Das beherrschende Thema für Airbus ist derzeit das zum großen Teil aus Kohlenstofffasern gefertigte Langstreckenflugzeug A 350 - ein designierter Umsatzbringer des Teilkonzerns. Nicht nur mit dem Produkt selbst, sondern auch mit dessen Fertigung betrat Airbus Neuland: Zum ersten Mal wurde ein Fluggerät vollständig innerhalb einer einzigen Entwicklungsumgebung entwickelt. Mehr noch: Die Entwicklung ist eingebettet in ein durchgängiges Product-Lifecycle-Management (PLM), das die Flugzeuge über Jahrzehnte begleiten soll.
"Wir haben aus den Problemen der A 380 gelernt", sagt CIO Guus Dekkers. Die Unternehmenshistorie habe es mit sich gebracht, dass viele unterschiedliche Tools und Methoden im Einsatz waren. Diese Heterogenität habe auf die Datenbasis und Dokumentation durchgeschlagen. Mit einer einheitlichen Umgebung ließen sich viele Schwierigkeiten im Ansatz vermeiden.
Das PLM-System wird sukzessive eingeführt - mit zwei "Deliveries" pro Jahr, wie Dekkers berichtet. "Dabei können wir quasi dem Lifecyle des Fliegers folgen; im ersten Jahr brauchen wir beispielsweise selbstverständlich noch kein Ersatzteil-Management." Und was für die A 350 funktioniert, kann auch der A 380 nicht schaden. Deren Daten und Prozesse sollen rückwirkend in ein ähnliches PLM migriert werden - wie auch die der Militärmaschine A 400 M.
Nur Tools aus bestimmten Ländern
Für das PLM-System hat Airbus neben 40 eigenen etwa 200 externe Mitarbeiter eingespannt. Das sei relativ normal bei derartigen Projekten, sagt Dekkers - zumindest dort, wo es sich um die zivile Luftfahrt handele. Trotz der hohen Sicherheitsanforderungen an die Systeme will der CIO eigentlich nur drei strategische Aufgaben innerhalb der Airbus-IT belassen: die Definition der Architektur, das Projekt-Management und das Service-Management. Alle anderen Leistungen werden weitestgehend von Dritten bezogen.
Andere Teile des weitverzweigten Konzerns müssen das partiell unterschiedlich handhaben: Der Wehrtechnikkonzern Cassidian und das Raumfahrtunternehmen Astrium sind noch stärker als Airbus der Kontrolle des Bundesverteidigungsministeriums beziehungsweise des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) unterworfen. Das kann so weit gehen, dass für ein bestimmtes Projekt nur Mitarbeiter und Tools aus einem bestimmten Land zugelassen sind. Keine leichte Aufgabe in einem multinationalen Konzern. "Willkommen in meiner Welt", schmunzelt der CIO.
So musste sich auch der IT-Dienstleister T-Systems, für die staatlichen Stellen in Deutschland längst ein enger Vertrauter, einer Akkreditierung durch den französischen Staat unterwerfen, als er kürzlich den Desktop-Service für alle europäischen EADS-Niederlassungen, insgesamt 130.000 Geräte, übernahm. Die Telekom-Tochter hat auch den Betrieb der Airbus-Mainframes weitgehend übernommen.
Allerdings gibt es auch Bereiche, wo die hauseigenen "Economies of Scale" jeden potenziellen Dienstleistungspartner in den Schatten stellen: "Wir verfügen über sechs Petabyte Speichervolumen, damit ist Storage as a Service für uns kein Thema", sagt Dekkers. Ein Markt für Cloud-Services, wie ihn die Deutsche Börse gerade angekündigt hat, kann ihn also nicht reizen.
Der E-Marketplace
Generell hält der EADS-CIO aber viel von elektronischen Marktplätzen. Gemeinsam mit dem E-Market-Betreiber SupplyOn hat Airbus einen Cloud-basierenden Marktplatz für die Aeronautik-Industrie aufgebaut, der nicht nur die First-Tier-Supplier sondern auch deren Zulieferer auf einer Plattform zusammenbringt.
Laut Dekkers tummeln sich auf "AirSupply" mittlerweile rund 800 Zulieferer allein aus dem Airbus-Universum; Eurocopter und Astrium haben sich ebenfalls angeschlossen. Große Supplier wie Safran und Liebherr nutzen die Plattform auch zum Austausch mit ihren eigenen Zulieferfirmen.
Kompetenz-Zentrum für RFID
Ein anderes Thema, das vor allem für Airbus strategische Bedeutung hat, ist die berührungslose Identifikation über Funktechnik, Radio Frequency Identification oder RFID genannt. Hierfür hat das Unternehmen ein Kompetenz-Center eingerichtet.
In der neuen A 350 ist quasi jedes bewegliche Teil, das an Bord ist, mit einem RFID-Tag ausgerüstet, so dass es bequem geortet werden kann. Auf diese Weise lässt sich beispielsweise innerhalb kurzer Zeit überprüfen, ob unter jeder Sitzfläche eine Schwimmweste liegt - ohne dass sich jemand bücken und die Sitze anheben muss. Verhinderbar ist auf diese Weise auch, dass bei der Konstruktion ein Werkzeug dort verbleibt, wo es später den Betrieb stört, zum Beispiel in den Tragflächen.
Ein solches System ist nicht nur für die A 350, sondern auch für die älteren Maschinen sinnvoll. Wie Dekkers zu bedenken gibt, reicht es aber nicht, Funkchips an die Ausrüstung anzuheften. Zuvor müssten Produkte und Support-Prozesse an die automatische Identifikation angepasst werden.
Vor allem der Produktqualität soll ein anderes innovatives Projekt dienen: Unter dem Titel Mixed Reality, kurz Mira, hat Airbus eine Anwendung für die technische Qualitätskontrolle erstellt. Sie wird durch Tablets bedient und bezieht die Kamerafunktion der mobilen Endgeräte mit ein.
Mixed Reality steigert die Qualität
Ein einziger Flieger weist 40.000 Klammern zur Befestigung der Kabelbäume auf, so Dekkers. Deren korrekte Beschaffenheit und exakter Sitz müssen penibel kontrolliert werden. Früher gingen die Kontrolleure mit Papier und Kugelschreiber durch die Maschine und hakten jede einzelne Klammer ab. Heute haben sie einen exakten Designplan auf dem Tablet; mit Hilfe der Kamera gleichen sie Ist und Soll permanent ab. Damit sparen sie 90 Prozent der bisher benötigten Zeit.
Kurzinterview mit EADS-CIO Guus Dekkers
Sie berichten nicht an den CEO, sondern an den COO von Airbus und den CTO von EADS. Wie kommt das?
Guus Dekkers: Als Airbus-CIO berichte ich eigentlich an mich selbst, nämlich den EADS-CIO, der wiederum an den CTO Jean Botti berichtet. Strategisches bespreche ich selbstverständlich mit dem CEO, aber 85 bis 90 Prozent dessen, was ich tue, gehören in den Kompetenzbereich des COO: die effiziente Unterstützung von Entwicklungs-, Fertigungs- und Einkaufsprozessen. Insofern bin ich glücklich mit dieser Konstellation.
Jedenfalls müssen Sie nicht dem CFO berichten. Wie haben Sie denn das IT-Budget in fünf Jahren von 3,5 auf 2,5 Prozent vom Umsatz gedrückt?
Guus Dekkers: Wir Holländer sind bekannt für harte Verhandlungen (lacht). Die Einsparungen sind sogar noch höher, als es hier aussieht, denn unser Umsatz ist inzwischen deutlich gewachsen. Ich zwinge meine Teams dazu, dem Mainstream im Markt zu folgen. Wenn man Sonderwünsche hinten anstellt, kann man andere Preise erzielen.
Und welche Projekte haben Sie für die Einsparungen gecancelt?
Guus Dekkers: Keine wichtigen. Viele CIOs gehen tatsächlich den einfachen Weg, kürzen bei den Leistungen oder Projekten, die die IT-Fähigkeiten der Firma gestalten sollen. Wenn Sie Einsparungen mit strategischen Einbußen erkaufen, sind Sie als CIO tot.
Das IT-Budget von Airbus und EADS liegt zu 100 Prozent in der IT. Was sind die Vor- und Nachteile?
Guus Dekkers: Der wesentliche Vorteil ist sicher die Möglichkeit, durch Priorisierung der Projekte und Geldströme den Bedürfnissen des gesamten Konzerns einfacher gerecht zu werden. Dieser Prozess ist sehr kompliziert, wenn jede Funktion erst einmal ihre eigenen Interessen im Auge hat. Andererseits verlangt diese Lösung den kontinuierlichen aktiven Nachweis, dass Sie effizient mit Ihren Geldmitteln umgehen, weil es keine direkte Leistungskontrolle durch Dritte im Rahmen eines Budgettransfers gibt.
Wie gehen Sie mit Schatten-IT um?
Guus Dekkers: Die wird es immer geben. Man kann sie eindämmen, wo es sinnvoll und notwendig ist. Ansonsten sollte man dafür sorgen, dass sie in die richtige Richtung geht und Standards eingehalten werden.
Viel Geld geben Sie für das Thema Security aus. Wie hat sich Prism auf Ihr Sicherheitsbudget ausgewirkt?
Guus Dekkers: Eigentlich gar nicht. Das Ausmaß dieser Geschichte hat uns schon überrascht. Aber dass wir selbst ein mögliches Ziel von Lauschangriffen sind, war uns vorher schon bekannt. Und auch, dass es keine hundertprozentige Sicherheit gibt. Aber wir sind sicher nicht so naiv wie viele andere.
Die nämlich was tun?
Guus Dekkers: Die zum Beispiel 30 oder 40 Internet-Zugänge haben, weil es billiger ist, die aber niemand mehr überwachen kann. Wir haben nur drei für die gesamte Welt. Die brauchen wir aus Redundanzgründen, um Load Balancing zu betreiben. Aber drei sind viel besser als 30.