Immer wieder zeichnet Jeff Sutherland bei seinem Vortrag mit der linken Hand Kreise in die Luft. Scrum, die von ihm entwickelte Methode zur agilen Software-Entwicklung, läuft in Zyklen ab: Teams bearbeiten in mehrwöchigen sogenannten Sprints immer nur kleine Teile des Projekts. Nach jedem Mittagessen besprechen sie sich im "Daily Scrum". Und nach Abschluss jeder Teilaufgabe wird getestet.
Abläufe, die man einhalten muss. "Disziplin" ist eine der Vokabeln, die Sutherland an diesem Abend im Konferenzsaal eines Hotels im äußersten Münchner Osten vor 250 Zuhörern wiederholt betont. Aus dem Mund des weißhaarig gescheitelten Mannes im schwarzen Hemd mit Schulterklappen klingt der Appell fast wie der Befehl eines schlachterprobten Generals. Tatsächlich flog Sutherland als Pilot der U.S. Air Force mehr als 100 Missionen im Vietnamkrieg.
Verschenktes Potenzial
Weichen Teams vom festen Regelwerk von Scrum ab, verschenken sie viel vom Potenzial dieser Methode. Aus Scrum wird "Water Scrum", sagt Jeff Sutherland - ein Zwischending aus agiler Anwendungsentwicklung und dem klassischen "Waterfall-Model". Immerhin: "Auch das ist noch besser, als nur nach der Wasserfall-Methode zu arbeiten", zwinkert Sutherland.
1993 hat er beim Software-Hersteller Easel Corporation erstmals Entwickler-Teams nach Scrum-Prinzipien arbeiten lassen. Mit Ken Schwaber entwickelte er die Methode weiter. Mittlerweile hören Firmen wie Microsoft und Oracle in Scrum-Fragen auf Sutherlands Rat.
Sutherland: "Mit Scrum geht alles schneller"
Nach München eingeflogen hat den Amerikaner die Agentur HLMC, die Veranstaltungen über Software-Themen ausrichtet. Das Programm in München war bereits der dritte "Scrum-Day" in Deutschland. An zwei Tagen nach dem Workshop schulte Sutherland noch 30 IT-Fachleute zum "Certified Scrum Master". Der nächste Workshop findet im November in Berlin statt. Man sei früh auf das Thema aufgesprungen, das jetzt immer beliebter werde, sagt HLMC-Geschäftsführer Jean Pierre Berchez nicht ohne Stolz.
Warum zurzeit so viele IT-Manager beim Begriff "Scrum" hellhörig werden, dafür hat Jeff Sutherland eine einfache Erklärungen: Der Druck sei größer geworden, Ergebnisse zu liefern, die genau die Anforderungen des Auftraggebers erfüllen. Firmen bräuchten schlankere Prozesse. "Das ist mit Scrum leichter. Die Methode ist team-basiert, und alles geht viel schneller", so Sutherland.
Wie groß die Vorzüge der agilen Methode Scrum sind, das untermauert der Leiter des "Scrum Training Institute" in Somerville/Massachusetts in seinem Vortrag mit einer ganzen Reihe von Schaubildern. Die meisten ähneln sich: Säulenreihen, die von links nach rechts niedriger werden. Auf einer von Sutherlands Grafiken zeigt die linke Säule den Aufwand, den ein Unternehmen in Projekte steckte, bevor es CMMI einführte.
Multitasking raubt Effizienz
Nachdem die Firmenleitung ihre Prozesse nach den CMMI-Modellen ausgerichtet hatte, waren nur noch 69 Prozent des ursprünglichen Aufwands nötig. Dann begann das Unternehmen, mit Scrum zu arbeiten. Die anfangs für Projekte nötigen Ressourcen schrumpften auf 35 Prozent - dargestellt durch die kleinste Säule auf dem Diagramm. Mit solchen Zahlen macht Sutherland deutlich, warum er seinen Vortrag mit "A Systematic Guide to Hyperproductivity" überschrieben hat.
Wer hyperproduktiv sein will, darf sich nicht ablenken lassen. Multitasking ist Jeff Sutherland deshalb ein rotes Tuch. "Das raubt Ihnen 30 Prozent Effizienz." Ob er nach Entdeckung eines Programmierfehlers beim Schreiben einer Software also fortfahren solle, statt zu unterbrechen und den Bug sofort zu beseitigen, will ein Zuhörer wissen. So eng sei das mit dem Multitasking-Verbot auch nicht zu nehmen, entgegnet Sutherland. "Sie wissen ja: Ein Bug darf keinen Sonnenuntergang erleben."
Große Firmen setzen Scrum nicht konsequent ein
Dass eines von drei Unternehmen laut einer Forrester-Studie agile Methoden für die Software-Entwicklung anwendet, freut den geistigen Vater von Scrum. Er sei selbst überrascht gewesen, dass die Methode in jeder Kultur, in jedem Land der Welt funktioniere, sagt Sutherland.
Doch er sieht auch die Fehler, die viele machen: die Tests nach jedem Sprint wegzulassen beispielsweise. "Wir wissen, dass nur die Hälfte der Teams Zeit und Gelegenheit haben, zu testen", bemängelt Sutherland.
Vor allem große Firmen seien bei der Arbeit mit Scrum inkonsequent, sagt er. Sie führen die Methode für ein kritisches Projekt ein, machen gute Erfahrungen damit und verlieren sie danach dennoch wieder aus den Augen. "Sie sollten lieber am Ball bleiben, denn es ist Quatsch, jedes Mal neu mit Scrum anzufangen", sagt Sutherland.
Projekt-Hindernisse und Sünden
Sein Ratschlag an CIOs: Viel Training, um im Unternehmen Scrum-Expertise aufzubauen. Vor allem auf den sogenannten Scrum Master kommt es an. Er überwacht, dass das Scrum-Regelwerk eingehalten wird, und schafft die bestmöglichen Arbeitsbedingungen für die Teams. "Ein guter Scrum Master riskiert im Zweifel seinen Arbeitsplatz, um zu erreichen, dass die Team-Mitglieder zufrieden sind und produktiv arbeiten", sagt Jeff Sutherland. Er selbst hat nach eigenen Angaben schon "tausende" Scrum Masters in Europa und den USA geschult.
Nebenbei erfahren die Gäste des Scrum Day noch, dass die agile Methode längst nicht nur für die Anwendungsentwicklung taugt. Das Prinzip, dass komplexe Entwicklungen sich nicht im Detail planen lassen sondern von kleinen Teams jeweils in Teilen bearbeitet werden, ist mittlerweile sogar in der Kirche heimisch. Seine Frau habe es in der liberalen Gemeinde, in der sie aktiv sei, eingeführt, erzählt Sutherland. Parallelen zu ziehen sei einfach: In Entwicklungsprojekten gelte es, Hindernisse zu beseitigen - in der Kirche strebten die Gläubigen danach, ihre Sünden zu überwinden.