Knackige grüne Erbsen, eine ganze Kiste davon, hievt die Verkäuferin in das Gemüseregal. Jeden Morgen stapelt sie Paprika, Karotten und Erbsen. Ein logistischer Kraftakt, gestemmt von insgesamt fast 225 000 Mitarbeitern - und gelenkt von "ZAM", dem selbst gebauten Warenwirtschaftssystem der Rewe Group. "Es gehört viel IT dazu, bis die Paprika morgens in der Gemüsetheke liegt", bestätigt Rewe-CIO Jens Siebenhaar. In Echtzeit füttern die Kassen aus 9000 Märkten ZAM mit Informationen. Das System behält den Warenbestand im Blick und schickt die Mitarbeiter mit den Paprikakisten zu den Regalen.
Ohne IT kein frisches Gemüse - und umgekehrt. Jens Siebenhaar braucht Nachwuchs, um seine 800 Mitarbeiter starke IT-Mannschaft bei der Rewe Informationssysteme GmbH (RIS) lebendig zu halten. Aber das Gemüse wird knapp beim zentralen IT-Dienstleister der Group. "Wir müssen uns heute bei den Absolventen bewerben, nicht mehr umgekehrt", sagt Siebenhaar. Der Kampf um die besten Köpfe ist in vollem Gang.
Ein Prozent Wachstum büße die deutsche Hightech-Wirtschaft im Jahr durch den Fachkräftemangel ein, rechnet der IT-Verband Bitkom vor. Firmen dampfen IT-Projekte ein, verschieben sie oder sagen sie ganz ab - davon berichteten auf CIO.de in einer Umfrage jüngst mehr als die Hälfte der Teilnehmer. "Der Anteil der Projekte mit direkten Auswirkungen auf die IT-Prozesse wächst so stark", sagt Lünendonk-Consultant Mario Zillmann, "dass in den Unternehmen einerseits entsprechende Fachkräfte fehlen und die Unis andererseits diese Nachfrage nach Fachleuten nicht mehr abdecken können." Fast 30 000 IT-Stellen sind laut Bitkom derzeit offen, und 57 Prozent der Hightech-Firmen wollen dieses Jahr noch neue Stellen ausschreiben.
Aber was sind die besten Rezepte, um neue Mitarbeiter anzulocken? CIO hat bei Rewe, Otto und den Stadtwerken Düsseldorf in die Töpfe geguckt.
1. Früh ernten
Jens Siebenhaar schickt seine Leute tatsächlich aufs Feld - aufs Fußballfeld: Bei einem Turnier der Uni Siegen traten auch seine Kicker aus Köln an. Sportlich nicht ganz so erfolgreich. Auch ein Supertorwart konnte den Gesamtsieg nicht einfahren. "Die Traumtore unseres Programmierers für Kassenanbindungen reichten am Schluss nicht", erzählt der IT-Chef. Macht aber nichts.
Der Kontakt nach Siegen ist für Siebenhaar entscheidend, weil er recht häufig Informatiker von dort für Diplom- und Master-Arbeiten rekrutiert. Die eigentliche Mission der Kicker lautet: RIS als sympathischen Arbeitgeber zum Anfassen verkaufen.
Eine unkonventionelle Methode - aber im Grunde die Strategie, die auch andere Unternehmen bei der Nachwuchssuche fahren: möglichst früh die IT-Profis von morgen an sich binden, am besten noch vor dem Examen. "Unser Anspruch ist es, möglichen Kandidaten auf Augenhöhe zu begegnen", sagt Sabine Josch, die Personalchefin des Versandhändlers Otto. Die Hamburger nutzen dazu zum Beispiel Absolventenmessen, weil man dort die Kandidaten rechtzeitig und persönlich kennenlernt.
Otto hat einen enormen Appetit auf IT-Nachwuchs. Das Online-Geschäft wächst mit Raten von fast 30 Prozent im Jahr. Über zwei Drittel der Kunden bestellen schon nicht mehr aus dem Katalog, sondern im Internet. Dazu kommen neue Ansprüche an die IT, von Business Intelligence bis Cloud Computing. Und dann will Otto auch noch groß ins Mobile-Geschäft einsteigen, das heißt, vernetzte Angebote für jedes Endgerät müssen her.
Otto sucht über 100 Experten für E-Commerce und IT
"Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir neben den erfahrenen Experten auch die Digital Natives", sagt Michael Picard, einer von drei IT-Chefs bei der Otto Group. Die jungen Leute bringen das zukunftsweisende Know-how von der Uni mit. Im Sommer suchte Otto mehr als 100 Experten für E-Commerce und IT, zwei Drittel dieser Stellen wurden neu geschaffen.
2. Selber ziehen
Vor einem Jahr holte sich RIS die ersten zwei Bachelor-Studenten in die Mannschaft. Sie sind als Dualstudenten an der Europäischen Fachhochschule Brühl eingeschrieben. Dort büffeln sie sechs Wochen am Stück technische Informatik und Wirtschaftsinformatik, um dann während der nächsten sechs Wochen im Unternehmen mit anzupacken. Sie programmieren eigene Stücke, schreiben Fachkonzepte und begleiten die Kollegen zu Kunden.
Otto hat das duale Studium ebenfalls für sich entdeckt. "Die innovativen Ideen und neuen Impulse, die Studierende in unser Tagesgeschäft bringen, kommen der Entwicklung unseres Unternehmens zugute", sagt Personalchefin Josch. Mit mehreren Hochschulen arbeitet Otto schon zusammen, um den Nachschub an Handelsexperten und Führungskräften zu sichern. Jetzt stiftet der Konzern an der FH Wedel eine Professur für E-Commerce und kann so die Ausbildung des IT-Nachwuchses auf die eigenen Wünsche und Ansprüche maßschneidern.
Bei den Stadtwerken Düsseldorf macht das der CIO persönlich: Einmal die Woche steht Matthias Mehrtens in Mönchengladbach vor über 60 angehenden Wirtschaftsinformatikern. Seit sechs Jahren hält Matthias Mehrtens als Honorarprofessor Vorlesungen an der Hochschule Niederrhein. "Ich möchte Kontakt zu möglichst vielen Studenten haben", sagt Mehrtens. "Um die guten Leute zu bekommen, muss man Beziehungen aufbauen." Die Konkurrenz ist stark, am Niederrhein bewerben sich auch Global Player wie Vodafone, Henkel und Metro um die jungen Leute.
Mehrtens steht im Hörsaal, um zu zeigen, dass die Stadtwerke ganz vorne mitspielen bei Virtualisierung und Energie-Effizienz. Dass es sogar spannend sein kann, wenn ein Unternehmen an nur einem Ort sitzt - weil die Wege kurz sind, das Tempo hoch und die SAP-Releases auf der Höhe der Zeit. Das geht, weil die IT keine internationalen Roll-outs stemmen muss.
3. Keine Geschmacksverstärker
Es geht um Beziehungen; darum, Netzwerke zu knüpfen - ob online oder offline. Ganz handgemacht ist das soziale Netzwerk, wenn der Düsseldorfer CIO Mehrtens bei einem Treffen des Vereins "Digitale Stadt" vorbeischaut. Die Technologie-Unternehmen Düsseldorfs haben sich in dem Verein zusammengefunden, und Mehrtens sitzt im Vorstand. "Da bekommt man schon mal einen Tipp, wenn jemand einen guten Kandidaten nicht unterbringen kann. Den kann man dann gleich beim Mittagessen kennenlernen."
An den tatsächlichen Social Networks aus Bits und Bytes, auf Facebook, Xing und Twitter, kommt aber auch der Energieversorger beim Werben um den Nachwuchs nicht vorbei. Entscheidend ist für Mehrtens dabei eines: Authentisch muss das Bild sein. Man dürfe Jobinteressenten nichts versprechen, was die Realität nicht einhalten kann.
Es ist eine Herausforderung, gesteht ein paar Kilometer rheinaufwärts Rewe-CIO Siebenhaar. "Es ist schwierig, bei Social Media authentisch aufzutreten - und nicht wie eine Marketing-Plattform." Man braucht ein Gefühl für die Zielgruppe, muss ihren Sprachduktus treffen. Äußerst vorsichtig geht Siebenhaar deswegen mit diesem Thema um. "Bei Social Media machen wir noch zu wenig. Aber wir werden mehr Kraft und Augenmerk darauf lenken."
Genug zu erzählen hätte er, erst recht nach dem Sicherheits-GAU im Juli, als Hacker Mail-Adressen und Passwörter einer Sammelbild-Tauschbörse von Rewe ins Netz stellten. Unter Hochdruck ackerten 30 externe und interne Kollegen, um das Leck zu stopfen. Tagelang blieben die Internet-Auftritte des Konzerns offline. Wenige Wochen später stellte sich ein 23-jähriger Tatverdächtiger der Polizei.
Die Kollegen von Otto sind in Sachen Social Media einen Schritt weiter. "Über Kommentare, Posts und Retweets konnten wir bisher feststellen, dass wir auf dem richtigen Weg sind", erzählt Personalchefin Josch. Ihre Erfahrung: Bewerber schätzen Transparenz und Offenheit, keine Geheimniskrämerei. Auf dem Twitterkanal @otto_jobs zwitschert der Konzern aktuelle Jobs und Veranstaltungen, auf der Karriere-Fanpage bei Facebook erlauben Fotos und Videos Blicke hinter die Kulisse. Xing und LinkedIn dienen der professionellen Kontaktaufnahme mit interessanten Spezialisten.
4. Bloß keinen BWL-Eintopf kochen
51 neue Mitarbeiter hat die Rewe-IT im vergangenen Jahr eingestellt, über die Hälfte davon Berufsanfänger. Doch es müssen die Richtigen sein. "Unsere Messlatte ist hoch", sagt Rewe-CIO Siebenhaar. "Wenn wir drei Stellen ausschreiben, besetzen wir sie nur, wenn wir die richtigen Bewerber finden."
Trotz Fachkräftemangel: Ein Informatikabschluss ist noch keine Jobgarantie. Wenn die IT in immer mehr geschäftskritische Bereiche vorrückt, sollten auch IT-Profis etwas vom Business verstehen. Die reinen Geldverdiener helfen den IT-Abteilungen ebenfalls wenig weiter. Nur hätten Politik und Wirtschaft in Deutschland, sagt Lünendonk-Berater Zillmann, viel zu lang auf das Commodity-Thema BWL gesetzt. Jetzt heiße es, "den jungen Menschen zu zeigen, dass es auch spannende technische Berufe gibt - und sie so früh wie möglich für IT zu begeistern".
So wichtig diese Punkte sind - Rewe-CIO Siebenhaar ist überzeugt: Reizen lassen sich frisch ausgebildete Computer-Cracks vor allem von den Herausforderungen: "Ich glaube, heute ist im Kern dasselbe wichtig wie vor einigen Jahren: eine interessante, abwechslungsreiche Tätigkeit. Dass ich etwas gestalten und sowohl im Team mit anderen als auch alleine etwas schaffen kann."
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