und so werden sich auch die Allianz und Co. nicht ewig auf den Lorbeeren der Vergangenheit ausruhen, sondern ihre wirtschaftliche Kraft nutzen, um neue Technologien zu finanzieren, so wie es gerade die Allianz mit ihrem Ableger (und Incubator) AllianzX vormacht.
Trotz dieser wirtschaftlichen Kraft und der beginnenden Aufholjagd gibt es noch einen weiteren Grund für die Gelassenheit bei den InsurTechs. Denn längst hat sich eine Veränderung im Verhältnis zu den etablierten Anbietern ergeben. Beide Seiten können voneinander profitieren. Kooperation und sinnvoller Technologietransfer sind eindeutig der Trend mit Blick auf die nächste Dekade.
Modernisierung wird vorangetrieben
In diesem Zusammenhang sind beispielsweise InsurTechs zu nennen, die die Modernisierung bestimmter, ausgewählter Versicherungsleistungen vorantreiben. Da geht es zum Beispiel um die Schadenabteilung und das Claims Management – beides Bereiche mit großem Potenzial für Service und auch für die Bilanz. Und genau da passiert gerade viel.
So wird unter anderem durch die Hamburger claimsforce.com das Thema Schadenprozess und Selektion vorangetrieben. Aber auch die digitale Kommunikation über Chatbots mit dem Kunden findet Ansätze und Unterstützung wie etwa durch e-bot7.de aus München.
Auch moderne Identifikationsverfahren sind ein weites Feld mit großer Nachfrage. Anbieter wie die Darmstädter Authdata oder das Hamburger StartUp Nect, das sich mit einer einfachen und sicheren Identitätsfeststellung über die Smartphone-Kamera im Markt einen Namen gemacht hat, sind attraktive Partner - auch für traditionelle Versicherer. Denn die Chefetagen der großen Häuser haben erkannt, wie sinnvoll es sein kann, die neue moderne Konkurrenz enger an sich zu binden.
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Die Frage, warum die InsurTechs den Digitalisierungsbemühungen der traditionellen Versicherer gelassen gegenüberstehen, lässt sich also in zwei Teilen beantworten. Die InsurTechs haben als neu gegründete Unternehmen strukturelle Vorteile, die zu einem technologischen Vorsprung in vielen Bereichen geführt haben. Wegen dieses Vorsprungs werden die Bemühungen der etablierten Player gelassen gesehen, aber aufmerksam verfolgt. Denn auch den InsurTechs ist bewusst, welche Kraft in dem wirtschaftlichen Potenzial der Branchengrößen steckt und dass man sich auch von weniger erfolgreichen Initiativen der Großen nicht täuschen lassen sollte.
Verhältnis zueinander ist wenig konfrontativ
Ein weiterer Grund für die Gelassenheit ist aber auch, dass sowohl alte als auch neue Marktteilnehmer erkannt haben, dass sie voneinander profitieren können.
Dadurch, dass beide Gruppen die jeweiligen Vorteile einer Zusammenarbeit erkannt haben und auf vielen Feldern Kooperationen ausloten, ist das Verhältnis insgesamt wenig konfrontativ. Man weiß die jeweils andere Seite einfach einzuschätzen, so dass nach den Jahren des Beschnupperns und des Nebeneinanders eine Phase der Kooperation und des Austausches begonnen hat. Die notwendige Infrastruktur ist in Deutschland mit den InsurTech Hubs mittlerweile gegeben. Diese Phase sollte die Versicherungsbranche insgesamt weiter voranbringen. Die Chancen hierfür jedenfalls stehen gut.