Wollen Sie wissen, wie die Welt der Technologie von morgen aussieht? Dann fragen Sie sich, welche Ziele die Menschheit heute verfolgt, welche Erfindungen sie zu diesem Ziel führen könnten, und wer von diesen Erfindungen profitieren könnte. Glauben Sie außerdem nicht, dass Sie mehr als zehn bis 15 Jahre voraus denken können. Diese Grundsätze ihrer Arbeit haben erfolgreiche Science-Fiction-Autoren unserer amerikanischen Schwesterpublikation CIO.com verraten.
"Kein vernünftiger Schriftsteller versucht, einfach irgendetwas vorherszusagen", sagt Frederick Pohl, der zuletzt gemeinsam mit Arthur C. Clarke das Buch "The Last Theorem" veröffentlicht hat. "Man versucht stattdessen, sich Dinge vorzustellen, die wirklich passieren könnten." Auch wer in seinen Geschichten technische Entwicklungen vorkommen lässt, die es heute noch nicht gibt, sollte sich dabei daran orientieren, welche technischen Möglichkeiten es in der Gegenwart gibt und wie sie sich in der Vergangenheit entwickelt haben.
Eine Vielzahl technischer Geräte, die es heute noch nicht gibt, taucht in den Büchern von Larry Niven auf: Zum Beispiel flache Scheiben von der Größe eines Kanaldeckels, auf die ein Mensch steigt, um sich von einem Ort zum anderen versetzen zu lassen. Wenn er solche Geräte erfindet, versucht Niven sich an den Zielen der Menschen zu orientieren. Eins davon sind seiner Ansicht nach blitzschnelle Reisen.
Lernen ohne Zeitaufwand und ein möglichst langes Leben sieht der Buchautor als weitere Wünsche der Menschen. Niven versucht sich auszumalen, in wie vielen Jahren diese Vorstellungen in Erfüllung gehen könnten und wie der Weg dorthin aussieht. Außerdem interessiert den Schriftsteller, wer von den Ängsten und Wünschen der Menschen zu profitieren versucht. "Es gibt immer jemanden, der daran Geld verdienen will", sagt er.
Dass sich die Zukunft ganz anders entwickeln kann, als wir es uns heute vorstellen, zeigt der kanadische Romanautor Robert J. Sawyer mit Blick auf Stanley Kubricks Film "2001: A Space Odyssey". Kubricks Co-Autor für das Buch des 1968 veröffentlichten Films war Arthur C. Clarke. "Als er damals diese ganzen Wunder beschrieb - Künstliche Intelligenz, schwebende Hotels, Städte auf dem Mond oder Reisen von Planet zu Planet -, klangen sie alle nach vernünftigen Vorhersagen für das Ende des Jahrhunderts. Doch keine davon erfüllte sich."
Allein der Markt entscheidet
Sawyer, der mehrere Literaturpreise für Science-Fiction gewonnen hat, sagt selbstkritisch: "Wir Technik-Freaks laufen immer Gefahr zu denken, alle wollen die Dinge, die wir uns vorstellen." Doch die Menschen hätten nun einmal unterschiedliche Vorstellungen, und letztlich entscheide ohnehin allein der Markt, ob sich eine neue Technologie in der Zukunft durchsetze.
"Zukünftige Technologie kann nur für sehr kurze Zeiträume vorhergesagt werden, etwa zehn bis 15 Jahre", sagt Nancy Kress, unter deren 25 Büchern 16 Fantasy- und Science-Fiction-Romane sind. So habe etwa Clarke zwar Kommunikations-Satelliten richtig im Voraus beschrieben, aber in seinem Klassiker "Childhood's End" zum Beispiel keine Computer vorkommen lassen. Was ein Autor eben nie vorhersehen könne, sei der Faktor, der oft die interessantesten Neuentwicklungen hervorbringe: "Leute wie Steve Jobs, die in ihrer Garage herumbasteln."
Banküberfälle im virtuellen Raum
Wie begrenzt Gedanken über die Technik der Zukunft sind, ist auch Charles Stross bewusst. Er arbeitet nicht nur als Fachjournalist zu Themen wie Linux oder der Programmiersprache Perl, sondern hat auch Romane geschrieben, in denen Menschen zwischen Parallelwelten umher springen oder Banken im virtuellen Raum überfallen werden. "Wir können aktuelle technische und gesellschaftliche Entwicklungen weiterdenken, aber wir können nicht auf etwas aufbauen, was es noch gar nicht gibt", erklärt Stross.
So habe man zum Beispiel 1962 über die Zukunft integrierter Schaltkreise nachdenken können, von CD-Spielern hingegen konnte noch niemand eine Ahnung haben, weil die dafür notwendigen Laser erst ein Jahrzehnt später erfunden worden seien.
Gleichwohl gelingt gewieften Schriftstellern manchmal ein Treffer. So ist Robert Sawyer stolz darauf, 1998 in seinem Buch "Factoring Humanity" eine Video-Plattform vorgestellt zu haben, die sehr dem heutigen Youtube ähnelt. Bei Sawyer trug das Portal, bei dem die Nutzer Filme einstellen konnten, den Namen "Desktop-TV".
Antibiotika-Resistenzen vorhergesehen
An die Idee aus seinem Buch "Flash Forward" von 1999, es werde bis 2030 fliegende Autos geben, glaubt der Schriftsteller dagegen heute selbst nicht mehr. "Das ist wohl so unwahrscheinlich wie die Vorstellung, dass wir einmal Pillen anstatt richtiger Mahlzeiten zu uns nehmen werden."
Nancy Kress hat in ihrem Roman "Beggars in Spain" von einem Leben ohne Schlaf geschrieben. So weit sei die Menschheit zwar noch nicht. Doch der gegen Schlafattacken wirksame und von seit einigen Jahren auch von Gesunden zum Wachwerden missbrauchte Arzneistoff Modafinil sei ein Schritt in diese Richtung. Auch Antibiotika widerstehende Krankheiten, wie sie sie in ihrer Kurzgeschichte "Evolution" geschildert habe, gebe es mittlerweile häufig. "Wahrscheinlich wird die Wirklichkeit hier noch viel schlimmer aussehen als in meinem Buch", sagt Kress.
Menschenähnliche Haushalts-Roboter aus Japan
Dass eine Vorhersage von der Wirklichkeit übertroffen wird, hat auch Sawyer unlängst erlebt. Im 2007 erschienenen "Rollback" ließ er in einer Welt 40 Jahre in der Zukunft menschenähnliche Haushalts-Roboter auftreten. Später besuchte er das MIT und sah dort vor allem aus Japan kommende Roboter, die den von ihm beschriebenen sehr ähnlich sind. "Ich denke, sie werden weit früher in die Haushalte einziehen als erst in 40 Jahren", sagt Sawyer jetzt.
Nancy Kress rät vor allem von mittelfristigen Vorhersagen ab. "Bisher haben sich meine kurzfristigen Prognosen als wahr erwiesen, und ganz weit in die Zukunft reichende Voraussagen kann ohnehin niemand beweisen oder so schnell widerlegen." Sawyer rät vor allem zu aggressiven Vorausschauen. "Die Zukunft kommt fast immer schneller als man denkt."
Was er und die meisten seiner Kollegen lange unterschätzt hätten, sei indes die Trägheit der Menschheit. Die Welt sei wie ein Individuum: Indem sie altere, ändere sie sich nicht wirklich. Stattdessen kämen nur ihre Eigenschaften stärker zum Vorschein. "Eigentlich wollten wir schon immer unser Telefon und unsere Musik mit uns herumtragen", behauptet Robert Sawyer.
iPhone soll lang gehegte Wünsche erfüllen
Und so versuchten neue technische Geräte auch gar nicht, dem Menschen neue Funktionen aufzuzwingen, sondern ermöglichten nur Dinge, die er sich ohnehin als Teil seines Lebens wünsche. Das Paradebeispiel sei das iPhone: Es vereine alle Funktionen in einem neuen Gerät, das dennoch irgendwie vertraut wirke.
Charles Stross indes hält Vorhersagen, die später eins zu eins Wirklichkeit werden, derzeit für fast unmöglich. "Es passiert zur Zeit einfach zu viel." Nancy Kress findet es auch gar nicht schlimm, daneben zu liegen. Wer die Zukunft vorhersagen wolle, müsse beim entsprechenden Thema immer auf dem neuesten Stand bleiben und in seinen Gedanken noch Raum für Unvorhersehbares lassen. "Und haben Sie keine Angst, falsch zu liegen - es ist Science-Fiction."