Wissen ist ein außergewöhnlicher Rohstoff: Im Überfluss vorhanden, für Unternehmen immer wichtiger und doch für Mitarbeiter schwer zu greifen. Je komplizierter die Welt der Produkte und Dienstleistungen wird, desto bedeutender ist Weiterbildung. Dabei reichen Schulungen für eine ganze Abteilung nicht mehr aus, um gezielt zu trainieren und der Konkurrenz einen Schritt voraus zu sein.
Deshalb nutzen mehr als 80 Prozent der Unternehmen E-Learning-Programme. Jetzt zeichnet sich ab, dass das Web 2.0, das sogenannte soziale Netz, diesen Teil der Arbeitswelt revolutionieren wird - das glauben jedenfalls Forscher wie Michael Kerres, Professor für Mediendidaktik und Wissensmanagement an der Universität Duisburg-Essen. Seine Zukunftsvision umfasst drei Faktoren, die für das "E-Learning 2.0" entscheidend sein werden: Individualität, soziales Lernen und Transparenz.
Individualisiertes Lernen bedeutet demnach, dass jeder Mitarbeiter genau das Angebot bekommt, das er braucht. Der Angestellte, der oft mit Kunden aus Kanada telefoniert, sollte einen Wirtschaftsenglisch-Kurs besuchen. Dafür muss der Betrieb nicht wie früher einen Sprachtrainer oder eine Reise bezahlen. Stattdessen lädt sich der Mitarbeiter ein Lernprogramm auf seinen Flashplayer herunter, hört es sich an, löst nach jeder Lektion die Testaufgaben und stellt seine Ergebnisse in ein Portal.
Community statt Konferenzsaal
Sozial wird das Lernen dann, wenn sich Mitarbeiter in Communitys zusammenfinden. Sie senden ihre Erkenntnisse über ein neues Produkt per RSS-Feed an die Gruppe, zeigen sich gegenseitig ihre Lesezeichen oder Termine und verständigen sich zusätzlich per Messenger. So verschwimmen die Grenzen zwischen Lernen und Kommunikation.
Dieser Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung von manager-magazin.de.
Wenn das Wissen nicht mehr in den "Eigenen Dateien", sondern in einem Weblog oder einem lexikonartigen Wiki abgelegt wird, dann ist es transparent. Das wird für Chefs interessant, wenn Mitarbeiter etwa Testergebnisse auf die Plattform stellen. So weiß der Vorgesetzte, was der Untergebene gelernt hat - unter Umständen ein rigider Kontrollmechanismus.
Keine Angst vor den Blicken des Chefs
Die Kontrolle des Chefs scheinen viele Beschäftigte aber gar nicht zu fürchten, wie eine aktuelle Umfrage unter Kunden von Webacad, einem Anbieter von E-Learning-Programmen, zeigt: 77 Prozent der Befragten erklärten, dass ihr Vorgesetzter die Lernergebnisse überhaupt nicht prüfe. Rund zwei Drittel der Mitarbeiter nutzen das E-Learning-Angebot ihres Unternehmens - im Jahr 2002 war es nur die Hälfte.
Die elektronisch gestützte Weiterbildung scheint also in den Büros angekommen zu sein. Kunden von Webacad nutzen E-Learning-Programme, weil sie dadurch nach individuellem Lerntempo arbeiten können, Fallbeispiele nutzen und nicht an einen Ort gebunden sind.
Allerdings spielen die vielen Bausteine des Web 2.0 noch in den wenigsten Unternehmen eine tragende Rolle. "Weblogs oder Foren werden selten mit Lernen in Verbindung gebracht", erklärt Oliver Hoffmann, Projektleiter bei Webacad. Solche Informations-Sammelstellen gehören eher in die Sparte Wissens-Management, sie werden vor allem in PR-Abteilungen oder in der Finanzverwaltung genutzt.
Didaktik mit Podcast
E-Learning dagegen sei "die elektronische Form eines Seminars", erklärt Experte Hoffmann. Ein solches Seminar müsse didaktisch aufgebaut sein. Auf lange Sicht könne er sich Mischformen vorstellen, etwa eine virtuelle Schulung mit anschließender Zusammenfassung per Podcast.
Trotz dieser schönen neuen Lernwelt müssen Weiterbildungskräfte nicht um ihren Arbeitsplatz fürchten - das verspricht zumindest die Studie. Die meisten Nutzer betrachten E-Learning als Ergänzung, nicht als Ersatz für Seminar und Schulung.
So sehen es auch Fachleute: "Blended Learning, also ein Methoden-Mix, ist am besten", erklärt Michael Repnik, Geschäftsführer des E-Learning-Anbieters Learn Champ. Der Kontakt zu echten Menschen sei nach wie vor unverzichtbar. Während des Dotcom-Booms hätten viele Unternehmen elektronische Trainingsangebote angeschafft, ohne die Mitarbeiter richtig einzuweisen. Oft habe die Technik schlecht funktioniert und ein Trainer als zusätzlicher Ansprechpartner gefehlt.
Langfristig Kosten reduzieren
Wer die Mitarbeiter dagegen einbindet, kann nach Repniks Meinung seine Produkte verbessern und damit langfristig Kosten sparen. "Informelles Lernen funktioniert besser als das klassische Lernen in einem Kurs", erklärt er.
Informell sei zum Beispiel ein simuliertes Verkaufsgespräch, das der Vertriebsmitarbeiter mit Headset und Mikrofon an seinem Computerarbeitsplatz führt. Das Programm spielt verschiedene Situationen durch und zeigt zu jedem Kundenwunsch mehrere Optionen auf, die der Übende dann wählen kann. Später bespricht er die Ergebnisse mit einem Trainer. Damit interne Informationen aus webbasierten Systemen nicht in falsche Hände gelangen, sind die Programme verschlüsselt.
Trotz der Vielfalt der Angebote scheuen Unternehmen immer noch davor zurück, elektronische Weiterbildung einzuführen. Zu viele sind schon daran gescheitert, dass die Mitarbeiter das System nicht akzeptieren. "Das liegt oft an einem verkürzten Verständnis vom Lernen", erklärt Heinz Mandl, Professor für empirische Pädagogik und pädagogische Psychologie an der Universität München. Ein technisch hochwertiges Programm reiche nicht aus, sondern notwendig sei auch eine neue Lernkultur.
Lernende brauchen Freiräume
Wie E-Learning erfolgreich eingeführt werden kann, das hat der Münchener Lehrstuhl am Beispiel eines Pharmaunternehmens untersucht. Wichtig sei vor allem eine Bedarfsanalyse im Voraus. Im nächsten Schritt müsse das E-Training in die bisherigen Seminarstrukturen des Betriebes eingebunden werden, so die Forscher. Die Geschäftsführung müsse das Projekt offensiv vertreten und den Angestellten auch Freiräume zum Lernen einräumen. Experten empfehlen, die Übungszeiten in einer Betriebsvereinbarung festzuhalten.
Mandl rät außerdem, im Unternehmen einen Lenkungsausschuss und einen ständigen, kompetenten Ansprechpartner zu ernennen. Das Fazit der Forscher: Der virtuelle Seminarraum hat Zukunft. Aber nur, wenn die Unternehmen "den Menschen und nicht die Technologie in den Vordergrund stellen."