Digitalisierung in Deutschland - mit Frage- oder Ausrufezeichen danach? Mit diesen Worten eröffnete Bettina Uhlich das Entscheiderforum von VOICE, das vom 7. bis 8. November 2023 in Berlin stattfand. "Ich habe mich für den Doppelpunkt entschieden", fuhr die Präsidentin des IT-Anwenderverbands fort. Denn danach müsse noch etwas kommen und zwar "pragmatische Zuversicht und ergebnisorientierte Gestaltung".
Die Aufgaben seien groß, nehme man nur einmal die überbordende, analoge Bürokratie hierzulande, von Uhlich schlichtweg als "Bürokratiemonster" betitelt. "Dabei waren wir einmal bekannt dafür, eine effiziente Bürokratie zu haben." Andere Bereiche wie der Breitbandausbau stimmten wieder zuversichtlicher: Hier habe sich Deutschland im EU-Vergleich immerhin von Rang zehn auf vier hochgearbeitet.
Uhlich appellierte an die versammelten rund 200 IT-Verantwortlichen aus Wirtschaft, Lehre und Politik, mit Schuldzuweisungen aufzuhören und nicht darauf zu warten, dass der Staat die Probleme lösen werde: "Das wird nicht passieren". Stattdessen müsste die Wirtschaft artikulieren, was sie brauche und den Dialog mit der Politik suchen. Eine gute Nachricht gebe es ja auch: "Der Staat beginnt sich zu bewegen." Nun müsse man bei der Umsetzung noch nachlegen.
GenAI made in Germany
Zu mehr Mut und Zuversicht rief auch Iris Plöger, Mitglied des Bundesverbands der Deutschen Industrie e.V., auf und mahnte: "Wir dürfen nicht zum Verlierer der geopolitischen Zeitenwende werden". Daher dürften neue Technologien wie KI nicht nur als Risiko angesehen werden, sondern der Fokus müsse auf den Chancen liegen. Sie verwies in diesem Zusammenhang auf den AI Act. Richtig angewendet könnte der Gesetzesentwurf diese Entwicklungen unterstützen und gar zu einem Gütesiegel im Sinne von "Made in Germany" oder "Made in Europe" werden.
Um den Anschluss bei AI in Deutschland nicht zu verlieren, seien jedoch deutlich mehr Investitionen (Wagniskapital) vor allem in KI-Startups notwendig: 57 Prozent der Jungunternehmen beklagten eine mangelnde Finanzierung. Plöger betonte, dass die Stärke deutscher Unternehmen vor allem darin liege, KI für Industriezwecke anzupassen und Cybersicherheit mit einzubeziehen. Gerade letzteres sei wichtig, damit das Vertrauen in Technologie erhalten bleibe.
Als dritte im Auftaktbunde machte sich auch Daniela Brönstrup, Ministerialdirektorin im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, für eine konstruktive Zusammenarbeit von Staat und Wirtschaft stark. Sie versicherte, dass sich die Regulierer für unternehmensfreundlichere Rahmenbedingungen für Unternehmen einsetzten. Dazu gehörten nicht nur vernünftige, souveräne Standards, sondern auch Bürokratieabbau. Ihr Ziel sei es, die Berichtspflichten für Unternehmen deutlich zu reduzieren, und zwar auf ein Mal nach dem Prinzip des "one stop shop". "Da müssen wir hinkommen", postulierte sie.
Exkursion zu Siemens Energy und zum Euref-Campus
Wie weit Deutschland in Sachen Digitalisierung und Zukunftstechnologien gekommen ist, zeigte die gesamte Veranstaltungsreihe. Bereits am Vortag zur Konferenz waren die Teilnehmenden im Rahmen der "Innovation Journey" auf das Thema Energie der Zukunft eingestimmt worden.
Die Erkundungstour startete mit einer Werksführung bei Siemens Energy (Fokus Wasserstoff) und schloss mit einer Besichtigung des Euref-Campus. Dort lernten die CIOs Start-ups kennen, die sich mit innovativen Technologien beschäftigen, um Energie zu erzeugen, zu verteilen und zu speichern. Darunter war auch das Bahn-Unternehmen DB Encore, das Autobatterien ein zweites Leben einhaucht.
Aldi, Eon und Volkswagen setzen auf KI
Am Hauptkonferenztag schließlich ließen sich namhafte CIOs aus Anwenderunternehmen tief in die Karten gucken. Dabei ging es es um technologische, Organisationsentwicklungs- oder ESG-Themen (Environment, Social, Governance). So berichtete Sinanudin Omerhodzic, CTO von Aldi Nord, von der Data Management Journey des Lebensmittelsdiscounters. Sebastian Weber, CIO von Eon, sprach über nachhaltige digitale Energietransformation (von Smart-Grids zu KI).
Um Künstliche Intelligenz und Generative AI ging es auch im Vortrag von Sven Lorenz, Head of Group Data & AI bei Volkswagen. Er zeigte, wie der Automobilkonzern mit KI in der industriellen Praxis umgeht. Ihn treibt um, wie man den Datenschatz im Unternehmen verbessern kann. Dazu sei es wichtig, ein neues Mindset einzuführen, nämlich in Daten zu denken und Daten wie Vermögenswerte zu managen.
Transformation bei CWS, Rossmann und KGAL
Martina Ritzer, CIO von CWS, teilte ihre Learnings aus der IT-Transformation: "Es gibt immer Leute, die nicht mitziehen. Konzentriert euch auf die, die Lust haben mitzumachen und die interessiert sind. Das gibt einen Pull-Effekt!" Antje König, Geschäftsführerin bei Rossmann, fühlte Agilitätsmythen auf den Zahn ("Planung ist nicht der Feind von Agilität") und plädierte für "frei denken" und "einfach machen". Anke Sax, COO und CTO bei der KGAL, beschwor den Teamansatz im Unternehmen frei nach Michael Jordan: "Einzelleistungen gewinnen Spiele, aber das Team gewinnt die Meisterschaft" und rief zum aktiven Zuhören auf.
Ohne ESG geht es nicht: GLS Bank, Bund und State Street
Längst sind ESG-Themen im Alltag der CIOs angekommen, wie drei Vorträge im Besonderen klar machten. Dirk Kannacher, CIO der GLS Bank, erläuterte, wie sein Unternehmen durch Werteorientierung, Haltung und Kultur erfolgreich ist. Michael Wahl und Alexander Pfingstl von der Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik klärten darüber auf, warum und wie IT barrierefrei gestaltet werden sollte.
Simone Bock, CIO von State Street und seit März 2023 zudem ESG Data Lead, gab einen tiefen Einblick in die Chancen und Herausforderungen der ESG-Richtlinien. Ihr Rat an alle Zuhörenden, die Nachhaltigkeit im Unternehmen vorantreiben wollen: "Wenn ESG nicht in der Strategie steht, gibt es keine Gelder. Also berücksichtigt das in der Strategie!"
CISO von Red Bull fordert Zero Tolerance
Auch das Thema Cybersecurity kam nicht zu kurz: In Einzelvorträgen als auch im Gespräch miteinander beleuchteten Jimmy Heschl, CISO von Red Bull, Juhan Lepassar, Director von EINSA, und Gerhard Schabhüser, Vizepräsident des BSI, Wege zu mehr Cybersicherheit in Deutschland und Europa. Heschl forderte vor allem die IT-Hersteller auf, Security von vorne herein in ihren Produkten mitzuberücksichtigen (Security by default). So hätten die Anwender weniger Ärger und Kosten. Vom Regulierer wünschte sich der Manager "Zero Tolerance" gegenüber Cyberattacken anderer Nationen.
Generell rief Heschl zu mehr Awareness und bewusstem Umgang mit Security auf. Das Thema müsse uns so in Fleisch und Blut übergehen wie die Aktualisierung unseres Handys: "Und das updaten wir jeden Morgen."
Best Data Project Awards 2023
Den Abschluss der zweitägigen Veranstaltungsreihe bildeten auch in diesem Jahr die Best Data Project Awards, die der IT-Anwenderverband Voice in den Kategorien Mittelstand und Großunternehmen seit 2022 verleiht. Im Mittelstand setzte sich das Team von Farbenhersteller Marabu rund um CIO Stefan Würtemberger (der auch beim IT-Wettbewerb CIO des Jahres in diesem Jahr wieder ausgezeichnet worden war) durch. Die Jury prämierte mit dem Preis das Projekt "Alpha". Mit diesem neuen Labor-Management-System werden alle Abläufe in der Entwicklung digitalisiert und zusammengeführt. Mit integrierter KI-Unterstützung können Entwickler schneller Entscheidungen treffen. Durch die verkürzten Entwicklungszyklen kommen auch die Produkte schneller auf den Markt.
In der Kategorie Großunternehmen überzeugte das IT-Systemhaus der Bundesagentur für Arbeit (BA). Das BA-Team hatte sein Projekt "Adest" eingereicht, ein Large Language Model, das Informationen aus Stellenanzeigen von Unternehmen extrahiert, übersetzt und mit dem internen BA-System zur Weiterverarbeitung matcht. Die Jury lobt besonders die Zeitersparnis von 40 Prozent. Die Sieger erhalten jeweils ein Preisgeld von 5.000 Euro, welches sie für einen Team-Event ausgeben dürfen.
Wie es mit der Digitalisierung in Deutschland weitergeht, zeigt sich dann beim nächsten Entscheiderforum am 19. und 20. November 2024 wieder in Berlin.