Neue Tools einführen kann jeder. Hat die IT schließlich schon immer gemacht. Vor einer echten Herausforderung steht ein CIO, wenn er mit technischen Umbauten Mitarbeiter zwingt, alte Gewohnheiten über Bord zu werfen, ihre Arbeitsweise zu ändern. Die Erfahrung hat Harmut Willebrand gemacht, CIO für die DACH-Region beim Versicherungsmakler Aon mit Sitz in Hamburg. Er sagt: "Wir sprechen zu viel in unserer Technik-Sprache mit den Mitarbeitern. Die Kollegen zur sinnvollen Nutzung der IT-Werkzeuge zu motivieren, kommt dabei zu kurz."
Vor zwei Jahren bei Aon an Bord gekommen, hat Willebrand zunächst 1500 Mitarbeiter mit neuen Clients ausgestattet, ist dabei auf Windows 7 umgestiegen und hat die Software-Landschaft bereinigt. In den vergangenen zwölf Monaten dann legte er den Schwerpunkt auf tiefgreifende Neuerungen bei Technik und Prozessen. Unter anderem baute er die Server-Landschaft um, virtualisierte die Systeme. Im Rahmen dessen veränderte er auch die Datenspeicherung: Ältere und selten benötigte Daten erhielten einen weniger prominenten, kostengünstigeren Speicherplatz als neue. WAN-Acceleratoren verbessern nun den Datentransfer. Außerdem führte der CIO bei Aon die neueste Microsoft-Office-Version inklusive Lync und Sharepoint ein.
"Technischer Machbarkeitswahn"
Der Fokus der Umsetzung lag zunächst auf der Technik. Überzeugt von ihrer Fachkompetenz, neige die IT nicht selten zu einem "technischen Machbarkeitswahn", sagt Willebrand. Doch trotz aller theoretischen Planung bleibe vieles unvorhersehbar. Die Neuerungen veränderten schließlich Grundsätzliches in der Arbeitskultur des Unternehmens. "Jetzt geht es darum, die Veränderungen den Mitarbeitern schmackhaft zu machen. Dafür muss man fast mehr Energie aufwenden als für das Technische", sagt Willebrand.
Wie schwer das Brechen mit eingefahrenen Gewohnheiten fällt, zeigte sich für Willebrand am deutlichsten bei der Einführung standardisierter Prozesse. Sie sollen den bisher so beliebten IT-Support auf Zuruf bald ablösen. "Stattdessen sollen die IT-Lösungen stets in der richtigen Version unsichtbar für alle Aon-Mitarbeiter im Hintergrund laufen und die Kollegen in die Lage versetzen, ihre Arbeit gut zu erledigen", sagt Willebrand. Allerdings: "Für die Mitarbeiter stellen sich bei dem neuen Verfahren die Erfolgserlebnisse oft erst langfristig ein", sagt der IT-Chef.
Ein weiterer organisatorischer Umbruch - auch für die Aon-Mitarbeiter außerhalb der IT - kam mit der Ausrichtung auf die Norm ISO 27001, den IT-Grundschutz. Sie berührte die Arbeit der Versicherungsmakler. Bei all ihren Arbeitsschritten müssen sie sich seither stärker als vorher an IT-gestützte Vorgehensweisen halten - vor allem sind sie gefordert, Daten transparent und nachvollziehbar zu verwalten. "Ziel ist ein sicherer Umgang mit Daten, aber dadurch wird auch der Freiheitsgrad des Einzelnen geringer", sagt Willebrand.
Ungelenke Nutzung von Collaboration Tools
Wie stark die Macht alter Gewohnheiten ist, zeigte sich auch bei Collaboration Tools. Für gewöhnlich argumentieren Marktbeobachter, der Firmen-Chat über Plattformen wie Lync oder der Austausch von Dokumenten auf Sharepoint kämen der Arbeitsweise heutiger Angestellter ohnehin entgegen. Ihr Einsatz sollte daher nahezu ein Selbstläufer sein. Doch diese Annahme kann. Willebrand nicht bestätigen: "Einige junge Mitarbeiter kennen derartige Chat-Funktionen aus ihrem Privatleben. Doch den meisten Kollegen sind sie fremd. Denen muss man ausführlich den Sinn und Nutzen des Ganzen näherbringen."
Dass der Großteil der Mitarbeiter sich in seinem Kommunikationsverhalten nicht einfach auf neue Werkzeuge dieser Art einstellt, offenbarte sich auch an ungelenker Nutzung. Ein typischer Fehler: Ein Nutzer schreibt einen anderen an, obwohl der seinen Status auf "Rot" gestellt hat - also nicht erreichbar ist. "Zu sehen, ob jemand anwesend und ansprechbar ist, ist eigentlich eine wertvolle Information, aber ich muss sie auch wahrnehmen und beachten", sagt der Aon-IT-Chef. Für die Nutzung von Lync stellte er einen Kommunikationsleitfaden zusammen.
Ein ähnliches Problem beobachtete Willebrand beim Einsatz von Sharepoint. Die Aon-Mitarbeiter in Deutschland, Österreich und der Schweiz können hierüber jetzt Dokumente austauschen. Die Vorteile liegen aus Sicht des IT-Chefs auf der Hand: Auf der Plattform liegt immer die aktuelle Version eines Dokuments, alle haben darauf Zugriff, bekommen sogar eine Mitteilung über neue, für sie wichtige Inhalte. "Doch auch hier war es viel Arbeit, ein Bewusstsein zu schaffen: Beachtet die Mitteilung über ein neues Dokument. Vielleicht steht darin etwas Wichtiges für Euer nächstes Kundengespräch", so Willebrand.
Um ein besseres Bewusstsein für die neuen IT-Werkzeuge zu schaffen, setzt Willebrand auf Bodenständiges: "Die IT-Kollegen müssen mehr mit den Leuten reden, sich um sie kümmern.
Seine Mitarbeiter seien angehalten, immer ansprechbar zu sein und auch von sich aus auf Kollegen zuzugehen. "Gerade beim Zusammenkommen in der Kaffeeküche entwickeln sich immer wieder Gespräche, die weiterhelfen."
Standardisierung im Business unterstützt Ansatz der IT
Unterstützung erfährt sein Werben um die Nutzung der neuen Werkzeuge jetzt durch Aons Produkt-Angebot. Zusätzlich zu Individual-Lösungen will der Versicherungsmakler künftig auch stärker mit einer größeren Palette standardisierter Produkte an den Markt gehen. Das werde dazu führen, dass sich Mitarbeiter stärker über Standorte hinweg austauschen. Und die Standardisierung bringt es mit sich, dass Mitarbeiter ihre eigene Arbeitsweise stärker an Vorgaben ausrichten müssen.
Bis die Arbeit mit Sharepoint vollständig eingespielt sei, werde es aber womöglich noch bis Anfang 2014 dauern, schätzt der Aon-IT-Chef. Mindestens bis dahin müssen seine Leute also ansprechbar sein und Überzeugungsarbeit leisten.