Netflix stellt den Fernsehmarkt auf den Kopf, Uber gräbt Taxiunternehmern das Wasser ab, Google Apps werden zur Business-Alternative für Office- und Telefoniedienste - die Liste disruptiver Umwälzungen ließe sich beliebig fortsetzen. Doch was macht eine solche Entwicklung in ihrem Kern eigentlich aus? Unbestritten ist, dass die Durchdringung sämtlicher Lebens- und Arbeitsbereiche mit web-basierten Diensten, die grenzenlose 24x7-Verfügbarkeit passgenauer, schlanker Cloud-Anwendungen und die umfassende Aussagekraft von Big-Data-Analysen einen wahren Kosmos an Geschäftsmöglichkeiten öffnen.
Doch bedeuten all diese technologischen Fortschritte zunächst einmal nur ein Potenzial. Wirklich rund wird die disruptive Entwicklungs-Story erst mit den Menschen, die diese Potenziale zu erschließen wissen.
Gerade aus Sicht der etablierten Unternehmen steht dabei viel auf dem Spiel. Im Vorfeld der diesjährigen Hannover Messe gab Volkmar Denner, Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH, gegenüber der Financial Times zu Bedenken, dass es deutschen Unternehmen immer schwerer falle, mit den disruptiven Geschäftsmodellen Schritt zu halten, die im Silicon Valley entwickelt werden. Verantwortliche wie Denner haben erkannt, dass es zuallererst auf das Management ankommt. Wer stattdessen den Umgang mit disruptiven Technologien an seine IT-Abteilung oder den technischen Einkauf delegiert, öffnet als Unternehmen ein strategisches Vakuum.
Netflix und Uber sind prototypische Beispiele
Disruptive Technologien haben grundlegenden Einfluss darauf, wie effizient sich die Informationen verarbeiten lassen, die Unternehmen zur Steuerung ihrer Wertschöpfung brauchen. In vielen Fällen betreffen sie sogar ganz unmittelbar den Kontakt zum Endkunden. Netflix und Uber sind hierfür geradezu prototypische Beispiele. Disruptive Technologien berühren somit den Kern der Geschäftsmodelle. Nicht selten prägen sie die weitere Überlebensfähigkeit der Modelle. Sie zu managen, kann daher keine alleinige Aufgabe der IT sein. Auch wenn der Begriff "Technologie" dies noch so sehr nahelegt.
Stattdessen liegt der Ball zunächst einmal in der Hälfte des strategischen Managements. Angesichts der Tragweite, mit der sich der Wandel vollzieht und das gewohnte Vorgehen in kürzester Zeit in Frage zu stellen vermag, muss die Strategieabteilung die Steuerungsfunktion annehmen. Sie muss das strategische Zielbild des Unternehmens überprüfen und gegebenenfalls anpassen. Im Anschluss daran gilt es, die Geschäftsfähigkeiten zu definieren, die aufrecht zu erhalten respektive neu zu erwerben sind.
Strategische Management braucht die IT
Mehr denn je ist das strategische Management dabei auf den engen Austausch mit der IT angewiesen. Doch um die Chancen und Risiken disruptiver Technologien business-gerecht diskutieren zu können, muss die IT neue Rollen aufbauen sowie die dazu erforderlichen Qualifikationen und Kompetenzen erwerben.
Gefragt sind kommunikationsstarke Mitarbeiter mit einschlägigem Business-Wissen, die das disruptive Potenzial neuer Technologien analysieren und verständlich darstellen können. Wohin wird die digitale Transformation der Geschäftsprozesse das Unternehmen führen? Um der Strategieabteilung belastbare Antworten zu liefern, braucht es IT- und Service-Architekten, die strategisches Business- und IT-Know-how zu gleichen Teilen mitbringen.
Markt für Fachkräfte ist leergefegt
Der Bedarf nach Fachkräften mit dieser Doppelqualifikation steigt stark an. Doch da der Markt weitgehend leergefegt ist, tun sich selbst attraktive Arbeitgeber schwer, qualifiziertes Personal in ausreichender Menge an Bord zu holen. Wer fündig wird, muss viel Geld in die Hand nehmen, um die marktüblichen Vergütungen zahlen zu können. Aufschläge von über 20 Prozent sind nicht unüblich. Hinzu kommt ein überdurchschnittlich hohes Budget für die Personalentwicklung.
Das Skill Framwork der SFIA
Mit Blick auf das Management disruptiver Technologien betreten die Unternehmen weitgehend Neuland. Wichtige Orientierungshilfen geben jedoch Rahmenwerke, die in detaillierter Form die Fähigkeiten beschreiben, die in der IT gebraucht werden, um die sich verändernden Business-Anforderungen erfüllen zu können. Den zurzeit empfehlenswertesten Kompass bietet das Skills Framework for the Information Age (SFIA) der Non-Profit-Organisation SFIA Foundation, die unter anderem von einer Reihe von Service Providern unterstützt wird.
Das frei verfügbare Rahmenwerk definiert Fach- und Verhaltenskompetenzen, die von IT-Experten in unterschiedlichen Einsatzfeldern erwartet werden. Die Einsatzfelder reichen vom Management über die Beratung bis zu Anwendungsentwicklung und Infrastrukturbetrieb. Im Juli erscheint die sechste Version des SFIA, die auch Skills zum Management relevanter neuer Technologien aufnehmen wird.
Prozess in sechs Stufen
Um zusätzlich zu den Rollen auch die passenden Personalstärken zu ermitteln, eignet sich ein sechsstufiger iterativer Prozess:
Im ersten Schritt muss die IT ein Zielbild der Leistungen definieren, die vor dem Hintergrund der strategischen Managementvorgaben inhouse zu erbringen sind.
Wird im Rahmen dieses Zielbilds zum Beispiel entschieden, dass Unified Communications & Collaboration (UCC)-Lösungen künftig nur noch eingekauft werden, gilt es im nächsten Schritt die hierzu erforderlichen Fähigkeiten festzulegen. Unter anderem wird man zusätzliche Performance-Manager für die Steuerung der externen Partner brauchen sowie IT-Architekten, die technische Plattformen für die gewünschten UCC-Leistungen definieren. Welche Fähigkeiten diese Mitarbeiter hierzu mitbringen sollten, lässt sich wiederum aus dem standardisierten SFIA-Rahmenwerk ableiten.
Im dritten Schritt geht es nun darum, die Personalstärken je Rolle beziehungsweise IT-Funktion zu errechnen. Da die meisten Unternehmen beim Management disruptiver Technologien Neuland betreten, empfiehlt es sich auf bereits vorhandenen industriespezifischen Erfahrungswerten aufzusetzen. Hierzu hat das Marktforschungs- und Beratungshaus Information Services Group eine Datenbank aufgebaut, die SFIA basierte Rollen/Skills, Technologieaspekte, Personalstärken sowie Marktpreise und Gehälter in mehr als 100 Ländern umfasst. Dadurch wird es möglich, faktenbasierte Zielwerte zu setzen.
Sind die erforderlichen Rollen bzw. IT-Funktionen inklusive der Personalstärken ermittelt, folgt im vierten Schritt eine GAP-Analyse, die der IT-Leitung und den HR-Verantwortlichen die einzelnen Handlungsbedarfe funktions-/rollenbezogen aufzeigt.
An die GAP-Analyse schließen sich im fünften Schritt die erforderlichen Personalentwicklungsmaßnahmen an.
Der abschließende sechste Schritt dient der Überprüfung des Zielbilds: Passt die ursprüngliche Definition der Eigenleistungen noch zur aktuellen Marktentwicklung? Angesichts der hohen Dynamik, die von disruptiven Technologien ausgeht, sollten sich IT und Strategisches Management in möglichst kurzen Intervallen zur Re-Evaluation zusammensetzen. Dies gilt insbesondere für die frühen Phasen einer Technologieentwicklung, in denen ein besonders hohes Maß an agilem Handeln gefordert ist, um die Bewegungen der Konkurrenz auszugleichen oder ihnen nach Möglichkeit sogar zuvorzukommen.