iOS 7 wird einerseits "flacher" im Design, andererseits kommt - scheinbar - eine neue Dimension hinzu. Kippt man nämlich das iPhone, scheinen sich die Programmicons relativ zum Hintergrund mit zu bewegen, vom Hintergrundbild sieht der Anwender mehr. Es entsteht der Eindruck, als habe das flache iPhone Tiefe hinzugewonnen. Craigh Federighi zeigte diesen Effekt auf der WWDC-Keynote jedoch auf einem handelsüblichen iPhone 5, das zwar wohl nicht das dünnste Smartphone der Welt ist, aber nach wie vor nur 7,6 Millimeter dick.
Wie Apple dem iOS 7 beigebracht hat, diesen räumlichen Effekt zu simulieren, lässt sich anhand einfacher Mathematik erklären - und der in das iPhone eingebauten Sensoren. Mit dem iPhone 4 ist ein MEMS-Gyroskop hinzugekommen, das die bisher verbauten Beschleunigungssensoren ergänzt.
Apple macht sich dabei zu nutze, wie unser Gehirn die Realität interpretiert: Weit entfernte Objekte erscheinen kleiner als nahe, und nahe an uns vorbeiziehende Objekte huschen scheinbar schneller vor unseren Augen vorbei als weit entfernte, die mit der gleichen Relativgeschwindigkeit zu uns unterwegs sind. (Wer letzteres nicht glaubt, soll bei seiner nächsten Zugreise mal versuchen, bei einer Bahnhofsdurchfahrt die Ortsschilder am nächsten Gleis und an weit entfernten Gleisen zu lesen...). Umgekehrt scheinen also kleinere Objekte weiter entfernt zu sein und schneller sich bewegende näher - das ist der Trick von vorgetäuschter Perspektive und Parallaxe.
Sprich: Um einen räumlichen Eindruck zu verschaffen, muss iOS 7 scheinbar nähere Objekte vergrößern und schneller animieren. Das kann einerseits nur gelingen, wenn die Bildschirminhalte in unabhängig voneinander gesteuerten Eben angeordnet sind (siehe Abbildung). So bekommen Hintergrundbild, Icons und der Vordergrund jeweils eigene Ebenen. Der Rest ist in Algorithmen übersetzte Mathematik - euklidische und Differentialgeometrie.
Wie "weiß" aber nun das iPhone oder iPad, wie es die Ebenen relativ zueinander anordnen und animieren soll? Dazu dienen die physikalischen Sensoren im Inneren des Geräts. Von Anfang an hat das iPhone Beschleunigungssensoren eingebaut, anhand derer es die Bildschirmorientierung misst und den Inhalt im Portrait- oder Landschaftsmodus ausgibt.
Seit dem iPhone 4 ist auch ein Gyroskop eingebaut, das kreiselt, sobald an ihm eine Spannung angelegt wird. Und wie seit der Newton'schen Mechanik bekannt, ist der Drehimpulsvektor eine Erhaltungsgröße: Das Gyroskop kreiselt in der gleichen Ebene weiter, auch wenn das umgebende Gerät gekippt wird. Man kann sagen, Apple verbaut in den iOS-Geräten Weltraumtechnik, denn auch jede Rakete misst mit derartigen Prinzipien ihre räumliche Orientierung.
Der Parallaxen-Effekt von iOS
Zur physikalischen Messung und der Mathematik der vorgetäuschten Parallaxe und Perspektive gehört aber noch eine kluge Annahme, wie sie unser Macworld-Kollege Marco Tabini den Entwicklern bei Apple unterstellt. Die Algorithmen gehen von einer ursprünglichen Positionierung des iPhones vor den Augen aus und berechnen dann anhand der weiteren Kipp- und Drehbewegungen die notwendigen Größen und Geschwindigkeiten und Ausschnitte der Elemente auf dem Bildschirm.
Inwiefern Dritthersteller den Parallaxen-Effekt von iOS für ihre Apps nutzen werden, bleibt abzuwarten, jede neue Darstellungsmöglichkeit kann zur Übersättigung führen, wird sie zu oft genutzt. Auch kann frühestens die finale Version von iOS 7 beantworten, ob die Spielerei nicht zu viel Energie kostet - und sich womöglich auch anschalten lässt. Der Bildschirm des iPhone wird aber mit vorgetäuschter Parallaxe und Perspektive von einer Leinwand zu einem virtuellen Fenster. (Macwelt)