Der internationalisierte Name darf nicht täuschen: der heute mehrheitlich privatisierte Energie- und Wasserversorger BS Energy wurde 1851 als "Braunschweigische Gaserleuchtungsgesellschaft" gegründet. Als traditionell und konservativ bezeichnet Head of IT Lars Nebert auch die Unternehmenskultur - im Rückblick. Heute arbeitet die IT agil. Der Funke springt auf das gesamte Unternehmen über: zwei frühere Teamleiter aus Fachbereichen haben bereits bei Nebert angeheuert. Das Veränderungsprojekt brachte ihm eine Nominierung beim Digital Leader Award (DLA) ein.
Der Ausgangspunkt des IT-Entscheiders hatte nur bedingt mit Informationstechnologie zu tun. Nebert sah, dass seinem Unternehmen die Beweglichkeit und Innovationsstärke fehlten, um den "Spagat zwischen kommunaler Daseinsvorsorge und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen" zu schaffen.
Die IT-Abteilung selbst - ein Team aus etwa 60 Mitarbeitern - war funktional organisiert. Die internen Kunden des IT-Teams konnten ihre Anforderungen oft nicht klar formulieren, oder sie setzten die Prioritäten immer wieder neu. Dadurch war über die Jahre ein Rückstau entstanden. Eine Arbeitssituation, die nicht jeder akzeptierte: binnen eines halben Jahres waren fünf Leistungsträger gegangen. In dieser Situation gab Nebert Ende 2017 die Vision aus: "Wir werden zum Treiber von Digitalisierung und Innovation bei BS Energy."
Kundenfokussierung, Agilität, Teamspirit und Selbstorganisation
Sein Optimismus sollte sich auszahlen. Erste Projekte in agilen Arbeitsweisen, Scrum nämlich, waren vielversprechend gelaufen. Nebert schrieb sich eine "fundamentale Neuausrichtung" auf die Agenda. Für diesen Kurs setzte er vier Leitplanken: Kundenfokussierung, Agilität, Teamspirit und Selbstorganisation.
Dazu zählte er Aspekte wie die organisatorische Ausrichtung an den IT-Kunden und die Priorisierung durch IT-Kunden, soweit die Teamkapazitäten das zuließen. Außerdem agile Werte und Prinzipien bei allen Mitarbeitern und Führungskräften sowie neue Arbeitsmethoden. Weiter gehörten ein verändertes Führungsverständnis - Leadership auf allen Ebenen - dazu und eine kontinuierliche Verbesserung durch Ausprobieren und Lernen.
Ein gewaltiger Change, das war Nebert klar. "Deshalb organisierte ich einen ersten Workshop mit IT-Führungskräften und -Mitarbeitern aus jedem Team, in dem es um die Kernfrage ging: "Wie müsste ein IT-Bereich bei uns aussehen, wenn es noch keinen gäbe?'", berichtet er. Im Rückblick hält er seinen eigenen Perfektionsanspruch für problematisch. Eine wichtige "Lesson Learned": "Ich musste also bei mir selbst mit der Veränderung anfangen, wenn die Neugestaltung des IT-Bereichs erfolgreich sein sollte."
Im Frühjahr 2018 schließlich entstand ein radikaler Ansatz für die neue IT-Organisation. Agil, cross-funktional und entlang der Kundenstruktur sollte sie sein. Jedem Fachbereich von Vertrieb und Kundenservice über die Netz-Gesellschaften bis zu den kaufmännischen Bereichen wurde ein IT-Team zugeordnet. Konkret: die Fachbereiche schicken Product Owner in die IT-Teams, die jede Woche ihre IT-Anforderungen nennen. Eine Idee, die gemeinsam mit den Fachbereichen verfeinert wurde. Die neuen Teams brauchen Knowhow in Sachen Business, Development und Operations Skills.
"Führungskräfte waren zunächst außen vor"
Beim Besetzen der IT-Teams legten die Projektbeteiligten den Schalter um: statt eines hierarchischen Vorgehens entschieden die Mitarbeiter selbst. Es sollte sichergestellt sein, dass alle Kollegen in selbstgewählten Teams für selbstgewählte Kunden arbeiten. "Führungskräfte waren zunächst außen vor. Sie wurden den Teams erst später vorgeschlagen, durch diese gewählt und so legitimiert", erklärt Nebert.
Davon fühlten sich so viele Mitarbeiter elektrisiert, dass statt eines einzigen IT-Pilotteams gleich zwei entstanden, eines für den Vertrieb und eines für Services. Damit waren die beiden größten Bereiche schon abgedeckt. Raumplanung, Umzüge und weiteres organisierten die Teams selbst, Führungsrollen gab es nicht.
Ein Kanban-Coach unterstütze bei der Einführung in neue Arbeitsweisen. Gleichzeitig fanden Schulungen und Retrospektiven statt. Es war zwar nicht geplant, aber Altaufgaben wurden einfach in die agilen Abläufe integriert.
Eindeutig ein Projekt mit Fokus auf Kultur. Trotzdem hat es Implikationen für die Technologie. So zielte Nebert seit seinem Firmeneintritt 2014 auf Cloud Computing ab - lange ein "No go" bei BS Energy. Der IT-Chef wollte aber den Mehrwert von Cloud Services für Business und IT verdeutlichen. Diesen sieht er im Freimachen von IT-Kapazitäten für anspruchsvolle (Business)-Projekte, in der schnelleren Umsetzung von Business-Anforderungen, im Erschließen neuer, selbst nicht betreibbarer Technologien sowie in der besseren Erfüllung steigender IT-Compliance-Anforderungen.
Vor rund zwei Jahren hat er eine Cloud-Strategie entwickelt, die das bisherige Selbstverständnis, IT weitestgehend selbst zu betreiben, hinterfragte. Nach "langjährigen Widerständen", so Nebert, kam die Diskussion ins Fließen. Die Quelle lag in der Abteilung IT-Infrastruktur. Dort war nach Schulungen das Bewusstsein für die Vorteile von Cloud Services entstanden. Konkret: die Anwender hatten gesehen, dass anspruchsvolle IT-Aufgaben im Hause bleiben, interessante Lösungsoptionen entstehen und manche Arbeiten einfacher werden.
Zustimmung zur Cloud-Strategie
Infolgedessen und nach erfolgreichen Proofs of Concept stimmte der Vorstand Mitte 2018 einer Cloud-Strategie mit drei Eckpunkten zu: Cloud First, SaaS vor PaaS vor IaaS und On-premise nur noch in Ausnahmen. Darüber hinaus startete BS Energy Pilotprojekte auf den Feldern Data Analytics, Machine Learning, Blockchain, Process Mining und Robotic Process Automation.
"Der Erfolg der IT-Neuausrichtung wird vielfach sichtbar", resümiert Nebert. Mitarbeiter in der IT wie auch in den Fachbereichen zeigen sich zufrieden. Die durchschnittliche Ticket-Durchlaufzeit sank nach wenigen Monaten von maximal 80 auf fünf Tage. Im Unternehmen arbeiten jetzt zwei IT-Führungskräfte und eine Ebene weniger und der Krankenstand sank von sieben auf vier Prozent. Nebert schließt: "Während der IT-Bereich früher Anlass zur Flucht gab, sind wir inzwischen Anziehungspunkt!"
BS Energy | Neuausrichtung der IT
Branche: Energieversorgung
Use Case: IT-Abteilung attraktiver machen, Digitalisierungstreiber werden
Methoden: agile Methoden Scrum und Kanban
Werkzeuge: Confluence, Trello