Unruhestand

Siemens-Skandal lässt Heinrich von Pierer nicht los

26.01.2016
Seinen Ruhestand hatte sich Heinrich von Pierer sicher anders vorgestellt. Zum 75. Geburtstag will die griechische Justiz den Siemens-Skandal noch einmal groß aufrollen - der Prozess könnte sich über Jahre hinziehen.

Für Siemens ist der Schmiergeld-Skandal Geschichte - doch der frühere Konzernlenker Heinrich von Pierer wird das Thema bis heute nicht los. Seit November macht die griechische Justiz dem einstigen Vorzeige-Manager und einem Dutzend weiterer Ex-Mitarbeiter des Elektrokonzerns den Prozess. Nach einem eher unübersichtlichen Auftakt sind der weitere Verlauf, die Dauer und der Ausgang des Verfahrens noch kaum absehbar.

Unangenehm dürfte es für Pierer aber allemal sein, dass er sich auch zum 75. Geburtstag an diesem Dienstag (26. Januar) mit den Schatten der Vergangenheit auseinandersetzen muss. An dem Tag treffen sich auch die Siemens-Aktionäre zur Hauptversammlung in München.

Bald zehn Jahre ist es her, dass durch eine Razzia der Münchner Staatsanwaltschaft der bisher größte Korruptionsskandal in der deutschen Wirtschaftsgeschichte aufflog. Über ein System schwarzer Kassen waren insgesamt rund 1,3 Milliarden Euro an Schmiergeldern geflossen, um lukrative Auslandsaufträge zu ergattern. Pierer, von 1992 bis 2005 Konzernchef und zum Zeitpunkt der Aufdeckung Aufsichtsratsvorsitzender, nahm einige Monate später seinen Hut.

Die Aufräumarbeiten bei Siemens nahmen Jahre in Anspruch. Neben der Staatsanwaltschaft drehte auch ein Heer von US-Anwälten jeden Stein bei dem weit verzweigten Konzern um, rund 250 Mitarbeiter mussten gehen, eine umfassende Compliance-Organisation wurde aufgebaut. Auch die Rolle Pierers, der stets jede Verwicklung in die Schmiergeld-Machenschaften von sich wies, wurde durchleuchtet.

Schließlich musste er ein Bußgeld wegen fahrlässiger Verletzung der Aufsichtspflicht zahlen. Hinzu kam Schadenersatz in Millionenhöhe, den Siemens bei ihm und anderen Ex-Vorständen eintrieb - als zumindest symbolischen Ausgleich für die 2,5 Milliarden Euro, die das Debakel Siemens kostete.

Pierers Verhältnis zu dem Elektrokonzern gilt seither als unterkühlt - daran dürfte auch der gemeinsame Gratulationsbrief von Siemens-Chef Joe Kaeser und dem Aufsichtsratsvorsitzenden Gerhard Cromme nicht viel ändern, den Pierer wie schon zum 70. Geburtstag wieder erhält. Zuletzt hatte sich der Ex-Manager in seiner vor fünf Jahren veröffentlichten Autobiografie "Gipfel-Stürme" über einen rüden Umgang seines einstigen Arbeitgebers mit ihm beklagt.

Darin beteuerte Pierer abermals, nichts von den schwarzen Kassen des Unternehmens gewusst zu haben. Den Bußgeldbescheid habe er akzeptiert, um einen Schluss-Strich zu ziehen und zu einem normalen, selbstbestimmten Leben zurückzufinden.

Für die Vorstellung des Buches - mit dem Pierer wohl auch klar machen wollte, dass es in seinem Leben viel mehr gab als die Korruptionsaffäre - hatte sich der Ex-Manager noch einmal die große Bühne im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin ausgesucht. Danach wurde es ruhiger um ihn. Einmal machte er noch vor gut drei Jahren mit seinem Einstieg als Verwaltungsrat bei einem Münchner Unternehmen von sich reden, das mit gebrauchten Software-Lizenzen handelt - gemeinsam mit dem früheren BDI-Chef Hans-Olaf Henkel.

Einst war der gebürtige Franke einer der bekanntesten Manager Deutschlands. Er formte Siemens zum Global Player. Auch Mächtige in der Politik vertrauten auf seinen Rat - von den Altkanzlern Helmut Kohl (CDU) und Gerhard Schröder (SPD) bis zur amtierenden Regierungschefin Angela Merkel (CDU). Selbst für das Amt des Bundespräsidenten soll der promovierte Jurist und Diplom-Volkswirt zeitweise im Gespräch gewesen sein.

Auch wenn sich nach dem Siemens-Debakel Viele von ihm abwandten: In seiner Heimatstadt Erlangen, in der die wichtige Medizintechnik von Siemens angesiedelt ist, genießt Pierer bis heute hohes Ansehen. Der frühere Oberbürgermeister Siegfried Balleis (CSU), der Pierer seit Jahrzehnten kennt, schreibt ihm "enorme Verdienste für die gesamte Region" zu. Auch persönlich schätzt er den Ex-Wirtschaftslenker und leidenschaftlichen Tennisspieler Pierer: "Er ist ein engagierter Kämpfertyp mit messerscharfem Verstand", sagt Balleis.

Nun also der Prozess in Griechenland. Es geht um knapp 70 Millionen Euro Schmiergeld, die frühere Siemens-Mitarbeiter nach 1997 gezahlt haben sollen, um einen Großauftrag vom Telekommunikationsunternehmen OTE zu erhalten. Über 70 Angeklagte und eine mehr als 4500 Seiten starke Anklageschrift, die bisher nur auf Griechisch vorliegt - das Verfahren gilt schon jetzt als außergewöhnlich.

Pierer selbst will den Prozess, der in der vergangenen Woche bereits zum dritten Mal seit dem Beginn vertagt wurde, einstweilen nicht näher kommentieren. Nur so viel ist bekannt: Er wird vorerst nicht nach Athen reisen. Seinen Anwalt Norbert Scharf, der auch den früheren Deutsche-Bank-Chef Rolf Breuer im aktuellen Prozess vor dem Münchner Landgericht vertritt, lässt er erklären: "Zum laufenden Verfahren in Griechenland äußert sich Herr von Pierer nicht in den Medien. Er vertraut nach wie vor auf die griechische Justiz und eine Klärung, nunmehr durch das aufgerufene Gericht." (dpa/rs)