Liebe auf den zweiten Blick

Smartwatch LG G Watch R W110 im Praxis-Dauertest

13.04.2015 von Jürgen Hill
Rund zwei Monate konnten wir die LG G Watch R nun im Test auf Herz und Nieren prüfen. Mehr wie die Technik beschäftigte uns dabei immer wieder die Frage: Braucht der Mensch eine Smartwatch wirklich, oder ist es das Wearable nur ein nettes Gadget?
Die LG-Watch wartet mit einem gut ablesbaren Display auf.
Foto: Hill/Jeschke

Über die Optik der LG-Smartwatch ist im Netz bereits viel geschrieben worden, weshalb wir an dieser Stelle über das Design nicht viele Worte verlieren wollen. Ja, sie hat sicherlich nicht die Nobless einer klassischen etwas teueren Armbanduhr. Sportlich dürfte wohl die treffendste Aussage sein. Doch zur Technik. Das runde Display der Uhr konnte uns in Sachen Ablesbarkeit und Auflösung überzeugen.

Auch die Standhaftigkeit des Akkus, bei vielen Smartwatches ein Kritikpunkt, gab keinen Anlass zur Kritik: In unserem Test hielt die LG-Uhr rund 44 Stunden durch, wobei wir das Display im Ruhezustand nicht ausschalteten. Damit kann auf die Mitnahme des Ladegerätes auch bei zweitägigen Dienstreisen verzichtet werden.

Android Wear als Schaltzentrale

Über die App Wear wird die Smartwatch per Smartphone konfiguriert.
Foto: Hill

Doch der Reihe nach: Die erste Begegnung mit der LG verlief eher unspektakulär. Zuerst muss auf dem Smartphone (in unserem Fall ein Nexus 5) die Software Android Wear installiert werden. Danach können dann Smartphone und Uhr per Bluetooth gepairt werden. Über Android Wear selbst können dann quasi remote die wichtigsten Parameter der Uhr eingestellt werden. So etwa, ob die Uhr ein klassisches Ziffernblatt, ein Foto oder ein einfacheres Display anzeigen soll.

Ebenso kann hier eingestellt werden, wie die Uhr Sprachbefehle verarbeitet. Teilweise sind die Einstellungen in der App etwas schwer zu finden. Zudem lassen sich nicht alle Einstellungen remote bewältigen, so dass sie am Gerät vorgenommen werden müssen. Anfangs dürfte diese für den ungeübten Nutzer ein ziemliches Gefummel sein, da der Touchscreen der Uhr zum Wischen ziemlich genau auf 3, 6, 9 oder 12 Uhr getroffen werden muss. Damit war die Einrichtung eigentlich schon abgeschlossen.

Grundsätzlich sollte sich der Smartwatch-User aber verinnerlichen, dass bei Android-Wear-Geräten die Uhr als eine Art Remote Control fungiert und die eigentliche App auf dem Smartphone läuft und dieses auch die Rechenleistung übernimmt. Während des Tests erhielt unsere Uhr ein Update und lief schließlich mit Android Wear 5.0.1.

LG Smartwatch
Am Design der Smartwatch scheiden sich die Geister, aber das Display ist derzeit über jeden Zweifel erhaben.
E-Mail
Von Mails, die per Google Mail empfangen werden, zeigt die Smartwatch die ersten Zeilen an.
E-Mail II
Bei alternativen Mail-Clients - hier etwa Touchdown - ist nur die Betreffzeile zu sehen.
Smartwatch und Phone
Infos auf der Uhr können auch auf dem Telefon geöffnet werden.
Smartwatch und Phone II
Stören Apps auf der Uhr, so können diese geblockt werden.
Wear Mini-Launcher
Mit Hilfe des Mini-Launcher lassen sich auf der Uhr Apps bequem starten
Wear Mini-Launcher
Der Launcher selbst wird unter den Einstellungen aktiviert.
Wear-App
Die App My Car Locator läuft zwar primär auf dem Smartphone, lässt sich aber per Smartwatch bedienen und steuern.
Wear-App II
In Kombination mit Google Now zeigt die Uhr die geschätzte Fahrzeit vom Büro nach Zuhause an.
Wear-App III
Auch das lokale Wetter lässt sich auf der Uhr ablesen.
Wear-App IV
Selbst für die 4-Tage-Prognose kann das Smartphone künftig in der Tasche bleiben.
Wear-App V
Unsere Killer-App: Mit der App ImperiHome lassen sich Lichter etc. im Smart Home per Sprach an- und ausschalten.
Einstellungen
Im Vergleich zum Smartphone sind die Einstellungsmöglichkeiten auf der Uhr eher spartanisch.
Einstellungen II
Dennoch erfüllen die Einstellungsfunktionen ihren Zweck.

In den ersten Tagen nach der Installation kam allerdings mit der Uhr keine Rechte Begeisterung auf. Eingehende Mails wurden nicht auf der Uhr signalisiert und die Auswahl der Apps erschien eher bescheiden. Langsam aber sicher stellte sich bei dem Tester die Sinnfrage, was denn eine Smartwatch nun wirklich bringt? Etwas Herzfrequenz messen und auf Dienstreisen die gelaufenen Schritte zählen? Sollte dies wirklich alles sein?

Google auf der Smartwatch

Nur den E-Mail-Betreff zeigt die Uhr bei der Verwendung von anderen Mail-Clients an.
Foto: Hill/Jeschke

Die Ursache, warum unsere Uhr keine Mails zeigte, war dann schnell gefunden: Wir hatten auf dem Smartphone nicht standardmäßig Googles Gmail-App als Mail-Client aktiviert, sondern etwa für Business-Mails die Software Touchdown von Nitrodesk - ein Unternehmen das mittlerweile zu Symantec gehört -, da sie hervorragend mit dem Exchange Server harmonisiert. Ein Phänomen, das auch unsere privaten Mails betraf, da wir hier ebenfalls einen anderen Mail-Client verwendeten.

Die Lösung des Problems war im Prinzip relativ einfach: Gut versteckt befindet sich in Android Wear eine Option, ob Benachrichtigungen von anderen Apps angezeigt werden sollen. Und diese musste aktiviert sein. Danach bekamen wir von allen eingehenden Mails die Betreffzeilen auf die Uhr und wurden bei anstehenden Terminen durch ein Vibrieren der Uhr alarmiert. Komplette Mails bekamen wir auf der Smartwatch angezeigt, als unser Smartphone während des Tests auf das neue Android-Betriebssystem Lollipop migrierten und unser Mail-Client dabei auf die Gmail-Apps zwangsweise geupgradet wurde.

In Verbindung mit der Gmail-App zeigt die Uhr nun zumindest die ersten Zeilen einer Mail an, während in Verbindung mit Touchdown lediglich der Absender und Teile des Betreffs angezeigt werden. Ebenso zeigte die Uhr nun auch mit Unterstützung von Google Now die Fahrtzeit zur Arbeitsstätte beziehungsweise nach Hause an sowie eine viertägige Wettervorhersage.

Ebenfalls ganz praktisch war, dass die Uhr abends bei der Heimfahrt eine kleine Karte mit den Staus in der näheren Umgebung einblendete. Endgültig überraschte die Uhr dann auf einer Dienstreise in London, als sie automatisch die Uhrzeit umstellte, als Wettervorhersage mit dem Londoner Wetter aufwartete, aber parallel dazu durch wischen eine Seite mit der Uhrzeit und dem Wetter zuhause zeigte.

Auch wenn noch keine rechten Begeisterungsstürme aufkamen, so versöhnte sich der Tester langsam mit der Uhr, da das Potenzial der Smartwatch doch ganz ordentlich zu sein schien. Ärgerlich war allerdings, dass dieses Potenzial langsam und mühsam im Selbstversuch erforscht werden musste, da die Dokumentation zu Android Wear seitens Google nur als mangelhaft bezeichnet werden kann.

Da muss es dann vermutlich nicht weiter wundern, wenn im Frühjahr womöglich Apples Watch den ganzen Android Wearables die Schau stiehlt. Wer wie Google so einen großen zeitlichen Vorsprung hat, es aber nicht schafft das Potenzial seiner Produkte und Partner zu promoten und zu vermarkten ist selbst schuld. Zur Ehrenrettung für LG ist anzumerken, dass der Hersteller seiner Uhr zumindest eine kleine gedruckte Anleitung beilegt. Allerdings geht man auch hier leider nicht näher auf das Potenzial der Smartwatch im Zusammenspiel mit dem Android-Universum ein.

Unverzichtbar: Wear Mini-Launcher

Per Mini-Launcher lassen sich Apps auf der Uhr bequem starten.
Foto: Hill/Jeschke

Wer mehr aus seiner Smartwatch herauskitzeln will, für den ist Google Play eine Anlaufstelle. Nach Eingabe des Suchbegriffes Wear zeigt Android eine Vielzahl an Apps für Smartwatches an. Das Angebot reicht von bekannten Tools wie Evernote oder Microsoft OneNote über virtuelle Taschenlampen, Wetter-Apps oder Kalender bis hin zu einfachen Spielen.

Eine Must-have-App ist dabei sicher der Wear Mini-Launcher. Er fügt der Smartwatch, wie vom Smartphone bekannt, eine Art Homescreen hinzu. Von diesem Bildschirm lassen sich dann die diversen Apps starten. Gleichzeitig ist er noch für eine Überraschung gut: Er zeigt endlich deutlich die Apps an, die bei der Einrichtung Smartwatch gleich automatisch vom Smartphone mitinstalliert wurden, weil von ihnen eine Watch-kompatible Version existiert.

Zudem lassen sich über den Mini-Launcher die Smartwatch-Apps deutlich einfacher und bequemer starten. Ebenfalls ist mit ihm ein bequemerer Zugriff auf die Einstellungen der Uhr möglich. Auf dem Smartphone kann der Mini-Launcher an die persönlichen Vorlieben des Nutzers angepasst werden, etwa ob er sich beim Wischen von links nach rechts oder umgekehrt öffnet.

Android Wear
Über die App Android Wear wird auf dem Smartphone die Uhr konfiguriert.
Alternative Ziffernblätter
Per Wear lassen sich auch andere Ziffernblätter für die Smartwatch auswählen.
Wear Einstellungen
In Wear werden die Grundeinstellungen für die Smartwatch festgelegt.
Detaileinstellungen
Über Wear erfolgt auch das Pairing per Bluetooth.
Wear Mini-Launcher
Um weitere Apps auf der Smartwatch bequem zu starten, empfiehlt sich die Installation des Wear Mini-Launcher.

Apps für die Uhr

Mit Apps wie einem Carfinder oder einem Minitaschenrechner auf der Uhr entwickelte sich langsam aus der eher auf Distanz bedachten Haltung zur Smartwatch ein erster zarter Flirt. Doch die Killer-App war schließlich die Entdeckung, dass die App ImperiHome auch auf der Smartwatch lief. ImperiHome ist eine App zur Ansteuerung diverser Home-Automatisierungssysteme. In Kombination von ImperiHome und Smartwatch ließen sich nun die Lichter im Haus per Sprachbefehl an die Uhr ein- und ausschalten. Damit hatte sich die LG-Uhr endlich ihren festen Platz erobert.

Fazit zur LG G Watch R W110

Grundsätzlich gibt es an der LG G Watch R W110 aus technischer Sicht nichts zu bemängeln und Design ist ja bekanntlich Geschmackssache. Schade ist dagegen, dass weder LG noch Google den Usern das Zusammenspiel zwischen Android-Smartphone und Android Wear richtig erklären - hier wird unnötig Potenzial verschenkt. Ist eine Smartwatch nun lediglich ein nettes Gadget oder eine sinnvolle Ergänzung zum Smartphone?

Obwohl der Autor letzteres Bejahen und die Smartwatch eigentlich nicht mehr missen möchte, würde er sie dennoch nicht kaufen. Warum? Schlicht, weil ihm der Spaß keine 270 Euro wert sind. Bei 150 Euro würde er zuschlagen.