Auf den ersten Blick mag der Koalitionsvertrag aus IT-Sicht Anlass zur Hoffnung geben: Die Politik scheint die Bedeutung von IT und Telekommunikation für den Industriestandort Deutschland endlich erkannt zu haben. Betrachtet man aber die Absichten der Koalitionäre im Detail, dann erscheinen sie teilweise unsinnig, kaum durchführbar oder dem angestrebten Ziel, zu den digitalen Märkten der USA und Asiens aufzuschließen, zuwider zu laufen. Etwa, wenn auf Seite 149 des Koalitionsvertrags eine Verpflichtung aller europäischen TK-Anbieter zur Verschlüsselung ihrer Verbindungen innerhalb der EU gefordert wird. In einem globalen Internet, in dem nach Berechnungen des Weitverkehrsausrüsters Coriant (ein Spin off von Nokia Siemens Networks) nur noch 30 Prozent des Verkehrs regional sind, dürfte dies Maßnahme kaum gegen die Schnüffeleien der NSA genügen.
Breitbandausbau
Auch in anderen Passagen des Vertrags ist zwar die Absicht der Koalitionäre zu erkennen, den Netzausbau zu fördern, doch die vereinbarten Ziele bleiben schwammig oder sind wenig zielführend und offenbaren, dass die Politik die grundlegenden Probleme der TK-Industrie nicht begriffen hat. Das beginnt bereits damit, dass als politisches Ziel im Jahr 2013 eine Breitbandversorgung mit 2 Mbit/s in der Fläche vorgegeben wird. Bis 2018 sollen dann 50 Mbit/s in der Fläche realisiert werden. Das sind Ziele, die an der Netzrealität weit vorbeigehen. Schon heute werden für einen hochauflösenden TV-Kanal Bandbreiten um die 20 Mbit/s veranschlagt. Mit Blick auf Cloud-Computing etc. wird sich dieser Bedarf - auch im Consumer-Umfeld - in den nächsten Jahren expotenziell vervielfachen. Nicht umsonst spricht man in der TK-Branche mittlerweile erst ab 10 Mbit/s von Breitband.
Sehr vage bleiben zudem die Ausführungen zur Finanzierung des Breitbandausbaus. Im ländlichen Raum werden den Netzbetreibern lediglich längere Vertragslaufzeiten von drei bis vier Jahren mit den Netznutzern in Aussicht gestellt - angesichts von Berechnungszeiten von zehn bis 20 Jahren, mit denen Glasfaserprojekte kalkuliert werden, dürfte das den Netzbetreibern kaum die "Investitionssicherheit im ländlichen Raum" geben, die die Politik mit dem Vertrag erreichen will.
Finanzierung des Ausbaus
Unklar bleibt auch wie dieser Netzausbau finanziert werden soll. Hier ist im Koalitionsvertrag lediglich die Rede davon, dass der Breitbandausbau förderfähig bleiben muss und die KfW-Bankengruppe ein Programm "Premiumförderung Netzausbau" auflegen soll. Wenn sich ansonsten die staatliche Förderung nur auf jährlich 500 Millionen Euro beschränken sollte - wie hinter vorgehaltener Hand zu hören ist - dann ist das lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein. Andere wirtschaftlich durchaus schwächere Länder, nehmen hier deutlich mehr Geld in die Hand - jüngstes Beispiel ist etwa Australien. Dort investiert der Staat 40 Milliarden Dollar in den Glasfaserausbau. Oder wie es ein Manager aus der Branche kürzlich formulierte: "Wir sollten uns den Breitbandausbau auch leisten wollen." Alles andere bedeute nur ein "Herumdoktern an Symptomen".
Netzneutralität
Und dass der Breitbandausbau, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen mit einem Breitband-Bürgerfonds finanzierbar sein soll, darf bezweifelt werden. Zumal die Politik "die soliden Renditen, zu denen Privatpersonen in diesen Fonds investieren können", im Koalitionsvertrag einige Absätze später in die Märchenwelt verbannt. Wörtlich ist dort zu lesen, "Das so genannte Best-Effort-Internet, das für die Gleichberechtigung der Datenpakete steht, wird in seiner Qualität weiterentwickelt und darf nicht von einer Vielzahl von Managed Services verdrängt werden". Politisch wird diese für Carrier ruinöse Forderung unter dem Deckmäntelchen der "Netzneutralität" verkauft. In diesem Zusammenhang setzten die Netzpolitiker dann auch gleich die Deep Packet Inspection (DPI) auf den Index. Dass Videoübertragungen (IP-TV) oder Telefonieren (Voice over IP) in paketorientierten Netzen wie dem Internet erst dank Managed Services oder DPI unterbrechungs- und störungsfrei möglich sind, scheint man im politischen Berlin nicht zu wissen.
Indem man deutschen Carriern und Providern Kosten aufbürdet und sie zusätzlicher Einnahmequellen beraubt, rückt das Ziel einer weltweit konkurrenzfähigen Internet-Szene in weite Ferne. Zusätzliche Kosten entstehen, weil nur mit mehr Kapazität in den Backbones der Verzicht auf DPI und Managed Services aufgefangen werden kann. Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht zu verstehen, warum die Koalitionäre den Funk als gleichwertige Alternative beim Breitbandausbau sehen. Schon heute fehlt vielen Netzbetreibern in den Backbones die Kapazität, um den Verkehr der LTE-Funkzellen weiterzuleiten. Und dass diese Investitionen nun auf breiter Front erfolgen, ist angesichts des Koalitionsvertrags nicht zu erwarten.
Kein Router-Zwang
Dafür beschert die Große Koalition den Netzbetreibern ein weiteres Ärgernis: Sie lehnt den Router-Zwang ab (siehe auch Video IT-Battle) und will hierzu eine gesetzliche Klarstellung erreichen. Ferner sollen die Betreiber den Kunden künftig die Zugangsdaten unaufgefordert mitteilen. Darüber, wer später die Support-Kosten zu tragen hat, wenn Kunden ihre Geräte falsch konfigurieren weil sie nun mit den Zugangsdaten herumspielen können, schweigt sich der Koalitionsvertrag leider aus.
Überhaupt erweckt der Vertrag den Verdacht, dass zwar den Forderungen der Netzöffentlchkeit populistisch nachgekommen wird, die wirtschaftlichen Zwänge von Providern und Carriern dabei aber außen vor bleiben. Das vorliegende Papier erinnert auf fatale Weise an das Schreckgespenst, das Michel Combes, CEO von Alcatel-Lucent, erst kürzlich im Gespräch mit der Computerwoche zeichnete, "..wir sollten nicht nur die Verbraucherinteressen schützen, sondern auch darauf achten, dass sich für die Carrier längerfristige Infrastrukturinvestitionen rechnen. Sonst begehen wir dieselben Fehler wie die USA vor zehn Jahren, als die Preise sanken und die Netze immer schlechter wurden. Die TK-Industrie stand vor dem Ruin."