Artificial Intelligence

Selbstlernende Systeme nur ein Buzzword?

19.07.2019 von Rainer Zierhofer
Obwohl 88 Prozent der Unternehmen Artificial Intelligence (AI) als höchst wichtig beurteilen, kennt sich nur eine Minderheit damit aus.
Ein Beispiel aus dem privaten Bereich: Im Smart Home der Zukunft könnten Familienmitglieder dem Kochroboter Feedback geben, ob ein neues Gericht geschmeckt hat, oder eher nicht. Dadurch kann die AI lernen und durch verändern der Zutaten oder durch Neukreationen das Ergebnis optimieren.
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Artificial Intelligence (AI) prägt schon jetzt die Wirtschaft. Nicht zuletzt weil sie branchen- und funktionsübergreifend einsetzbar ist und sich rasant weiterentwickelt. Ihre Bedeutung für die eigene Branche schätzen Unternehmen bereits in fünf Jahren als doppelt so hoch ein. Das zeigt die von Horvath & Partners durchgeführte Studie „Artificial Intelligence – the Next Big Thing“, für die im Januar 2019 Unternehmensvertreter aus neun Branchen befragt wurden (Studie nur nach Abgabe der Kontaktinformationen erhältlich). Heute schätzen 26 Prozent die Bedeutung für ihre Branche als sehr hoch ein, in fünf Jahren bereits 57 Prozent.

88 Prozent der Befragten erwarten, dass AI ihre Branche innerhalb der kommenden fünf Jahre grundlegend verändern wird. Und das über alle untersuchten Branchen hinweg – von der Autoindustrie über Finanzdienstleistungen bis zur Logistik.

Die Bedeutung von Artificial Intelligence wird sich branchenübergreifend in den kommenden fünf Jahren verdoppeln. Für diese nahe Zukunft sehen 57 Prozent der Unternehmen eine sehr hohe Relevanz.
Foto: Horváth & Partners

Beim Buzzword fehlt noch der Durchblick

Die Mehrheit ist sich darüber im Klaren, dass ihr Unternehmen künftig wohl kaum um die Verwendung künstlicher Intelligenz herumkommen wird. Doch obwohl AI in aller Munde ist und als Buzzword recht populär, herrscht große Unklarheit über ihre genaue Bedeutung. Fast ein Viertel der Befragten (22 Prozent) gibt an, dass AI-Technologien in ihrem Unternehmen weitgehend unbekannt sind. Ihr Wissen auf diesem Gebiet beschränkt sich vorwiegend auf Informationen aus den Medien. Vertieftes Know-how oder gar Anwendungserfahrung sind in diesen Firmen nicht zu finden und werden in den meisten Fällen auch nicht aufgebaut.

Weitere 43 Prozent der Befragten verfügen über Basiskenntnisse, Lediglich ein paar wenige Mitarbeiter in diesen Unternehmen haben sich tieferes Know-how angeeignet. Sie bleiben allerdings einzelne Leuchttürme, denn auch in diesen Firmen werden AI-Kompetenzen noch nicht systemisch aufgebaut. Es sind keine gezielten Schulungen oder Weiterbildungen zu dem Thema etabliert.

Nur eine Minderheit der Unernehmen betreibt im Bereich AI-Technologie einen systematischen Kompetenzaufbau.
Foto: Horváth & Partners

Mitarbeiterschulungen unumgänglich

18 Prozent der befragten Unternehmen haben zumindest Mitarbeiter mit vertieften Kenntnissen in Schlüsselpositionen. Diese Experten kennen sich mit der Technologie, ihren Vor- und Nachteilen sowie möglichen Anwendungsgebieten aus. Doch diese wenigen Kollegen sind natürlich nicht immer und in jeder Abteilung verfügbar. Und wenn diese AI-Experten das Unternehmen verlassen, geht mit ihnen das Wissen.

Nachhaltig ist die AI-Kompetenz somit in acht von zehn Firmen nicht verankert. Die große Mehrheit der deutschen Unternehmen ist für den prognostizierten Boom dieser Technologie in fünf Jahren mitnichten gewappnet. Nur 17 Prozent der Unternehmen sind schon weiter: Sie stellen sicher, dass in ihrem Betrieb systematischer Kompetenzaufbau betrieben wird, beispielsweise durch Schulungen und Kooperationen.

Obwohl sich alle einig sind, dass AI große Bedeutung für ihre Branche erlangen wird, wird dieses Wissen nicht im eigenen Unternehmen aufgebaut. Im Wandel zu einer digitaleren Organisation, die künstliche Intelligenz beherrscht und anwendet, müssen die Angestellten mitgenommen werden.

Nicht nur einzelne Experten müssen in das Themenfeld AI involviert und dafür begeistert werden. Schulungen und die Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten, Universitäten oder Start-ups befähigen Mitarbeiter auf diesem wichtigen Gebiet. Letztendlich muss aber aus der Idee eine nachhaltig verankerte Veränderung werden, die die ganze Organisation betrifft, und nicht nur einzelne Fachkräfte.

Wenige Vorreiter, viele Mitläufer

Lernen können Unternehmen von Banken und Versicherern sowie Konzernen. Die Finanzbranche gehört zu den Vorreitern beim systemischen Kompetenzaufbau in Sachen AI. Branchenübergreifend zählen sich gerade einmal 16 Prozent der Befragten zu Pionieren im Vergleich zum Wettbewerb. Mehr als jeder Dritte (36 Prozent) gibt zu, sich im Vergleich zur Konkurrenz im Rückstand zu befinden. Hier ist nicht nur das Wissen der Mitarbeiter zum Themenfeld wichtig, nachhaltig wird AI erst, wenn konkrete Anwendungsbeispiele existieren.

Doch viele Befragte haben nicht einmal geplant, sich dem Gebiet mit tatsächlichen Anwendungen anzunähern: Jeder Vierte hat keinerlei AI-Initiativen geplant. Das betrifft vor allem die mittelgroßen Firmen mit mehr als 250 bis unter 10.000 Mitarbeitern. Konzerne mit mehr als 10.000 Mitarbeitern sind vergleichsweise gut aufgestellt. Doch für alle gilt: Nur acht Prozent haben bereits Lösungen in ihrem Unternehmen umgesetzt.

Künstliche Intelligenz - ein Ratgeber
KI im Unternehmen und Personalmanagement
Künstliche Intelligenz (KI) birgt ein enormes Potenzial für Unternehmen, zum Beispiel beim Einsatz im Personalmanagement. Joachim Skura, Thought Leader Human Capital Management bei Oracle, nennt Vorteile der KI sowie wichtige Faktoren, die bei der Planung sowie Nutzung zu beachten sind.
Kooperation der Führungskräfte
Da die KI-Technologie heute alle Unternehmensebenen durchdringt, müssen HR-Verantwortliche mit den anderen Führungskräften zusammenarbeiten, um Automatisierungsstrategien für die einzelnen Teams zu entwickeln.
Intelligenz kombinieren
KI muss zu einem Umdenken in Bezug auf die Belegschaft führen: Es geht nicht mehr nur darum, Mitarbeiter einzustellen. Vielmehr müssen menschliche und künstliche Intelligenz kombiniert werden, um die Produktivität zu maximieren.
Sinnvolle Prozessautomatisierung
Ein ganz wesentlicher Aspekt der Nutzung von KI ist, das Streben nach mehr Effizienz in Relation zu den tatsächlichen Möglichkeiten zu setzen. Nur weil sich ein Prozess automatisieren lässt, heißt das noch lange nicht, dass man das auch tun sollte. Das gilt auch im Personalwesen.
Keine Big-Brother-Atmosphäre schaffen
KI kann für die Sicherheit des Unternehmens sehr hilfreich sein. Viele Betriebe nutzen KI-Technik, um Anwendungen, Systeme und Infrastruktur ständig zu überwachen und anomales Verhalten in Echtzeit zu erkennen und zu bewerten. Hier sollten Unternehmen aber unbedingt darauf achten, dass keine „Big-Brother-Atmosphäre“ geschaffen wird. Der Personalabteilung kommt dabei eine wichtige Rolle zu.
Daten und Technik ausschöpfen
KI sollte bei Einstellungs- und Besetzungsplänen zur Anwendung kommen. Der Grund: Es gilt, kontextbezogene Daten und Technologien auszuschöpfen, um Probleme wie hohe Fluktuationsraten in Angriff zu nehmen, Mitarbeiter besser zu verstehen und den vorhandenen Pool an Talenten effektiver zu nutzen. Nur so lässt sich Arbeit intelligenter, angenehmer und kollaborativer gestalten – und letztendlich auch wertschöpfender.
KI im Recruiting nutzen
Künstliche Intelligenz wird derzeit auch im Recruiting immer wichtiger. Recruiter nutzen KI, um herauszufinden, welche Skills das Unternehmen aktuell benötigt, und wo passende Kandidaten zu finden sind.
Bewerbungsmanagement automatisieren
Mit Hilfe von KI lassen sich zeitaufwendige Aufgaben wie das manuelle Screening von Lebensläufen und Bewerber-Pools automatisieren.
Candidate Experience aufbauen
Leistungsstarke und integrierte KI-Funktionen sowie klare Abläufe helfen, im Personalmanagement eine benutzerfreundliche und personalisierte Candidate Experience vom Erstkontakt bis hin zur Einstellung und Eingliederung zu schaffen.
Mehr Effizienz durch Machine Learning
Modernste Machine-Learning-Anwendungen unterstützen das Personalwesen, die Time-to-Hire zu verkürzen, indem sie proaktiv eine Vorauswahl der geeignetsten Kandidaten treffen und Empfehlungen geben.
Chatbots einsetzen
Ein Chatbot kann eine Datenquelle sein, mit deren Hilfe Unternehmen mehr über ihre Mitarbeiter erfahren. Machine-Learning-Analysen von Fragen und Gesprächen können einzigartige und bisher nicht mögliche Einblicke liefern. So lassen sich zugrundeliegende Probleme aufdecken – und das vielleicht noch, bevor sich der Mitarbeiter dieser überhaupt bewusst ist.

AI macht subjektive Interpretation unnötig

In den wenigen Firmen mit Erfahrungen im Bereich der AI-Projekte lassen sich auch für andere Unternehmen Muster bezüglich optimaler Einsatzbereiche erkennen. Großen Nutzen sehen die Befragten im Bereich der fortgeschrittenen selbstlernenden Systeme zum Beispiel dort, wo Entscheidungen bislang subjektiv durch Interpretation großer Informationsmengen getroffen wurden.
Firmen nutzen AI beispielsweise in folgenden Bereichen:

IT und Sicherheit (28 Prozent)

Marketing (24 Prozent)

Kundenservice (22 Prozent)

Hier fällt es Menschen mitunter schwer, den Überblick über riesige Datenmengen zu behalten. So werden sie mehr aus dem Bauch heraus interpretiert und Handlungsanweisungen abgeleitet. Künstliche Intelligenz kann helfen, Entscheidungen auf eine fundiertere Basis zu stellen.

In anderen Abteilungen werden eher die traditionellen regelbasierten Systeme angewendet. Diese Methode braucht klar definierte Problemstellungen, konkrete Fakten bestimmen den Prozess. Verändert sich die Datenlage, müssen IT-Mitarbeiter den Prozess neu definieren. Dahinter verbirgt sich kein echter Lernprozess, sondern eher eine Nachahmung menschlicher Intelligenz durch Computer. Sie können somit eher bei der Datenauswertung assistieren statt selbstständig zu arbeiten. Diese Hilfestellung wird in Finanzabteilungen beim Reporting und in der Produktion genutzt (je 13 Prozent). Auch im Controlling oder Personalmanagement sind regelbasierte Systeme im Einsatz.

Zum Video: Selbstlernende Systeme nur ein Buzzword?

Fazit: Veränderungen jetzt anstoßen

Um künftig mit der bereits selbst erkannten Entwicklung Richtung mehr AI-Anwendungen Schritt halten zu können, müssen Unternehmen jetzt tätig werden. In der Praxis haben sich als Handlungsempfehlung fünf wichtige Schritte herauskristallisiert, die eine erfolgreiche Nutzung von AI im Unternehmen ermöglichen.

1. Es müssen zunächst überhaupt die richtigen Anwendungsfelder im Unternehmen identifiziert werden. Interne Prozesse müssen bei diesen Schwerpunkten genauso berücksichtigt werden wie externe Produktanwendungen.

2. Sind die Anwendungsfelder gefunden, müssen dafür Leiplanken in Form einer an der Firmenstrategie orientierten AI-Strategie definiert werden. Darin werden die Roadmap und ein konkreter Aktionsplan definiert.

3. Anschließend wird mit ersten richtungsweisenden Anwendungen begonnen. Anhand solcher Leuchtturmprojekte werden erste Wertbeiträge für das Unternehmen sichtbar und Mitarbeiter können ihre Kompetenzen in der neuen Technologie erlernen oder ausbauen. AI-Experten können extern angeworben und intern geschult werden.

4. Sind erste Anwendungsfälle umgesetzt, muss AI im Organisations- und Betriebsmodell verankert werden. Für Experten müssen neue Rollen geschaffen oder bestehende angepasst werden, damit klare Zuständigkeiten und eine gute Verteilung der Umsetzungskompetenz gewährleistet sind. Agile Zusammenarbeitsmodelle unterstützen den Übergang von der Pilot- in die Produktivphase.

5. Ein aktives Change-Management ist wichtig für den Erfolg der AI-Einführung. Führungskräfte, Mitarbeiter und Arbeitnehmervertretung müssen im Prozess mitgenommen werden. Schulungen und Kooperationen können helfen, Kompetenzen im eigenen Haus aufzubauen und zu verankern. Zudem muss ein Plan für die Wartung und Weiterentwicklung der Systeme und Algorithmen festgelegt werden.

Es ist also ein ganzheitliches und systematisches Vorgehen erforderlich, um das volle Potenzial von Artificial Intelligence zu heben. Nur so kann die Performance im Unternehmen nachhaltig gesteigert werden. Ein rein technologisch getriebener oder auf die Umsetzung einzelner Anwendungsfälle abzielender Ansatz greift deutlich zu kurz.