Die maßgeblichen IT-Trends sind bisher immer aus den USA gekommen. Auch alles, was mit Smartphones, Tablets und Online-Shopping zusammen hängt, hat von dort aus seinen Anfang genommen. Einkaufen im Internet, Online-Produkt- und Preisvergleiche oder Couponing haben sich weitaus stärker durchgesetzt als in der "Alten Welt" Europas.
Insofern lassen neue Zahlen aufhorchen, die der von IBM herausgegebene Retail Online Index für das zweite Quartal 2012 enthält. Demnach erzielten US-Einzelhändler im Vergleich zum ersten Quartal einen Umsatzanteil an allen Online-Verkäufen von 15,1 Prozent durch den Einsatz mobiler Endgeräte. Dies entspricht einem Wachstum von etwa 14 Prozent. Da der Anteil im vorletzten Quartal erst 13,3 Prozent betragen hatte, macht aber immer noch nur einen kleinen Teil an den Verkäufen aus.
Social Media geht 20 Prozent zurück
Gleichzeitig musste man jedoch in diesem Zeitraum einen 20-prozentigen Umsatzrückgang bei Bestellungen über Social-Media-Kanäle hinnehmen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Basisanteil von Online-Einkäufen, die durch Social-Media-Einflüsse zustande kommen, noch immer extrem gering ist: Für die USA liegt er bei etwa einem Prozent (siehe Abbildung "Social % of Sales" auf der nächsten Seite).
Der Retail Online Index von IBM kombiniert Marktdaten mit dem IBM Social Sentiment Index und unterzieht sie dann einer Auswertung mit Analytics-Tools, die speziell für große Datenmengen entwickelt wurden. Er kann insofern als gut abgesichert gelten.
Als Erklärung für Stagnation beziehungsweise Rückgang bei Social-Media-Einflüssen auf das Einkaufsverhalten zieht IBM eine weitere hauseigene Studie heran: Der aktuelle IBM "State of Marketing 2012 Survey" führt als mögliche Erklärung für den 20-prozentigen Umsatzrückgang "die fehlende Allianz zwischen Chief Marketing Officier (CMO) und Chief Information Officer (CIO)" an.
Fehlende Absprachen zwischen CMO und CIO
In Zeiten globaler Vernetzung seien Marketing und Online-Handel zunehmend von IT-Technologie getrieben, doch gebe es zu wenig Absprachen: "Die fehlende Verzahnung von CMO und CIO behindert die Einführung integrierter Technologien, die Social Media-Aktivitäten vorantreiben." Ein zweiter Faktor sei die häufig nicht konsequente Marketingstrategie zum Einsatz von sozialen Kanälen. Die Händler würden in dieser Richtung kaum etwas unternehmen.
Der Retail Online Index enthält auch Zahlen darüber, welche mobilen Geräte am meisten für Online-Einkäufe benutzt wurden: Demnach lag Apples iPhone mit einem Anteil von 8,2 Prozent vorne, während Android-Geräte mit 6,8 Prozent die iPad-Tablets (6,7 Prozent) überholten.
Die Trend-Zahlen aus dem Pionierland USA enthalten mithin recht eindeutige Aussagen. Von einem durchschlagenden Erfolg von Mobile Shopping kann noch nicht die Rede sein, erst recht nicht beim Social Shopping. Einkaufen unter Benützung von Social-Media-Kanälen steht erst ganz am Anfang.
Künftig neue Geschäftsmodelle
Ganz anders sieht es aus, wenn auf abstrakter Ebene über diese Entwicklungen gesprochen wird. So positionieren die Analysten von Gartner ein prächtiges Gedankengebilde über die Verflechtung von Einkaufsfaktoren, das sie „Nexus of Forces" nennen. Gemeint ist: Die „Verbindung der konvergierenden Kräfte Social Media, Mobile, Cloud und Informationen über das zukünftige Nutzerverhalten schafft neue Geschäftsmöglichkeiten".
Jeder dieser Faktoren sei schon für sich innovativ und "disruptive" (umwälzend), zusammen aber seien sie in der Lage, Geschäft und Gesellschaft zu revolutionieren. Alte Geschäftsmodelle würden komplett geändert werden und neue führende Unternehmen würden entstehen. So betrachtet, sei der "Nexus of Forces" die Basis für zukünftige technologische Entwicklungen.
Anspruch und Realität beim Online-Handel weit auseinander
Chris Howard von Gartner meint: "Im Nexus of Forces bilden Informationen den Ausgangspunkt für verbesserte soziale und mobile Erfahrungen. Mobile Geräte sind die Plattform für effektives Social Networking und neue Arbeitsweisen. Und auf sozialer Ebene werden ganz neue und unerwartete Beziehungen der Menschen zueinander entstehen." Und alles werde durch die "Cloud" unterstützt.
Zieht man den Retail Online Index von IBM als Aussage über die reale Welt hier und heute hinzu, kann von der Verwirklichung solcher Modellvorstellungen, wie sie die Gartner-Analysten in epischer Breite in ihrem Papier entwerfen, noch nicht die Rede sein. "Mobile" und "social" stecken beim Online-Handel noch in ziemlich kleinen Kinderschuhen.