Das hat Seltenheitswert: Ein Schweizer zahlt seine Rechnungen nicht. "Die Schweizer sind pflichtbewusst", erklärt der Unternehmensberater Peter Hartmann. "Es kommt nicht vor, dass wir Rechnungen nicht bezahlen." Nun kommt es eben doch vor. Hartmann ist Sprecher und Koordinator einer Gruppe Schweizer Unternehmen, die sich zur "Interessengemeinschaft SAP Wartung Schweiz" (IG Wartung) zusammengeschlossen haben. Die IG Wartung will die Rücknahme der im vergangenen Jahr geänderten SAP-Serviceverträge.
Ein Teil der Gruppe beugt sich daher den Forderungen von SAP nicht. Anstelle der gestiegenen Wartungsgebühr in Höhe von 18,19 Prozent von den Lizenzkosten zahlen sie aus Protest gegen das Vorgehen von SAP auch über den 1. Januar 2009 hinaus weiterhin 17 Prozent an SAP. Bis jetzt gibt sich SAP gelassen, fordert die fehlende Summe nicht ein. Dass dennoch einigen Unternehmen Mahnungen auf den Tisch flattern, bittet der Konzern als einen Irrtum zu betrachten. Man wartet zunächst das Ende der Unstimmigkeiten ab.
Begonnen haben diese im Juli 2008. SAP schreibt seinen Kunden, dass der Standard-Support nicht weiter angeboten wird. Ab 2009 können sie ausschließlich den sogenannten Enterprise-Support zu einem erhöhten Preis beziehen. Die wütende Reaktion der Kunden lässt nicht lange auf sich warten. Von "Machtmissbrauch", "Erpressung" und "Arroganz der SAP" ist die Rede.
In Deutschland und Österreich verschiebt SAP daraufhin die Vertragsänderung um ein Jahr und bietet den Unternehmen eine Weiterführung des Standard-Support-Vertrages an. Auch, weil in beiden Ländern
juristische Bedenken bestehen, ob SAPs einseitige Vertragskündigung so einfach machbar ist.
Das Nachsehen haben die Schweizer (und Anwender im Rest der Welt). Bei ihnen ist SAPs Vorgehen rein rechtlich eine klare Sache. Mit Zusendung des neuen Vertrags gilt dieser als akzeptiert. Doch für viele Eid-genossen ist das nicht hinnehmbar. Ähnlich wie in Deutschland, wo sich innerhalb des CIO-Circle die Initiative "Kein ES" gründet, entsteht die "IG Wartung".
CIOs aus über 20 Unternehmen schreiben an den SAP-Vorstand. Nicht allein die erhöhten Preise bringt sie auf die Barrikaden. "Wir fordern ein optionales Wartungsmodell und Wahlfreiheit zwischen Enterprise- und Standard-Support", sagt Hartmann. Und Services sollten künftig vor Inkrafttreten der Verträge in Form von SLAs definiert werden. Für den Ausgleich soll ein Bonus-Malus-System sorgen, das die Kunden und SAP gleichwertig behandelt. Nicht zuletzt fordert die IG die internationale Gleichbehandlung.
Wettbewerbshüter eingeschaltet
Nicht nur in der Schweiz können die IT-Verantwortlichen nicht erkennen, dass ihnen Enterprise-Support einen Vorteil bringt. Sie fürchten, in Zukunft mehr Geld für weniger Leistung bezahlen zu müssen. "Jahrelang hieß es, die Unternehmen sollen interne SAP-Compentence-Center aufbauen", erklärt Hartmann, der sich seit 22 Jahren im SAP-Umfeld bewegt, davon zuletzt 14 Jahre als CIO. "Ich halte es für unmöglich, dass die firmenspezifischen Geschäftsprozesse in Zukunft von SAP-eigenen Leuten geliefert und supportet werden und diese bei Problemen sofort abrufbar sind."
Da weder der Brief an den SAP-Vorstand in Walldorf noch Gespräche mit dem Schweizer SAP-Management etwas in Bewegung setzen, wenden sich die Schweizer im Oktober 2008 an ihre Wettbewerbshüter. Mit einem ersten Erfolg: Das Ersuchen wird als untersuchungswürdig anerkannt. Das Sekretariat der Schweizer Wettbewerbskommission (Weko) leitet eine Voruntersuchung ein. Es geht darum, Indizien zu finden, ob SAP in der Schweiz eine marktbeherrschende Stellung innehat beziehungsweise diese gesetzeswidrig ausnutzt.
Ende Januar erhalten SAP, die Kunden sowie andere ERP-Anbieter einen ausführlichen Fragebogen. Sie werden zum Einsatz der Software in Unternehmen befragt, zur Einschätzung der Marktverhältnisse und zur Struktur der Wartungsverträge. Etwa, ob diese mit dem Lizenzverkauf verknüpft ist. Sind die Informationen ausgewertet, wird sich herausstellen, ob die Wettbewerbskommission ein Verfahren gegen SAP einleitet.
Inzwischen laufen Gespräche zwischen SAP und den Anwendern. Ein Ergebnis ist die Kreation des "Sugen KPI Index" (siehe Kasten) sowie die Verzögerung weiterer Preiserhöhung. "Mit dieser Neuigkeit hat sich die Situation noch einmal verändert", sagt Olivier Schaller, Vize-Direktor im Sekretariat der Weko und zuständig für Dienstleistungsmärkte. "Wir hoffen, die Vorabklärung bis zum Herbst abschließen zu können."
Für die Schweizer CIOs ändert sich durch den Sugen-Index nichts Wesentliches. "Das erfüllt die Forderungen der meisten Kunden nicht. Der viel zitierte Mehrwert ist weder ersichtlich noch belegbar", schreibt die Gemeinschaft in einer offiziellen Stellungnahme.
Mittlerweile ist die IG Wartung auf 45 Schweizer Firmen, die mehr als 80 Millionen Euro Lizenzumsätze repräsentieren, angewachsen. Die Deutschsprachige SAP Anwendervereinigung (DSAG) hat die Verhandlungsführung für die Schweiz an sie delegiert. Als "minimalen Lichtblick für ES" bezeichnen sie den Vorstoß von SAP. "Die Kunden werden einmal mehr im Regen stehen gelassen", heißt es. Sie haben nach wie vor keine Alternativen für Wartungsmodelle oder Wartungspartner und müssen das teurere Support-Modell akzeptieren. SAP spiele weiter seine Marktmacht aus.
Die IG Wartung, die SAP auch schon "als die Gallier aus der Schweiz" bezeichnete, gibt sich jedoch kämpferisch. Sie wird sich weiter für ihre Anliegen einsetzen.