Einen neuen Bewerber einschätzen zu können, gehört zu den wichtigsten Aufgaben von Personalern und Führungskräften. Doch der klassische Lebenslauf ist wenig verlässlich, schließlich kann er geschönt werden und besitzt als reines Schriftstück wenig Vorhersagekraft für die Leistung im kommenden Job. "Papier ist geduldig, ebenso ist ein unstrukturiertes Interview nicht sehr valide, denn es birgt die Gefahren in Form von Bias, also Wahrnehmungsverzerrungen und Fehleinschätzungen", weiß Dominik Roth, Headhunter und Partner der weltweit tätigen Personalberatung Mercuri Urval. Stattdessen sollten Unternehmen sich eines strukturierten Auswahlprozesses bedienen.
Der Personalexperte vermittelt Führungskräfte an gefragte Unternehmen und weiß damit, worauf es in heutigen Recruiting-Prozessen zu achten gilt. Wie Unternehmen eingehende Bewerbungen richtig bewerten und so talentierte Kandidaten von sogenannten Blendern unterscheiden können, hat Roth im Folgenden zusammengefasst.
1. Track Record prüfen
Bei der Einschätzung eines Kandidaten geht es nicht nur darum, seine Erfahrungen abzufragen. In Lebenslauf und biografischen Angaben finden sich meist nur Angaben dazu, "was" der Bewerber getan hat, jedoch nicht "wie". Unternehmen auf der Suche nach Führungskräften sollten daher gezielt den Track Record des Bewerbers erfragen. Dabei wird der Kandidat nach konkreten Erfolgen aus der Vergangenheit befragt, die er nachweislich durch Ergebnisse belegen und hierzu die dabei verfolgten Handlungsstrategien darstellen kann.
Dabei kann der Personaler zum Beispiel nach der sogenannten Critical Incident Method vorgehen: Der Bewerber wird direkt nach kritischen Situationen aus seiner letzten Berufsstation gefragt, die für den Job relevant sein könnten. So erhält der Kandidat nicht nur die Gelegenheit, seine Kenntnisse und Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, sondern gibt auch Auskunft zu Ergebnissen und seiner Arbeitsweise.
2. Referenzen einholen
Zudem ist es immer eine gute Idee, sich solche und andere Angaben auch von einem Dritten belegen zu lassen. Selbstbehauptungen sind oft geschönt, was nicht einmal absichtlich geschehen muss. Allerdings sollten Arbeitgeber sich die geschilderten Erfolge von anderer Stelle am besten durch einen Referenz-Anruf bestätigen lassen, um die gröbsten Abweichungen in Erfahrung zu bringen. Zwar sind die Referenzgeber auch aus arbeitsrechtlichen Gründen in der Regel sehr wohlwollend, eine Referenz kann jedoch einen wertvollen Eindruck von der grundsätzlichen Glaubhaftigkeit eines Kandidaten geben. Zu betonen ist allerdings, dass es hier nicht um die Gewinnung zusätzlicher Informationen geht - vor allem sollen die geschilderten Erfolge validiert werden.
3. Assessment-Methodik anwenden
Viele Unternehmen setzen zur ersten Einschätzung der Bewerber auf Persönlichkeitstests. Diese haben ihre Berechtigung, allerdings geht es im beruflichen Kontext vor allem um konkretes Verhalten und nicht um Selbstbeschreibungen. Die Einteilung in rote, blaue, grüne und gelbe Typen oder fünf verschiedene Persönlichkeitsmodelle mag im Alltag hilfreich sein, zur Einschätzung zukünftigen Verhaltens sind sie jedoch nicht geeignet.
Zudem unterliegen derartige Frage-Antwort-Schemata einer Verzerrung im Sinne der sozialen Erwünschtheit - welcher Bewerber für eine Position in Vertrieb oder Marketing würde sich nicht als kommunikativ und emphatisch beschreiben? Personaler sollten daher derartige Selbstauskünfte in einem anschließenden und strukturierten Interview näher hinterfragen. Dies kann etwa gelingen, indem der Kandidat nach einem konkreten beruflichen Ereignis gefragt wird, bei dem sich nach seiner Einschätzung die betreffende Persönlichkeitseigenschaft oder Fähigkeit gezeigt hat. Auch wenn Tests ein erster Indikator sein können, ersetzen sie daher niemals ein professionelles Interview durch einen erfahrenen Personaler.
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