Deutschland nimmt noch Anlauf

Schweiz und Liechtenstein geben Gas in der Blockchain

07.12.2018 von Heinrich Vaske
Die Schweiz hält ihre erste Blockchain-Konferenz für den öffentlichen Sektor ab. Das Land will sechs Gesetze ändern, um die Möglichkeiten der Technologie auszureizen und eine europäische Pole-Position einzunehmen. In Deutschland kommen die Dinge nur langsam in Bewegung.
Rund um die Blockchain ranken sich viele Mythen. Momentan sind Investitionen noch gewagt.
Foto: dencg - shutterstock.com

Insgesamt 250 Teilnehmer besuchen derzeit die Konferenz "Infrachain 18" in Bern, wo Finanzminister Ueli Maurer - im Lande auch als "heimlicher Digitalminister" bezeichnet - erklärte, die Schweiz wolle Vorreiter sein, wenn es um die Entwicklung Blockchain-basierter Use Cases gehe.

Anspruch und Wirklichkeit liegen hier nicht weit auseinander: Die Alpenrepublik steht als global führender Finanzplatz im Ruf, Blockchain-Pionier zu sein. Diese Position gilt es zu verteidigen. In zwei Wochen will deshalb der Bundesrat einen Bericht herausgeben, indem verkündet werden soll, dass sechs bestehende Gesetze angepasst werden, um eine optimale, rechtskonforme Nutzung der Technologie zu gewährleisten.

Liechtenstein erlässt Blockchain-Gesetz

In Bern zeigen derzeit Unternehmen wie Ernst & Young, Tezos, Swisspower, Postfinance und andere ihre Use Cases. Ein Höhepunkt war der Eröffnungsauftritt von Adrian Hasler, Premierminister von Liechtenstein. Er stellte das neue Blockchain-Gesetz für Liechtenstein vor, das kürzlich Schlagzeilen gemacht hatte. Das Fürstentum, das ähnlich wie die Schweiz Finanzmetropole bleiben und Fintech-Unternehmen anlocken möchte, plant für 2019 das "Gesetz über auf vertrauenswürdigen Technologien (VT) beruhende Transaktionssysteme". Es wird Kryptowährungen und Initial Coin Offerings (ICOs), aber auch die "Token-Ökonomie" insgesamt regulieren.

Im Gesetzesentwurf enthalten sind Mindestanforderungen für alle VT-Dienstleister in Liechtenstein, damit internationale Standards eingehalten werden und der Ruf der Finanzmetropole durch möglicherweise dunkle Geschäfte nicht in Gefahr gerät. Man will die Dienstleister zu einer klaren Organisationsstruktur und zu internen Kontrollmechanismen drängen.

Auch bei den Eidgenossen erwartet man eine "Explosion der Blockchain-Use-Cases", wie Maurer sagte. Um die derzeit führende Rolle zu behalten, seien rechtliche Sicherheit und eine zielführende Gesetzgebung die Voraussetzung. Die Regulierung dürfe aber nicht zu weit gehen, man wolle die Entrepreneure und Entwickler lenken und fördern, nicht "strangulieren".

Gesetzesänderungen in der Schweiz

Startups sollten ihre Ideen in der Schweiz umsetzen und internationale Talente anziehen. "Die Schweiz benötigt keine besondere Regulierung für die Blockchain", so Maurer, "aber wir werden sechs bestehende Gesetze ändern müssen, um diese neue Technologie fördern zu können. Das wird viele Industrien betreffen", sagte der Finanzminister, der die geplanten Änderungen nicht näher konkretisierte.

Aufregung im Crypto Valley

Während die Schweizer Regierung auf der Infrachain alle Register zieht, um den Blockchain-Standort gut zu repräsentieren, gibt es im eigentlichen "Crypto Valley" der Schweiz, in der Stadt Zug nämlich, große Unruhe. Vier Gründungsmitglieder des dort ansässigen Blockchain-Verbands "Crypto Valley Association" (CVA) haben in einer Erklärung auf LinkedIn ihren Rücktritt angekündigt. Zu diesem Quartett gehört auch Oliver Bussmann, der frühere CIO von SAP und der Großbank UBS. Bussmann leitet heute ein Beratungsunternehmen in Zug.

Wie die "Luzerner Zeitung" berichtet, werden Bussmann, dessen Verdienste rund um den Aufbau des Crypto Valleys unstrittig seien, seine Doppelrolle als Berater und Investor vorgeworfen. Er soll die Non-Profit-Organisation CVA für seine persönlichen Geschäfte benutzt haben, heißt es in Schweizer Medien, unter anderem bei "finews.ch". Eine Anwaltskanzlei untersuche den Fall. Das Ergebnis, das noch vor Jahresfrist erwartet wird, soll aber nicht veröffentlicht werden.

Die CVA zählt aktuell 1200 Mitglieder. Insgesamt 600 Startups aus dem Blockchain-Bereich haben rund um Zug bislang direkt und indirekt über 3000 Arbeitsplätze geschaffen.

Estland hat Gipfel der überzogenen Erwartungen hinter sich

Während sich mit der Schweiz und Liechtenstein zwei Finanzmetropolen für die Blockchain-Technologie begeistern, ist in der Europäischen Union beim Technologievorreiter Estland Ernüchterung eingekehrt. Der CIO des Landes Siim Sikkut sagte im Juni dieses Jahres gegenüber der "Wirtschaftswoche": "Wir experimentieren seit zehn Jahren damit, da gab es das Wort noch gar nicht". Bis heute habe die Blockchain "keinen praktischen Nutzen" gebracht. "Aber wir glauben, dass irgendwann jemand eine gute Idee für eine praktische Anwendung hat."

Deutschland zeigt guten Willen in Sachen Blockchain

In Deutschland wird derzeit eine Blockchain-Strategie erarbeitet, ein Pilotprojekt Distributed-Ledger-Technologie sei in Vorbereitung. Das zumindest teilte die Regierung der FDP-Fraktion auf eine kleine Anfrage im vergangenen August hin mit. Die Arbeiten sollen demnach noch in diesem Jahr beginnen. Es handele sich um eine "vergleichsweise junge Technologie, deren gesellschaftliches und ökonomisches Potenzial derzeit sehr schwer einzuschätzen ist". Man befinde sich im Dialog mit Entwicklern, Wissenschaft, Verbänden und Pilotanwendern, auch um potenzielle Anwendungen und Einsatzgebiete zu identifizieren.

Wenig euphorisch über das Erreichte zeigte sich der ITK-Branchenverband Bitkom, der am Tag vor dem am 4. Dezember 2018 stattfindenden Digitalgipfel der Bundesregierung in Nürnberg einen "Blockchain Business Summit" abhielt. Dem Verband zufolge sind "alltagstaugliche Lösungen noch Mangelware", aber Unternehmen seien gut beraten, die Möglichkeiten der Blockchain-Technologie auszuloten und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.

Die deutsche Wirtschaft sehe das Potenzial der Blockchain, aber eine aktuelle Umfrage zeige, dass man sich hierzulande derzeit nicht in der weltweiten Spitzengruppe bewege. "Wir haben die Chance, Deutschland zum Vorreiter bei Blockchain-Anwendungen zu machen. Dazu brauchen wir die im Koalitionsvertrag angekündigte, umfassende Blockchain-Strategie der Bundesregierung", mahnte Bitkom-Präsident Achim Berg.