Das Schreiben einer SMS während des Fahrens kann tödlich sein. Das zeigt ein drastisches Video (siehe nachfolgend) der britischen Polizei aus dem Jahr 2009. Eine junge Fahrerin verfasst darin am Steuer eine SMS, wird unaufmerksam, gerät auf die Gegenfahrbahn und verursacht einen Unfall, bei dem vier Menschen ums Leben kommen. Zugegeben, dieses Beispiel ist extrem. Es spiegelt aber realistisch die Gefahren wider, die durch die Nutzung mobiler Geräte im Auto entstehen können.
Verschiedene Studien belegen, dass die Ablenkung durch Smartphones und andere mobile Geräte beim Autofahren eine kritische Größe erreicht hat. Das Allianz Zentrum für Technik (AZT) Automotive GmbH zeigte bereits 2011 in einer Studie, dass 30 Prozent der deutschen Autofahrer am Steuer E-Mails oder SMS lesen und 20 Prozent entsprechende Nachrichten schreiben.
2014 beauftragte der Autobauer Ford eine Umfrage zum Thema "Ablenkung im Straßenverkehr". Ihr zufolge machen 28 Prozent der deutschen Autofahrer zwischen 18 und 24 Jahren während der Fahrt ein Selfie von sich, sogar 35 Prozent nutzen Social-Media-Seiten wie Facebook oder Twitter. Rund 20 Sekunden nehmen die Autofahrer laut Ford dafür den Blick von der Straße, beim Selfie sind es 14 Sekunden. Durch die Ablenkung übersieht man schnell ein Verkehrszeichen, eine rote Ampel oder ein vorausfahrendes Fahrzeug.
Unfallrisiko steigt durch Ablenkung
"Je mehr moderne Technik der Autofahrer nutzt, umso mehr Einzelblicke gehen vom Fahrgeschehen weg. Damit steigt auch das Unfallrisiko", sagt der Verkehrspsychologe Dr. Jörg Kubitzki vom Allianz Zentrum für Technik - Sicherheitsforschung. "Selbst das rechtlich erlaubte Telefonieren per Freisprecheinrichtung lenkt mental ab, weil der Fahrer beim Telefonieren seinen Blick auf die Fahrbahnmitte fixiert und periphere Ereignisse vernachlässigt."
Durch diesen "Frozen-Eye-Effekt" verlängere sich die Reaktionszeit im Schnitt um eine halbe Sekunde, so Kubitzki. Kritisch sieht er auch moderne Smartwatches. "Rein ergonomisch ist eine intelligente Uhr am Handgelenk sehr ungünstig, da der Blick des Autofahrers stärker von der Fahrbahn abgelenkt wird als etwa bei einem Head-Up-Display."
Allerdings gibt es für Deutschland noch keine validen Daten darüber, wie häufig Unfälle auf die Nutzung moderner Kommunikationsmittel zurückgehen. Der einfache Grund: Es ist schwer zu beweisen. "Wenn sie keinen Zeugen haben oder im Unfall-Auto kein Handy mit angefangener SMS finden, bleibt eine Lücke", erklärt Polizeirat Marcus da Gloria Martins, Leiter der Verkehrspolizeiinspektion Unfallaufnahme in München. Daher wertet die Polizei in Einzelfällen bei besonders gravierenden Unfällen etwa mit Todesfolge das mobile Gerät forensisch aus, bei denen sie die Smartphone-Nutzung als Ursache vermutet - aber nur mit richterlichem Beschluss.
"Wir prüfen beispielsweise die Log-Files, checken die letzten Aktionen und untersuchen, wann der Sperr-Bildschirm zuletzt aufgehoben wurde. Dadurch finden wir Anhaltspunkte über die Ablenkung durch das Smartphone. Wegen des hohen Aufwands ist dies aber nur bei sehr schweren Unfällen der Fall", so da Gloria Martins.
Hellhörig wird die Polizei beispielsweise bei Szenarien wie "Ein weithin gut erkennbarer Fußgänger wird tagsüber auf offener Straße bei Helligkeit umgefahren, es sind keine Ausweich- oder Bremsspuren sichtbar" oder "Auto kommt ohne erkennbare Ursache in langgezogener Kurve von der Fahrbahn ab". "Hier ist nach unserer Bewertung immer häufiger ein Smartphone im Spiel", erklärt der Polizeirat. "Denn in dem Moment, in dem sie während des Fahrens ein Smartphone bedienen, sei es zum Schreiben einer SMS oder zum Lesen eines Facebook-Eintrags, fallen Sie als handlungsfähiger Verkehrsteilnehmer völlig aus. Das ist in etwa so, als ob Sie sich dazu entscheiden mit einer angelegten Augenbinde durch die Stadt zu fahren. Leider mangelt es den meisten Autofahrern hier völlig an Risikobewusstsein."
Polizei und Verkehrspsychologen sind sich einig: Smartphones und andere mobile Geräte lenken den Fahrer ab und gefährden die Sicherheit im Straßenverkehr. Was aber sagt der Gesetzgeber?
Smartphone in der Hand ist verboten
Maßgebend ist § 23 Abs. 1a der Straßenverkehrsordnung (StVO). Demzufolge darf ein Fahrer das Mobil- oder Autotelefon nicht benutzen, "wenn hierfür das Mobiltelefon oder der Hörer des Autotelefons aufgenommen oder gehalten werden muss". Telefonieren mit Freisprecheinrichtung ist damit während der Fahrt erlaubt. Das Handyverbot gilt nicht, wenn das Fahrzeug steht und der Motor ausgeschaltet ist. Der Gesetzgeber sanktioniert Verstöße mit 60 Euro Bußgeld und einem Punkt in Flensburg. Allein in München wurden letztes Jahr 62.000 Autofahrer während der Fahrt mit Mobiltelefon am Ohr ertappt; die Dunkelziffer ist deutlich höher.
"Autofahrer dürfen ihr Handy oder Smartphone während der Fahrt nicht in den Händen halten. Sie dürfen es auch nicht aufnehmen um zu sehen, wer gerade angerufen hat. Steckt das Gerät in einer Halterung, darf man rein rechtlich gesehen auf die Tasten oder das Display drücken, selbst wenn man faktisch dadurch abgelenkt wird", erläutert Roman Langer, Fachanwalt für Verkehrsrecht und ADAC-Vertragsanwalt in München.
Dabei gilt ein Analogieverbot: Die Regelung bezieht sich nicht auf Funkgeräte, Tablets ohne SIM-Modul oder Geräte wie den iPod Nano, da sie kein Mobiltelefon darstellen. Das heißt: Der Autofahrer dürfte sie in die Hand nehmen, ohne rechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen; es sei denn die Polizei kann nachweisen, dass der Fahrer dadurch abgelenkt wurde. Denn laut § 23 Abs. 1 StVO darf der Autofahrer "in Sicht und Gehör nicht […] durch Geräte […] beeinträchtigt werden". Doch wie bereits beschrieben, ist dies nur sehr schwer nachzuweisen.
Smartwatch - die Lage ist unklar
Und was ist mit Smartwatches? Bislang gibt es noch keine Gerichtsentscheidung zu diesem Thema. Fachanwalt Roman Langer differenziert hier zwischen Smartwatches mit integrierter SIM-Karte (Beispiel Android Gear S) oder ohne eigene SIM-Karte (Apple Watch). "Eine Smartwatch mit SIM-Karte stellt im Prinzip ein Mobiltelefon dar.
Sofern der Fahrer es nicht in der Hand hält, sondern am Arm trägt, dürfte die Nutzung rechtlich erlaubt sein, es sei denn der Fahrer muss die Uhr beim Telefonieren zu nah an sein Gesicht führen und wäre dadurch in seiner Sicht beeinträchtigt." Smartwatches ohne SIM-Karte sieht er lediglich als Erweiterung zum Smartphone - und daher wegen des Analogieverbots als legal an. Die potenzielle Gefährdung der Verkehrssicherheit stehe aber auf einem anderen Blatt.
Der rasante technische Fortschritt führt oft zu rechtlichen Unklarheiten oder Grauzonen, da die Mühlen des Gesetzgebers langsamer mahlen. Ein weiteres Beispiel neben der Smartwatch ist die Start/Stopp-Automatik moderner Autos, bei der sich der Motor automatisch abschaltet, wenn das Auto beispielsweise an einer roten Ampel hält. "Steht der Motor still, gilt das Handyverbot laut § 23 Abs. 1a StVO nicht", erklärt Rechtsanwalt Roman Langer. Der Fahrer dürfte in dieser Zeit mit dem Smartphone in der Hand SMS oder WhatsApp-Nachrichten lesen oder schreiben, Telefonieren oder Videos drehen.
Schaltet die Ampel auf Grün und startet der Motor nach Betätigen des Gaspedals automatisch, muss der Autofahrer zuvor sein Gerät aus der Hand legen, um keine Geldbuße zu bekommen. Um einen solchen Fall zur Anzeige zu bringen, muss die Polizei zweifelsfrei nachweisen, dass das Fahrzeug in Bewegung war oder bei stehendem Fahrzeug der Motor lief.
Gesetz dem technischen Fortschritt anpassen
Es besteht also Handlungsbedarf für den Gesetzgeber. Auf dem Deutschen Verkehrsgerichtstag 2015 in Goslar appellierte der Arbeitskreis "Ablenkung durch moderne Kommunikationstechniken", den im Hinblick auf die technische Entwicklung nicht mehr zeitgemäßen § 23 StVO neu zu fassen.
Dr. Jörg Kubitzki vom Allianz Zentrum für Technik war Mitglied des Arbeitskreises. "Die neue Regelung darf sich nicht mehr auf das verbotene Halten und Aufnehmen von Mobil- oder Autotelefonen beschränken, sondern sollte an die visuelle, manuelle, akustische und mentale Ablenkung des Fahrers anknüpfen. Die jeweils genutzte Technik ist zweitrangig. Mit der Neufassung des Ablenkungsverbots hoffen wir, Verstöße künftig besser nachweisen zu können", so Kubitzki. Zudem schlägt der Arbeitskreis eine gestaffelte Erhöhung der Geldbuße bei einer Gefährdung und Schädigung vor.
Fazit
Ein aktualisiertes Gesetz rund um den Einsatz moderner Kommunikationsmittel im Auto verhindert keine Unfälle. Entscheidend sind die Autofahrer selbst. Sie müssen ein Bewusstsein für die Risiken beim Telefonieren, Lesen und Schreiben von SMS, Social Media-Aktivitäten etc. während des Fahrens entwickeln. Denn zu große Ablenkung durch Nutzung mobiler Geräte ist kontraproduktiv für die Fahrsicherheit. (cvi)