„SHORTENING TIME-TO-MARKET“ – die Verkürzung der Zeitspanne von der Idee bis zur Markteinführung eines Produktes – entwickelt sich zum Standard-Vokabular in allen Branchen. Selbst die Bekleidungsindustrie ändert ihre traditionell langen Innovationszyklen von zwei Kollektionen pro Jahr. Warenhauskonzerne wie H&M und Zara entwerfen und produzieren in einem Rhythmus von sechs bis zehn Wochen. Aktuell ist im Mobilfunk die Flatrate das typische Beispiel, bei dem eine kurze Time-to-Market entscheidend für den Erfolg ist. „Bis vor zwei Jahren hätten wir eine Flatrate nicht unter einem halben Jahr einführen können“, sagt CIO Alexander Röder, der gleichzeitig Geschäftsführer Information Systeme (IS) bei O2 ist. „Jetzt haben wir es geschafft, den Pauschaltarif in sechs Wochen auf den Markt zu bekommen.“
Zweiter Platz trotz heterogener IT
O2 war damit immerhin Zweiter bei den Telefon-Flatrates, hinter dem Konkurrenten E-Plus, der seine Base- Flatrate zwei Wochen früher startete. Mehrere tausend Pauschaltarife hat O2 bereits in den ersten zwei Wochen nach Freischaltung verkauft. Als größter Hemmschuh erwies sich dabei allerdings die heterogene, zersplitterte IT-Umgebung – eine Auswirkung der Geschichte des Unternehmens. „Man muss verstehen, wo wir herkommen“, sagt Röder. „Damals bei Viag Interkom wurde versucht, alles möglichst schnell zu machen. Man kaufte hier ein Softwarepaket und dort eines und baute alles zusammen. Das Ergebnis war eine heterogene IT-Infrastruktur. Deren Komplexität verlangsamte die Implementierung neuer Produktideen erheblich.“ Für den CIO war die Folgerung deshalb klar: beim Entwickeln möglichst wenig Applikationen anfassen, auf Standardsoftware setzen und wiederverwendbare Module generieren. Mit dieser Vorgabe wurde im Jahr 2004 das Ziel formuliert, bis 2008 die Time-to-Market auf 50 Prozent des Wertes von 2004 herunterzufahren.
Das Schlagwort „Configure, not customize” bringt diese neue Philosophie zum Ausdruck. Customization mit aufwändigem Codieren und Umcodieren von Software soll möglichst vermieden werden. Angestrebt wird ein reines Konfigurieren, bei dem der Standard-Code unverändert bleibt und nur das Layout modifiziert wird oder neue Tarifdaten eingegeben werden. „Der prozentuale Anteil von Customize ist für die Entwickler bonusrelevant“, erklärt Röder. „Er sollte nicht mehr als fünf Prozent etwa einer Billing- oder nicht mehr als 25 Prozent einer CRM-Software ändern. Das ist direkt verbunden mit seinem jährlichen Bonus.“
Die Time-to-Market bei den O2-Produkten liegt derzeit zwischen einem und 300 Tagen – Tendenz nach unten. Wie lange die Zeitspanne von der Idee bis zum Markteintritt dauert, hängt von der Komplexität des Design- und Änderungsprozesses für das jeweilige Produkt ab:
Der einfachste Fall sind so genannte „Fast Tracks“, wie etwa eine Tarifänderung. Hier muss der IS-Bereich nur bedingt eingeschaltet werden, denn die Modifikationen sind sehr gering. Die IT-Entwickler haben hierfür einen „Tarif Wizzard“ als Web-GUI geschrieben, mit dem die Produktmanager neue Tarife selbst auf ihren Windows-Rechnern generieren können. Lediglich kleinere Änderungen an der korrespondierenden Billing-Software müssen vereinzelt durch die IT-Entwickler programmiert werden. Der Aufwand reduziert sich somit auf wenige Tage.
„Standalones” testen keine Gesamtsysteme
Die nächsthöhere Stufe in diesem Filter sind „Standalones“. Hier sind anders als bei Fast Tracks verstärkt IT-Fachleute gefragt. „Standalone bedeutet, dass wir eine Änderung machen können, ohne das Gesamtsystem testen zu müssen“, erklärt Röder. „Wenn ich nur an wenigen Anwendungen oder an Interfaces etwas ändere, reicht ein Test in dieser Umgebung. Ich brauche nicht das Gesamtsystem aus vielen Applikationen zu prüfen.“ In der Regel sind Standalones in 60 Tagen abgeschlossen. Ein Beispiel ist die Anbindung eines neuen Service-Providers an die Systeme von O2, wie kürzlich Tchibo Postpaid. Hier konnte an eine bestehende Schnittstelle ein neues Produkt „angehängt“ werden, ohne das Gesamtsystem zu testen.
Während bei Fast Tracks und Standalones nur eine oder eine kleine Zahl von Anwendungen geändert werden, sieht es bei den großen Releases anders aus. Diese aufwändigen Neuentwicklungen interagieren mit vielen Applikationen und müssen von Anfang bis Ende entworfen und ausgetestet werden. Vier dieser Releases hat O2 offiziell pro Jahr: zur CeBIT, im Mai, in der Sommerzeit und Anfang November zum Weihnachtsgeschäft. Ein Beispiel für die Umsetzung einer komplexeren Business-Anforderung ist die Einführung eines Bonusprogramms für Kunden. Im Moment liegt die Time-to-Market hier bei 300 Tagen. Sie soll durch eine neue Entwicklungsmethode beschleunigt werden, die nach dem RUP-Modell arbeitet (siehe Kasten). Das CeBIT-Release im Februar 2006 wird erstmals nach dieser neuen Methode entwickelt.
Schnelle Eingreiftruppe für Alignment
Außerdem sollen Business und IT enger verzahnt werden. „Wir haben jetzt eine kleine IT-Truppe von zehn Personen, deren Aufgabe es ist, mit den internen Kunden wie Marketing oder Customer Service zu reden“, erklärt Röder: „Und zwar nicht in der IT-Sprache von Interfaces und Applikationen, sondern in deren Sprache – nämlich in Geschäftsprozessen.“ Capability Driven Approach“ nennt Röder diesen Ansatz, mit dem die IT ihre Systeme verstehen und dem Business in deren Terminologie erklären will.
Dass die IT mehr in Geschäftsprozessen denken muss, gilt genauso für den CIO. „Die Rolle des CIOs hat sich dramatisch über die vergangenen Jahre geändert“, erklärt Röder. „Das ist nicht mehr der Rechenzentrums- Chef aus früheren Tagen, der abgeschottet in seinem schicken Büro arbeitete. Der CIO muss vielmehr in Geschäftsprozessen denken und verstehen, was der Markt und damit das Business brauchen. Er sollte auch bei Business-Entscheidungen seinen Einfluss geltend machen und beraten, ob etwas schnell und kostengünstig umgesetzt werden kann.“