"Den Vergleich mit den Fischstäbchen können Sie nicht bringen - nicht bei den Chinesen", ruft ein Mitarbeiter des Vorstandsressorts Magnetschwebebahn Heiko Scharnweber zu. Chinesen hätten einen anderen Humor und würden auf einem Fachtreffen Fakten und Formeln erwarten. Der Berater des Nürnberger IT-Dienstleisters Sophist wollte anhand des Bratens von Fischstäbchen veranschaulichen, wie Anforderungsmanagement funktioniert. Requirements Engineering, so die Sophist-Diktion, beschreibt den systematischen Weg von der Projektidee über die Ziele bis hin zu den entsprechenden Anforderungen - etwa an Türen, deren Öffner so konzipiert sein müssen, dass sie bei einer Million Betätigungen höchstens einmal ausfallen dürfen. Ähnliche Verfügbarkeitsansprüche hat die Deutsche Bahn an die IT-Systeme. Sie dienen als Argumentationsgrundlage, sind für die Ausschreibungen und Verträge notwendig. Auch nach Projektende fließen noch Änderungen in die Dokumentensysteme ein.
Ein paar Tage zuvor hatte sich eine Delegation aus dem chinesischen Bahnministerium beim Betreiber der Magnetschwebebahn über Anforderungsmanagement informiert und die Teststrecke im Emsland angesehen. "Welche Anforderungen muss ein Fischstäbchen erfüllen, damit es von allen Seiten gleichmäßig gebraten werden kann?", fragt Scharnweber sonst in seiner Präsentation. "Wie kann ich sie erfassen und koordinieren?"
Details nach Wichtigkeit verfolgen
"Es geht darum, Komplexität zu lösen, nicht zu verwalten", sagt Wolfram Pietsch von der Fachhochschule Aachen, der sich seit zehn Jahren mit Anforderungsmanagement in der IT beschäftigt. "Die Dokumentation allein spielt längst nicht mehr die Hauptrolle; man kann nun schon von strategischem Management sprechen." Ziel sei es, sämtliche Anforderungen der Wichtigkeit nach verfolgen zu können. In einer Schlüsselrolle sieht Pietsch Experten, die zwischen den Fachabteilungen und der IT vermitteln. Ähnliches leistet Scharnweber extern für die Bahn.
Gerade bei Großprojekten wie der Magnetschwebebahn ließe sich sehr viel Geld sparen, wenn die Anforderungen an die Systeme präzise festgehalten würden, sagt Scharnweber. Denn sie sind die Basis für neue Lösungen aus der Industrie sowie für Vertragsabschlüsse zwischen der Bahn und den Industriepartnern Siemens und Thyssen. "Mehr als 60 Prozent der schwerwiegenden Fehler in den Programmen beruhen auf Unzulänglichkeiten in der Analyse und können vor dem Design oder der Implementierung neuer Software-Bausteine verhindert werden", erklärt Scharnweber.
Neun Wochen brütete der Projektleiter des Vorstandsressorts Magnetschwebebahn, Hartmut Albert, mit Bahnern und Mitarbeitern des Betreibers der Transrapid-Versuchsanlage im Emsland, der Münchener Versuchs- und Planungsgesellschaft (MVP), über einzelnen Word-Dokumenten: Systembeschreibungen der Industrie, mit denen der Auftraggeber Deutsche Bahn allerdings nicht viel anfangen konnte. Die hatten sich während der Konzeption und des Baus von Prototypen für die Emsländer Teststrecke angesammelt. "Viel Prosa", aus der harte Anforderungen kaum noch herausgelesen werden könnten, hätten Fachautoren der MVP damals notiert, obwohl die Dokumente für den Bau einer nah- und fernverkehrstauglichen Schwebebahn unumgänglich sind. "Die meisten Firmen laufen einmal vor die Wand, bevor sie lernen, gezielt Spezifikationen zu formulieren", meint Scharnweber, der die Aufarbeitung zusammen mit der Bahn bewältigte. "Bei genauem Hinsehen tauchen Lösungen für Systeme auf, für die es gar keine Anforderungen gab", so Technikkoordinator Albert. "Andererseits gab es Anforderungen, für die überhaupt keine Lösungen da waren." Das Kondensat, zirka 600 Anforderungen, hält Albert nun in den Händen - und ständig kommen neue hinzu.
Die Anforderungsdokumente, die in die Datenbank Care einfließen, erleichtern die Prüfung neuer Systeme. Scharnweber hilft, indem er Diskussionsrunden mit den sieben Teilprojektleitern moderiert. Ende des Jahres soll die Arbeit in der Hauptsache abgeschlossen sein. "15 Mitarbeiter sind Tag für Tag damit beschäftigt", schätzt Albert - von der Bahn und der Bahn-Tochter MVB.
Datenbank erleichtert Systemprüfungen
Jetzt fehlt der Schwebebahn noch der Startschuss für die Praxis: entweder aus Nordrhein-Westfalen, wo eine 1,75 Milliarden Euro teure Nahverkehrsstrecke Düsseldorf und Dortmund neu verbinden soll, oder aus München. In der bayerischen Landeshauptstadt sollen vor allem Fluggäste von dem fast eine Autostunde entfernt liegenden Flughafen Franz Josef Strauß ins Stadtzentrum sausen; kalkulierte Kosten: 3,2 Milliarden Euro.
Und wenn es nichts wird mit den Magnetzügen? Will jemand später das Projekt wieder aufleben lassen, hilft ebenfalls die Datenbank. Sie soll gewährleisten, dass die Systeme funktionieren und die Magnetschwebebahn für Industrie und Betreiber gleichermaßen zum Erfolg wird. Die Hoffnung von Projektleiter Albert: "Vielleicht verdient ja eines Tages nicht nur die Industrie an ihren technischen Lösungen, sondern auch wir mit unseren gesammelten Anforderungen profitieren noch." Voraussetzung: Die Fischstäbchen liegen tatsächlich niemandem mehr quer im Magen.