28 Handgriffe sind nötig, um den Hublift für Reisende mit Rollstuhl zu bedienen, der an den Türen des neuen ICE4 eingebaut ist. Im Idealfall sollte ein Zugbegleiter das innerhalb von zwei Minuten bewerkstelligen, damit der Fahrplan eingehalten werden kann. Der Vorgang muss also im Vorfeld geprobt werden, damit jeder Handgriff sitzt. Bei 4.000 Zugbegleitern im Fernverkehr kommen da eine Menge Trainingsstunden zusammen, für die bisher echte Züge aus dem Verkehr gezogen werden mussten.
Das bedeutete hohen Zeit- und Personalaufwand sowie Umsatzverluste, da die Ausbildungs-Züge nicht am regulären Personenverkehr teilnehmen konnten. Gemeinsam mit dem IT-Dienstleister DB Systel entwickelte die Deutsche Bahn im Rahmen des Projekts EVE (Engaging Virtual Education) eine Lösung, die ein virtuelles Training ermöglicht.
Der virtuelle Bahnsteig im Büro
Seit Mai 2018 bietet die Bahn ihren Mitarbeitern an, sich mit Virtual-Reality (VR)-Brillen für verschiedene Tätigkeiten am und im Zug schulen zu lassen. Der Vorteil liegt darin, dass theoretische Abläufe in der Praxis trainiert werden können - zumindest scheinbar. "Man kann es mit einem Fitnessstudio vergleichen," sagt Lars Tiedermann, VR-Entwickler DB Systel. Die Mitarbeiter lernen die körperlichen Bewegungsabläufe und erarbeiten sich so ein Muskelgedächtnis. Ein Trainer, der die Bewegungen an einem Bildschirm mitverfolgt, unterstützt die Mitarbeiter durchgängig, damit sie auch die richtigen Bewegungen üben. Denn wie im Fitnessstudio könnten sich sonst falsche Bewegungsmuster einprägen.
Das Feedback der Mitarbeiter fällt positiv aus. Das VR-Training ersetze zwar die Schulung am tatsächlichen Zug nicht vollständig, da auch ein Gefühl für Widerstände, Gewichte und die reale Mechanik wichtig sei. Das praktische Vorgehen sei aber bereits eingeübt, so dass die Schulungszeit vor Ort wesentlich geringer ausfalle. Damit wird die Zeit, in der die Züge zu Übungszwecken aus dem Verkehr gezogen werden, verkürzt.
Mittlerweile haben bereits 500 Zugbegleiter das Training absolviert. Bis 2020 werden sukzessive alle 4.000 Mitarbeiter im Fernverkehr mit den VR-Brillen in Berührung kommen. Neben den Zugbegleitern werden auch Lokführer virtuell mit den Funktionen des neuen ICE4 vertraut gemacht.
Die Bahn will nun auch Gefahrensituationen oder andere komplexe Abläufe simulieren. Darunter fallen beispielsweise das Kuppeln von Zügen oder die Wartung der Stromabnehmer auf dem Dach des Zuges. Dabei sollen den Mitarbeitern neben den richtigen Abläufen auch die Konsequenzen von Fehlern aufgezeigt und so das Sicherheitsbewusstsein gestärkt werden.
Eine Frage der Technik
Die Entwicklung der VR-Software durch Systel dauerte etwa vier Monate. Als Datengrundlage für die realitätsgetreue Darstellung des Hublifts dienten ICE4-Daten von Siemens. Die Software selbst ist hardwareunabhängig, so dass statt der demonstrierten VR-Brille HTC Vive auch beispielsweise eine Oculus Rift eingesetzt werden kann.
Pro Schulungseinheit (VR-Brille und Rechner) fielen etwa 2.000 Euro Anschaffungskosten an. Dieser Betrag amortisiere sich jedoch relativ schnell, da ein Teil der Reisezeiten und -kosten für Schulungen an den Zügen wegfielen. Zudem bringe jeder Tag, den die ICEs früher als bisher aus den Schulungsstandorten in den regulären Betrieb überführt werden könnten, Mehrumsätze. Ein breiterer VR-Einsatz als heute werde sich eher günstig auf die Kosten auswirken.
Zwei Hauptanliegen bei der Entwicklung der VR-Trainings waren die Bedienfreundlichkeit und die Realitätsnähe der Simulation. Um die Übungen unabhängig von Alter und Technikaffinität möglichst zugänglich zu gestalten, nutzt das Programm nur einen Knopf pro Bedieneinheit (Controller) in jeder Hand. So können sich die Mitarbeiter ganz auf die Bewegungsabläufe konzentrieren, ohne eine lange Einführung zu brauchen. Zudem lässt sich die Darstellung in der Brille an individuelle Eigenschaften wie Kurz- und Weitsichtigkeit oder Sichtfeld anpassen.
In der Simulation selbst kommen realitätsnahe Darstellungen der benötigten Werkzeuge wie Vierkantschlüssel zum Einsatz, die - virtuell - in die Hand genommen werden müssen. Beide Hände werden im VR-Raum gebraucht, wenn es gilt, schwere Handgriffe auszuüben.
High-Tech als Antwort auf den demographischen Wandel
Neben den reibungslosen Abläufen an und in den Zügen spielt die intakte Infrastruktur auch eine große Rolle für den laufenden Betrieb. Dafür muss sich die Deutsche Bahn mit dem demografischen Wandel beschäftigen. Von den derzeit rund 8.000 Wartungstechnikern, die das Schienennetz instand halten, wird bis 2026 die Hälfte altersbedingt ausscheiden.
Es müssen daher rasch Nachwuchskräfte an der komplexen Technik - etwa den Weichen - des Schienennetzes ausgebildet werden. Das Problem dabei ist, dass reale Übungsobjekte nicht in die Klassenzimmer gebracht werden können. Daher wurde das Fachwissen bisher über Powerpoint-Präsentationen sowie durch Übungen an echten Weichen vermittelt. Das macht die praktische Ausbildung in der nötigen technischen Tiefe langwierig.
Als Lösungsansatz hat das Münchner Unternehmen Viscopic im Start-up-Förderprogramm der Deutschen Bahn eine Augmented-Reality (AR)-Anwendung entwickelt. Die interaktive Applikation namens "3D Durchblick" nutzt die Mixed-Reality-Brille Hololens von Microsoft. Im Gegensatz zu einer VR-Brille, die einen komplett virtuellen Raum darstellt, werden bei AR digitale 3D-Hologramme in den für den Brillenträger sichtbaren realen Raum projiziert.
Die Weichen stehen auf Teamwork
Eine Besonderheit ist, dass die Brillen miteinander verbunden werden können und somit mehrere Anwender dasselbe Hologramm im realen Raum sehen können. Jeder in der Gruppe kann sich um das dargestellte Hologramm herumbewegen und es über Fingergesten oder eine Minifernbedienung in der Größe, Position oder Rotation verändern. Die Blickrichtung des Trainers kann angezeigt werden, so dass er detaillierte Abläufe erklären kann während er das Hologramm entsprechend bearbeitet.
Komplexe Funktionsabläufe lassen sich animiert darstellen. Schritt-für-Schritt-Anleitungen können eingeblendet oder einzelne Komponenten hervorgehoben und isoliert betrachtet werden. Nützliche Informationen oder Warnhinweise zum jeweiligen Arbeitsschritt werden in Echtzeit im Sichtfeld des Anwenders angezeigt.
Momentan wird das AR-Training an sieben Standorten in Deutschland etwa 250 Signal- und Weichentechnikern angeboten. Bis 2020 sollen insgesamt 1.000 die Anwendung nutzen können. Die Schulung gliedert sich momentan in drei Module: Aufbau und Wartung von Weichenantrieben, die Wartung von RBC-Schränken (zur Kommunikation zwischen ICE und Stellwerk) sowie eine Anleitung für die Weicheninspektion.
Dieser praxisorientierte, kollaborative Ansatz soll dazu beitragen, dass Nachwuchspersonal besser ausgebildet wird. Dadurch hofft die Bahn, Weichen schneller entstören und den Bahnbetrieb reibungsloser abwickeln zu können.
Das Feedback der Mitarbeiter fällt positiv aus. Das VR-Training ersetze zwar die Schulung am tatsächlichen Zug nicht vollständig, da auch ein Gefühl für Widerstände, Gewichte und die reale Mechanik wichtig sei. Das praktische Vorgehen sei aber bereits eingeübt, so dass die Schulungszeit vor Ort wesentlich geringer ausfalle. Damit wird die Zeit, in der die Züge zu Übungszwecken aus dem Verkehr gezogen werden, verkürzt.
Mittlerweile haben bereits 500 Zugbegleiter das Training absolviert. Bis 2020 werden sukzessive alle 4.000 Mitarbeiter im Fernverkehr mit den VR-Brillen in Berührung kommen. Neben den Zugbegleitern werden auch Lokführer virtuell mit den Funktionen des neuen ICE4 vertraut gemacht.
Die Bahn will nun auch Gefahrensituationen oder andere komplexe Abläufe simulieren. Darunter fallen beispielsweise das Kuppeln von Zügen oder die Wartung der Stromabnehmer auf dem Dach des Zuges. Dabei sollen den Mitarbeitern neben den richtigen Abläufen auch die Konsequenzen von Fehlern aufgezeigt und so das Sicherheitsbewusstsein gestärkt werden.