Artificial Intelligence (AI) prägt schon jetzt die Wirtschaft. Nicht zuletzt weil sie branchen- und funktionsübergreifend einsetzbar ist und sich rasant weiterentwickelt. Ihre Bedeutung für die eigene Branche schätzen Unternehmen bereits in fünf Jahren als doppelt so hoch ein. Das zeigt die von Horvath & Partners durchgeführte Studie „Artificial Intelligence – the Next Big Thing“, für die im Januar 2019 Unternehmensvertreter aus neun Branchen befragt wurden (Studie nur nach Abgabe der Kontaktinformationen erhältlich). Heute schätzen 26 Prozent die Bedeutung für ihre Branche als sehr hoch ein, in fünf Jahren bereits 57 Prozent.
88 Prozent der Befragten erwarten, dass AI ihre Branche innerhalb der kommenden fünf Jahre grundlegend verändern wird. Und das über alle untersuchten Branchen hinweg – von der Autoindustrie über Finanzdienstleistungen bis zur Logistik.
Beim Buzzword fehlt noch der Durchblick
Die Mehrheit ist sich darüber im Klaren, dass ihr Unternehmen künftig wohl kaum um die Verwendung künstlicher Intelligenz herumkommen wird. Doch obwohl AI in aller Munde ist und als Buzzword recht populär, herrscht große Unklarheit über ihre genaue Bedeutung. Fast ein Viertel der Befragten (22 Prozent) gibt an, dass AI-Technologien in ihrem Unternehmen weitgehend unbekannt sind. Ihr Wissen auf diesem Gebiet beschränkt sich vorwiegend auf Informationen aus den Medien. Vertieftes Know-how oder gar Anwendungserfahrung sind in diesen Firmen nicht zu finden und werden in den meisten Fällen auch nicht aufgebaut.
Weitere 43 Prozent der Befragten verfügen über Basiskenntnisse, Lediglich ein paar wenige Mitarbeiter in diesen Unternehmen haben sich tieferes Know-how angeeignet. Sie bleiben allerdings einzelne Leuchttürme, denn auch in diesen Firmen werden AI-Kompetenzen noch nicht systemisch aufgebaut. Es sind keine gezielten Schulungen oder Weiterbildungen zu dem Thema etabliert.
Mitarbeiterschulungen unumgänglich
18 Prozent der befragten Unternehmen haben zumindest Mitarbeiter mit vertieften Kenntnissen in Schlüsselpositionen. Diese Experten kennen sich mit der Technologie, ihren Vor- und Nachteilen sowie möglichen Anwendungsgebieten aus. Doch diese wenigen Kollegen sind natürlich nicht immer und in jeder Abteilung verfügbar. Und wenn diese AI-Experten das Unternehmen verlassen, geht mit ihnen das Wissen.
Nachhaltig ist die AI-Kompetenz somit in acht von zehn Firmen nicht verankert. Die große Mehrheit der deutschen Unternehmen ist für den prognostizierten Boom dieser Technologie in fünf Jahren mitnichten gewappnet. Nur 17 Prozent der Unternehmen sind schon weiter: Sie stellen sicher, dass in ihrem Betrieb systematischer Kompetenzaufbau betrieben wird, beispielsweise durch Schulungen und Kooperationen.
Obwohl sich alle einig sind, dass AI große Bedeutung für ihre Branche erlangen wird, wird dieses Wissen nicht im eigenen Unternehmen aufgebaut. Im Wandel zu einer digitaleren Organisation, die künstliche Intelligenz beherrscht und anwendet, müssen die Angestellten mitgenommen werden.
Nicht nur einzelne Experten müssen in das Themenfeld AI involviert und dafür begeistert werden. Schulungen und die Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten, Universitäten oder Start-ups befähigen Mitarbeiter auf diesem wichtigen Gebiet. Letztendlich muss aber aus der Idee eine nachhaltig verankerte Veränderung werden, die die ganze Organisation betrifft, und nicht nur einzelne Fachkräfte.
Wenige Vorreiter, viele Mitläufer
Lernen können Unternehmen von Banken und Versicherern sowie Konzernen. Die Finanzbranche gehört zu den Vorreitern beim systemischen Kompetenzaufbau in Sachen AI. Branchenübergreifend zählen sich gerade einmal 16 Prozent der Befragten zu Pionieren im Vergleich zum Wettbewerb. Mehr als jeder Dritte (36 Prozent) gibt zu, sich im Vergleich zur Konkurrenz im Rückstand zu befinden. Hier ist nicht nur das Wissen der Mitarbeiter zum Themenfeld wichtig, nachhaltig wird AI erst, wenn konkrete Anwendungsbeispiele existieren.
Doch viele Befragte haben nicht einmal geplant, sich dem Gebiet mit tatsächlichen Anwendungen anzunähern: Jeder Vierte hat keinerlei AI-Initiativen geplant. Das betrifft vor allem die mittelgroßen Firmen mit mehr als 250 bis unter 10.000 Mitarbeitern. Konzerne mit mehr als 10.000 Mitarbeitern sind vergleichsweise gut aufgestellt. Doch für alle gilt: Nur acht Prozent haben bereits Lösungen in ihrem Unternehmen umgesetzt.
AI macht subjektive Interpretation unnötig
In den wenigen Firmen mit Erfahrungen im Bereich der AI-Projekte lassen sich auch für andere Unternehmen Muster bezüglich optimaler Einsatzbereiche erkennen. Großen Nutzen sehen die Befragten im Bereich der fortgeschrittenen selbstlernenden Systeme zum Beispiel dort, wo Entscheidungen bislang subjektiv durch Interpretation großer Informationsmengen getroffen wurden.
Firmen nutzen AI beispielsweise in folgenden Bereichen:
IT und Sicherheit (28 Prozent)
Marketing (24 Prozent)
Kundenservice (22 Prozent)
Hier fällt es Menschen mitunter schwer, den Überblick über riesige Datenmengen zu behalten. So werden sie mehr aus dem Bauch heraus interpretiert und Handlungsanweisungen abgeleitet. Künstliche Intelligenz kann helfen, Entscheidungen auf eine fundiertere Basis zu stellen.
In anderen Abteilungen werden eher die traditionellen regelbasierten Systeme angewendet. Diese Methode braucht klar definierte Problemstellungen, konkrete Fakten bestimmen den Prozess. Verändert sich die Datenlage, müssen IT-Mitarbeiter den Prozess neu definieren. Dahinter verbirgt sich kein echter Lernprozess, sondern eher eine Nachahmung menschlicher Intelligenz durch Computer. Sie können somit eher bei der Datenauswertung assistieren statt selbstständig zu arbeiten. Diese Hilfestellung wird in Finanzabteilungen beim Reporting und in der Produktion genutzt (je 13 Prozent). Auch im Controlling oder Personalmanagement sind regelbasierte Systeme im Einsatz.
Zum Video: Selbstlernende Systeme nur ein Buzzword?
Fazit: Veränderungen jetzt anstoßen
Um künftig mit der bereits selbst erkannten Entwicklung Richtung mehr AI-Anwendungen Schritt halten zu können, müssen Unternehmen jetzt tätig werden. In der Praxis haben sich als Handlungsempfehlung fünf wichtige Schritte herauskristallisiert, die eine erfolgreiche Nutzung von AI im Unternehmen ermöglichen.
1. Es müssen zunächst überhaupt die richtigen Anwendungsfelder im Unternehmen identifiziert werden. Interne Prozesse müssen bei diesen Schwerpunkten genauso berücksichtigt werden wie externe Produktanwendungen.
2. Sind die Anwendungsfelder gefunden, müssen dafür Leiplanken in Form einer an der Firmenstrategie orientierten AI-Strategie definiert werden. Darin werden die Roadmap und ein konkreter Aktionsplan definiert.
3. Anschließend wird mit ersten richtungsweisenden Anwendungen begonnen. Anhand solcher Leuchtturmprojekte werden erste Wertbeiträge für das Unternehmen sichtbar und Mitarbeiter können ihre Kompetenzen in der neuen Technologie erlernen oder ausbauen. AI-Experten können extern angeworben und intern geschult werden.
4. Sind erste Anwendungsfälle umgesetzt, muss AI im Organisations- und Betriebsmodell verankert werden. Für Experten müssen neue Rollen geschaffen oder bestehende angepasst werden, damit klare Zuständigkeiten und eine gute Verteilung der Umsetzungskompetenz gewährleistet sind. Agile Zusammenarbeitsmodelle unterstützen den Übergang von der Pilot- in die Produktivphase.
5. Ein aktives Change-Management ist wichtig für den Erfolg der AI-Einführung. Führungskräfte, Mitarbeiter und Arbeitnehmervertretung müssen im Prozess mitgenommen werden. Schulungen und Kooperationen können helfen, Kompetenzen im eigenen Haus aufzubauen und zu verankern. Zudem muss ein Plan für die Wartung und Weiterentwicklung der Systeme und Algorithmen festgelegt werden.
Es ist also ein ganzheitliches und systematisches Vorgehen erforderlich, um das volle Potenzial von Artificial Intelligence zu heben. Nur so kann die Performance im Unternehmen nachhaltig gesteigert werden. Ein rein technologisch getriebener oder auf die Umsetzung einzelner Anwendungsfälle abzielender Ansatz greift deutlich zu kurz.