Trotz prall gefüllter Auftragsbücher und steigender Umsätze macht sich bei Siemens Konjunkturpessimismus breit. Der Münchner Elektrokonzern mit seinen weltweit über 380.000 Mitarbeitern bekommt nach den Einbrüchen in der Kraftwerksparte nun auch die Krise der Autoindustrie und die schlechte Stimmung bei vielen Maschinenbauern zu spüren. Schnelle Besserung erwartet der Siemens-Vorstand nicht: "Die kommenden drei, vier Quartale erwarten wir eine anhaltende zyklische Abschwächung in der Autoindustrie und im Maschinenbau", sagte Finanzchef Ralf Thomas am Donnerstag in München.
Siemens beliefert die beiden Branchen mit Hard- und Software für Fabriken und deren Automatisierung. Sowohl in dieser Sparte Digital Industries als auch im Kraftwerksgeschäft sanken die Umsätze deutlich. Auf die Stimmung in der Konzernzentrale drücken die gleichen Risiken, die auch andere große Unternehmen plagen: der Handelskonflikt zwischen USA und China und die steigende Wahrscheinlichkeit eines britischen Ausstiegs aus der EU ohne jedes Abkommen. "Auch wenn wir uns gut behaupten konnten, wurde unsere Geschäftsentwicklung dadurch im dritten Quartal zum Teil erheblich beeinträchtigt", sagte Technologievorstand Roland Busch.
Viele gut laufende Geschäftsbereiche
Insgesamt steht Siemens aber nach wie vor gut da, da es jenseits von Kraftwerken und Industrieausrüstung in den anderen Bereichen weit besser läuft. Die Umsätze stiegen um vier Prozent auf rund 21,3 Milliarden Euro. Gute Geschäfte machten die beiden börsennotierten Töchter Siemens Gamesa, ein Hersteller von Windkraftanlagen, und das Medizintechnikunternehmen Siemens Healthineers. Auch Siemens-Züge und Trambahnen verkaufen sich gut, die Neuaufträge stiegen um 18 Prozent. Ein Großauftrag aus Russland für 13 Hochgeschwindigkeitszüge brachte allein 1,2 Milliarden Euro Umsatz. "Mobility fährt weiterhin auf der Erfolgsspur", sagte Thomas dazu.
Die Arbeit wird dem Siemens-Konzern in den kommenden Monaten jedenfalls nicht ausgehen: Der Auftragsbestand hat nach Angaben von Finanzchef Thomas ein Rekordvolumen von 144 Milliarden Euro erreicht. "Wir liegen damit klar über den Erwartungen des Markts."
Siemens-Chef Joe Kaeser ist auf Geschäftsreise in Asien, meldete sich aber auf Twitter zu Wort, wo er die guten Geschäfte in den USA hervorhob und Mutmaßungen widersprach, zwischen ihm und der scheidenden Personalchefin Janina Kugel habe es Krach gegeben: "Für diejenigen, die glauben, es sei mit K&K vorbei: Lasst mich euch sagen: Wir haben großartige Pläne" - wobei K&K für Kaeser und Kugel steht. Welcher Art die gemeinsamen Pläne sind, verriet Kaeser nicht. Die prominente Managerin will den Konzern Anfang nächsten Jahres verlassen.
Konzernumbau geht weiter
Kaeser wiederum will in den kommenden Monaten den seit Jahrzehnten andauernden permanenten Konzernumbau fortsetzen. In den vergangenen 20 Jahren hat Siemens sich von Computern, Speichern, Halbleitern, Hausgeräten, Handys, Festnetztelefonen, Netzwerktechnik und Beleuchtung getrennt, neu aufgebaut wurden unter anderem das Geschäft mit Windrädern und Automatisierung für Fabriken.
Zuletzt wurde die in Healthineers umgetaufte Medizintechniksparte an die Börse gebracht, im Herbst 2020 soll die kriselnde Energiesparte ausgegliedert werden. Dort läuft noch ein Kugel ausgehandeltes Spar- und Stellenstreichprogramm, in dessen Rahmen allein in Deutschland 2.900 Stellen wegfallen. Zunächst kostet der Konzernumbau Geld: Finanzchef Thomas bezifferte die Ausgaben für die Restrukturierung im bevorstehenden vierten Quartal auf 200 Millionen Euro.
Für das laufende Geschäftsjahr bestätigte die Siemens-Chefetage grundsätzlich ihre Prognose, auch wenn es "herausfordernder" geworden sei, das angepeilte moderate Umsatzwachstum zu erreichen. (dpa/rs)