Wie kamen Sie auf die Idee, Twise zu gründen?
Nina Gillmann: Ich habe lange in den USA in gemischten Teams gearbeitet. Als ich vor vier Jahren nach Deutschland zurückkehrte, traf ich auf eine homogene breite Männer-Mehrheit. Auch die Statistiken belegten, dass Deutschland in Sachen Frauenanteil in Führungspositionen in der EU auf dem vorletzten Platz lag. Da wusste ich: das muss sich ändern. Unsere Vision sind alternative Karrieren jenseits des Vollzeitmodells. Wer mit uns zusammenarbeitet, kann allen die gleichen Karrierechancen geben, unabhängig davon, ob sie ihren Arbeitsumfang bedingt durch Eltern- oder Betreuungszeiten reduzieren müssen.
Wie muss man sich das vorstellen?
Nina Gillmann: Grundsätzlich melden sich Personalentscheider bei uns, wenn eine Person im Unternehmen zwar Vollzeit gebraucht wird, sie oder er aber aufgrund von Familienplanung oder anderen Beweggründen die Arbeitszeit reduzieren muss. Anders ausgedrückt: das Twise-Modell besteht aus Tandems, über deren Einsatz es möglich wird, weniger als Vollzeit zu arbeiten und trotzdem einer Vollzeitkarriere gerecht zu werden. Damit können Unternehmen an zwei neuralgischen Punkten ansetzen, um ihre guten Fach- und Führungskräfte zu halten: bei der Familiengründung und beim Wiedereinstieg.
Also doch in erster Linie ein Modell für Mütter?
Nina Gillmann: Nein, nicht ausschließlich. Aktuell sehen wir auch Tandem-Modelle im Rahmen von Altersteilzeit: Hier reduziert eine erfahrene Führungskraft die eigene Arbeitszeit und macht die jüngere im Shadowing-Verfahren zugleich fit für die Position. Ein Tandem kann auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter funktionieren, die auf bestimmte Zeit in einen anderen Bereich hineinschnuppern wollen, dort für sich Wissen aufbauen möchten.
Wann interessieren sich Kandidaten und Kandidatinnen für ein Jobtandem?
Nina Gillmann: In erster Linie kommen sie auf uns zu, weil sie sich mit Familie beruflich weiterentwickeln wollen, ihr Arbeitgeber ihnen dafür aber keine passende Lösung bietet. Wir unterscheiden drei Kategorien: Familiengründerinnen wollen im klassischen Eltern-Tandem die Elternzeit überbrücken. Andere Frauen suchen nach einer längeren Pause den karrierefördernden Wiedereinstieg ins Berufsleben. Die Hälfte der Kandidatinnen sind Umsteigerinnen in Vollzeit oder Vollzeit-nahen Jobs. Viele von Ihnen sind Mütter und suchen dringend elternfreundliche Arbeitgeber, die ihnen in Sachen Ort und Zeit mehr Flexibilität bieten, ohne dass sie in der Karriere zurückstecken müssen. Unternehmen also, die wirklich offen sind für kollaborative Arbeitsmodelle. Gerade in Zeiten von Corona gibt es hier immer stärkeren Druck auf den Kessel.
Was ist die Rolle von Twise in der Besetzung der Tandems?
Nina Gillmann: Aktuell zäumen wir mit unseren Kunden noch den gesamten Prozess für eine tandemfähige Pipeline auf. Wir starten mit der Vermittlung des richtigen Tandempartners über das Match-Making bis hin zum Onboarding. Aber ein Pilot-Tandem macht noch keine Pipeline. Daher ist es für uns gerade jetzt am Anfang sehr wichtig, dass unsere Ansprechpartner den holistischen Ansatz dahinter verstehen. Tandem-Karriere-Modelle wirken sich auf die Arbeitsflexibilisierung, die Besetzungsprozesse, die Führungs- und Arbeitskultur und ebenfalls auf das Mikroklima zwischen Vorgesetzten und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus. All das gilt es am Anfang mit im Blick zu haben.
Wo können Personalverantwortliche ansetzen, damit mehr Mütter den karriereförderlichen Wiedereinstieg- oder Umstieg schaffen?
Nina Gillmann: Sie sollten sich einen fundierten Überblick verschaffen, auf welcher Karrierestufe ihnen die weiblichen Talente wegbrechen. Auf der Basis sollten sie mit Rückendeckung des Top-Managements sowie Fachbereichsverantwortlichen kluge Unterstützungsmodelle wie Tandempiloten anbieten und dafür intern Koalitionäre gewinnen. Das aktive Mitgestalten motiviert die meisten zum Vorantreiben.
Jobsharing ist kein neues Thema. Warum ist hier bislang so wenig passiert?
Nina Gillmann: Manche Unternehmen setzen Jobsharing seit Jahren erfolgreich ein, um hochqualifizierte Talente über die Familiengründung hinaus und trotz Teilzeit im Führungskader zu halten. Andere Firmen müssen diese Erfahrungen noch sammeln und lernen sich zu fragen: Scheitern Frauen an der gläsernen Decke (also Diskriminierung) oder an der Teilzeitfalle? Oder ist es eine Mischung aus beidem? Nur wenn man weiß, woran es im Einzelfall liegt, kann man wirksame Gegenmaßnahmen ergreifen: Bias-Bekämpfung gegen die gläserne Decke oder Tandems gegen die Teilzeitfalle. Viele Initiativen gingen am eigentlichen Problem vorbei. Was bringt ein Unconscious-bias-Training einer Teamleiterin, wenn sie vorher aufgrund von Teilzeit zur Sachbearbeiterin degradiert wurde?
Wo wollen Sie mit Twise in fünf Jahren stehen?
Nina Gillmann: Dann haben wir eine solide Kundenbasis aufgebaut, und unser Geschäft weiter skaliert. Das Thema Vereinbarkeit hat an Leichtigkeit gewonnen, und Personaler - egal ob im Großkonzern oder im Mittelstand - reagieren auf Elternzeit oder eine andere signifikante Arbeitszeit-Reduktion routiniert und entspannt. Unsere Vision für 2030: Tandems werden flächendeckend von den Unternehmen als Alternative zur Vollzeit-Karriere eingesetzt, Quoten sind nicht mehr erforderlich, und Deutschland ist im EU-Ranking nach Frauenanteil in Führungspositionen ins vordere Drittel aufgerückt.
Twise
Der Vermittlungsservice von Twise bietet Headhunting und Matchmaking für Unternehmen an, die flexiblere Arbeitszeitmodelle integrieren wollen. Der Fokus liegt auf dem Durchbrechen der gläsernen Decke und des Gender Bias. Unternehmen soll mithilfe der Tandems der Weg zur Geschlechtergerechtigkeit geebnet werden.
Die Tandems überbrücken eine gewisse Zeit in der Karriere, zum Beispiel die Elternzeit. So können zwei Frauen mithilfe von Jobsharing im Beruf bleiben. Das langfristige Ziel ist der berufliche Wiedereinstieg in eine Vollzeitstelle. Die Coronakrise hat die Gleichstellung der Geschlechter zurückgeworfen. Im Zuge der Krise hat Twise seine Tandems ausgebaut und möchte Mütter und Väter im Homeoffice und Expertinnen zu Tandempartnerinnen zusammenbringen.