Der Grund, warum der japanische Autoriese Toyota bereits mehrere Male Firmenvertreter in die Demo-Fabrik des European 4.0 Transformation Center der RWTH Aachen gesandt hat, heißt e.GO Life, ist gerade einmal dreieinhalb Meter lang und weniger als 900 Kilo schwer.
Fun, praktisch und erschwinglich
Wie man anhand dieser Kennziffern unschwer erkennen kann, ist das Fahrzeug damit nicht unbedingt der Tesla-Killer, an dem der Rest der deutschen Autoindustrie aktuell arbeitet. Das Startup hat den Elektrokleinwagen vielmehr gemäß eines speziellen Anforderungsprofils für die Mobilität in der Innenstadt entwickelt.
Um das Stadt-Elektroauto preisgünstig anbieten zu können, hat e.GO bewusst Einschränkungen vorgenommen. So verzichteten die Aachener etwa auf eine Schnellladefunktion. Reichweite (Akku) und Höchstgeschwindigkeit wurden auf die Nutzung als Stadt- oder Zweitfahrzeug angepasst. Beim verwendeten Material setzt e.Go auf einen Spaceframe-Rahmen und durchgefärbte Thermoplastteile als Verkleidung - damit ist für die Kleinserienfertigung kein Presswerk und keine Lackiererei erforderlich. Unter dem Strich kommt das Elektrokleinauto damit auf einen Einstiegspreis von 15.900 Euro, die staatliche Prämie von aktuell 4000 Euro zur Förderung von Elektroautos noch nicht berücksichtigt.
Klein und wendig - auch in der Produktentwicklung
Ein weiterer Key Differentiator ist die agile Produktentwicklung, die mit dafür sorgte, dass der e.GO Life nur ein Drittel der normalen Entwicklungszeit und ein Zehntel der üblichen Investitionen in Fabrik und Produktionstechnik (unter 30 Millionen Euro) in Anspruch genommen hat. Was bei der Softwareentwicklung mittlerweile gang und gäbe ist, ist nämlich im Autobau in der Regel (noch) Zukunftsmusik.
Herkömmliche Fahrzeuge werden am (digitalen) Reißbrett entwickelt, dann entsteht ein Prototyp, die Presswerkzeuge werden gefertigt und daraufhin beginnt die Serienproduktion. Änderungen an der Hardware sind kostspielig und spätestens ab der Serienfertigung wirtschaftlich kaum mehr abbildbar.
Im Gegensatz dazu durchlief der Life zwischen Dezember 2016 und März 2017 zahlreiche Veränderungen: So wechselte das 150-köpfige Team von einer Stahl- zu einer Alukarosserie. Der e.GO Life war außerdem zunächst als leichtes vierrädriges Kraftfahrzeug (L7e-Modell) geplant worden. Später entschied man sich jedoch um und entwickelte das Fahrzeug innerhalb von vier Monaten als normales Auto (M1). Anschließend wurde dann auch der 48-Volt-Antriebsstrang durch einen 230-Hochvolt-Elektromotor von Bosch ersetzt.
Industrie-4.0-Architektur als Produktionsfaktor
Der hoch iterative Entwicklungsansatz stellt allerdings hohe Anforderungen an die Produktion. So müssen Change Requests schnell während der Prototypen- und Serienproduktion implementiert werden und Kosten, Zeitaufwand und Qualität miteinbeziehen.
Dabei sind laut e.GO-Manager Debets ein allgemeingültiger Datenbestand (Single Source of Truth), die Möglichkeit der Rückverfolgung in zwei Richtungen (bidirectional traceability) und Connectivity die drei Pfeiler, die von der IT-Architektur unterstützt werden müssen. Denn, so Debets: Nur eine vollintegrierte Industrie-4.0-Architektur ermögliche einen agilen Produktentwicklungszyklus und einen hocheffektiven Produktionsprozess, welcher wiederum wichtig für eine Kleinserienproduktion mit niedrigem Kapitalinvestment sei.
Essentielle Bestandteile sind dabei
die Sammlung von Daten aller physikalischen Dinge,
Rohdaten - Business Software für fortgeschrittene Funktionalität, ALM, CAD, PLM, ERP, MES, CAQ, CRM, Produktdaten (IoT,)
Ad-hoc- und skalierbare Datenintegration über Middleware,
die Aggregation und generische Verfeinerung der Daten z.B. Gewicht, Qualitätsprüfung, Fahrzeug zu Smart Data,
rollenbasierte, aufgabenspezifische und leicht nutzbare Anwendungen.
Gewichtsmanagement im Griff
Ein Beispiel dafür, wie verschiedene Anwendungen bei e.GO die iterative Entwicklung unterstützen, ist die Echtzeit-Berechnung des Fahrzeug-Endgewichts. Hier fließen sukzessiv die Rohdaten und Werte aus den Applikationen in das Modell ein, angefangen von einem Zielwert aus dem Requirements Model über den geschätzten Gewicht aus dem PLM, dem berechneten Wert aus dem CAD bis zu den tatsächlichen Werten aus ERP und CAQ (Computer-aided Quality Assurance).
Die Stati der Werte (gewogen, berechnet, geschätzt, undefiniert, nicht relevant) werden dabei mit verschiedenen Farben dargestellt und im Fertigungsprozess aktualisiert. Änderungen, wie etwa den Wechsel von Stahl- auf Aluminiumrahmen, können somit sofort berücksichtigt werden.
Referenzfabrik an der RWTH Aachen
Dass es beim e.GO etwas anders läuft, ist nicht zuletzt auf den Hauptberuf des Gründers und Geschäftsführers Professor Günther Schuh zurückzuführen: Der 60-Jährige leitet seit über 15 Jahren den Lehrstuhl für Produktionssystematik an der RWTH Aachen und kann über die von Elon Musk häufig genutzte Bezeichnung Produktionshölle nur lächeln.
Anders als Tesla testet e.GO mobile Prozesse, Programme und Komponenten bevor sie in die Serienfertigung des e.GO Life übernommen werden zuerst in einer Demo-Fabrik auf dem Campus der RWTH Aachen. Auf 1.600 Quadratmetern wird die vollständige Wertschöpfungskette einer Kleinserienproduktion von der Fertigung bis zur Montage abgebildet. Darüber hinaus werden Optimierungsansätze zur fertigungsgerechten Konstruktion und kosteneffizienten Fertigung erarbeitet.
Digitale Zwillinge von Fahrzeugen und Produktion
Bei der Produktion kommen verschiedene PTC-Lösungen wie Windchill (PLM), Kepware (Middleware) oder die IoT-Suite Thingworx zum Einsatz, ERP- und MES-System stammen von der PSI AG. Außerdem nutzt e.GO zur Visualisierung der Prozesse in Echtzeit Elisa Smart Factory.
Die von einem finnischen TK-Anbieter stammende Lösung sammelt alle relevanten Daten von Maschinen, Geräten und Systemen in einem virtuellen Data Lake und erstellt daraus einen digitalen Zwilling der Produktionsumgebung. Durch die ganzheitliche Betrachtung der Operations unterstützt Elisa eine bessere und schnellere Entscheidungsfindung, reduzierte Ausfallzeiten und garantiert letztendlich eine höhere Produktqualität. Daneben existiert von jedem Fahrzeug über die Fertigung hinweg ein digitaler Zwilling in Thingworx Objects.
In der Demofabrik wird aber auch mit einer Reihe kleinerer Lösungen experimentiert. Dazu gehört etwa der Bossard Smart Bin, ein Kleinteilebehälter mit integrierter digitaler Waage, der bei Unterschreitung eines angegebenen Füllgewichts automatisch einen Bestellvorgang an das ERP-System auslöst.
Batteriefertigung 2.0
Geht es nach Professor Schuh, wird ein Konsortium von e.GO Mobile, seiner an die Post verkaufte Vorgängerfirma Streetscooter und dem Batteriehersteller BMZ auch bald die Produktion von Batteriezellen für Elektroautos revolutionieren. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat deutschen Unternehmen für eine Zellfertigung Fördergelder von bis zu einer Milliarde Euro in Aussicht gestellt.
Auch in diesem Bereich wird an der RWTH Aachen bereits geforscht. Ein Hauptproblem bei der Produktion von Lithium-Ionen-Batteriezellen - diese machen immerhin 40 Prozent der Wertschöpfung von Elektroautos aus - ist die hohe Fehlerrate von 20 Prozent. Ein kritischer Aspekt ist dabei die Beschichtung der Trägerfolien mit Elektrodenpaste ("Slurry") zu Beginn des Prozesses - ob die Fertigung der Batterietaschen erfolgreich war, stellt sich allerdings erst drei Wochen später - nach Abschluss des erforderlichen Reifeprozesses (Aging) - heraus. Werden hier die Zusammenhänge besser erforscht und dokumentiert, könnte man die Fehlerquote mit Hilfe von Predictive Analytics deutlich senken oder zumindest die Weiterbearbeitung voraussichtlich defekter Batterietaschen frühzeitig erkennen und dann stoppen.