Walmart hat im August 2023 den KI-Bot "My Assistant" eingeführt, der die Produktivität von etwa 50.000 Beschäftigten in den USA verbessern soll. Die weltgrößte Einzelhandelskette gehört damit zu den ersten Unternehmen außerhalb der ITK-Branche, die Generative AI (GenAI) in größerem Umfang einsetzen.
Eine treibende Kraft hinter My Assistant ist Ben Peterson, Leiter von Walmarts "People Product Organization". Peterson war zuvor jahrzehntelang bei einem globalen Beratungsunternehmen beschäftigt, wo er Einzelhandelskunden und Konsumgüter-Hersteller im Produktmanagement beriet. Bei Walmart stürzte er sich direkt auf das Thema Employee Experience. Der Konzern beschäftigt rund 2,1 Millionen Menschen rund um den Globus.
Walmart will das Mitarbeitererlebnis neu gestalten
"Wir sind auf dem ehrgeizigen Weg, die Mitarbeitererfahrung neu zu gestalten, indem wir intuitive digitale Erlebnisse schaffen, die das Potenzial der Beschäftigten freisetzen", sagt Peterson. Er bezieht sich dabei auf die digitalen Systeme und Prozesse, die Walmart-Mitarbeiter in Bereichen wie Hiring und Onboarding, Lernen, Performance Management, Karriereentwicklung, Vergütung, Sozialleistungen und Gehaltsabrechnung nutzen.
"Wir wussten schon früh, dass wir bei generativer KI führend sein wollen", sagt Peterson und erzählt von den jüngsten Innovationen bei Walmart und wie es gelungen sei, das Versprechen von GenAI in größerem Umfang einzulösen. Im Konzern kursiere ein Satz aus dem medizinischen Umfeld, den jeder GenAI-Interessierte kenne: "KI wird den Radiologen nicht ersetzen, aber der Radiologe, der KI nutzt, wird denjenigen ersetzen, der es nicht tun."
Was ist My Assistant? Walmart hat mit My Assistant ein GenAI-gestütztes Tool für rund 50.000 derjenigen US-Mitarbeitenden eingeführt, die nicht in einem der Stores arbeiten. Das Tool basiert auf einem proprietären Large Language Model (LLM) und unterstützt - so wie ChatGPT - schnelle Textentwürfe und das Zusammenfassen längerer Dokumente. Monotone, sich wiederholende Tätigkeiten sollen für die Beschäftigten reduziert werden. |
Die Analogie bringt die Haltung des Walmart-Managements auf den Punkt: Es ist wettbewerbskritisch für den Konzern, innovative Technologien schnell zu prüfen und gegebenenfalls einzuführen. Nach dieser Prämisse hatte der Handelsriese schon vor Jahren sein Supply Chain Management neu definiert und seine Strategie Everyday Low Prices so etabliert, dass sie heute von Elite-Wirtschaftshochschulen in aller Welt als Fallstudie gelehrt wird.
Walmart tat sich mit einer Forschungseinrichtung zusammen
Im Frühjahr 2023, als ChatGPT erstmals über 100 Millionen Nutzer zählte, tat sich ein Team von Walmart mit einer der weltweit führenden Forschungseinrichtungen zusammen, um die Chancen von GenAI für den Konzern herauszuarbeiten. Man kam zu der Erkenntnis, dass die neue Technologie erst einmal vor allem Wissensarbeitern dienen und deren Arbeit ergänzen solle. Von Automatisierung war noch keine Rede. So beschlossen die Verantwortlichen von Walmart, einen Versuch zu wagen, und sie wählten dafür die rund 50.000 Back-Office-Mitarbeiter des Unternehmens in den USA als erste User-Basis aus.
Am Tag nach dem Besuch der Forscher trafen sich Walmarts Führungskräfte, um sich auf eine Vision für generative KI zu einigen. Laut Peterson war das wegen des Hypes um die Technologie wichtig: "Angesichts der täglich neuen technischen Innovationen und der unterschiedlichen Perspektiven auf dem Markt war es entscheidend, Ablenkungen zu vermeiden und nachhaltige Fortschritte zu erzielen." Diese Klarheit diente der Ausrichtung und half den Teams, sich auf die Umsetzung vorzubereiten.
Dabei stellten sich die Teilnehmenden viele Fragen: Wie würden die Mitarbeiter auf das Tool zugreifen? Was wären die wichtigsten Anwendungsfälle? Wie würde sich der Fokus nach den ersten 60 Tagen verändern? Wie sieht die KI-Welt in 24 Monaten aus? Genauso entscheidend war laut Peterson die übergreifende Kommunikation im Unternehmen. Walmart nahm den Mitarbeitenden die Angst vor KI, indem von Anfang an klargestellt wurde, dass die Technologie die Menschen unterstützen und nicht ersetzen soll. "Das Ziel ist es, unseren Leuten zu helfen, ihr Potenzial auszuschöpfen. Sie sollen ihre Arbeit intuitiver gestalten können und mehr Raum für Kreativität und menschliche Beziehungen bekommen. Das ist es, was Walmart so besonders macht", erklärt Peterson.
Ein bereichsübergreifendes Produktteam baute die App
Wie Donna Morris, Chief People Officer bei Walmart, berichtet, wurde die Einführung von My Assistant durch viele Faktoren beeinflusst. Dazu gehörte nicht zuletzt der Support der Führungskräfte, die das Potenzial von GenAI früh erkannt hätten.
Aus Sicht von Morris ist die Leistung von Peterson als einem der Hauptverantwortlichen gar nicht hoch genug einzuschätzen. Bis vor kurzem sei dessen "People Product Organization" der globalen Technologiesparte untergeordnet gewesen, eine Struktur, die in Unternehmen der Größe von Walmart üblich ist. So habe das Produktteam zwar enge Beziehungen zu anderen funktionsübergreifenden Delivery-Teams aufbauen können, doch die Entfernung zu den Business-Einheiten sei zu groß gewesen. Das habe die Arbeiten behindert.
Walmart reagierte und unterstellte Peterson und seine Unit dem HR-Bereich von Morris. Dies sei die entscheidende Weichenstellung gewesen, erinnert sich Peterson. "Angesichts von Donnas Visionskraft, ihrer Leidenschaft für Technologie und ihrer großen Erfolgsbilanz in Sachen Innovation war es wichtig, unser Team unter ihre Führung zu stellen." Jetzt sei man gut positioniert, um erstklassige digitale Erlebnisse zu schaffen, die den Mitarbeitenden und damit auch dem Geschäft zugutekämen.
Als es an die Umsetzung ging, wurde funktionsübergreifend ein Team mit Spezialisten aus den Bereichen Produkt, Technik, Data Science, Design und den Business Units zusammengestellt. Deren Führungskräfte waren involviert und unterstützten, wann immer sich Hindernisse auftaten. Das Team konnte sich ganz auf das Erforschen, Entwickeln und Erstellen von GenAI-Funktionen konzentrieren. Mithilfe von agilen Entwicklungsmethoden und Rapid Prototyping entwickelte es in nur 60 Tagen ein Minimum Viable Product (MVP) für My Assistant und übergab es an die Mitarbeiter.
"Donna und die anderen Manager waren tief in unsere Strategieentwicklung und Umsetzung eingebunden - einschließlich der Teilnahme an frühen Produktdemonstrationen und wöchentlichen Besprechungen", blickt Peterson zurück. Dieses Engagement habe es ermöglicht, den Fokus aufrechtzuerhalten und Hindernisse bei der Umsetzung zu beseitigen. "Ich kann gar nicht genug betonen, wie wichtig die Abstimmung mit den Führungskräften war, um unser Produktteam in die Lage zu versetzen, schnell voranzukommen und den Gegenwind abzufedern, dem wir ausgesetzt waren."
GenAI ist wie Excel in den 80er Jahren
Laut Peterson ist der Siegeszug von GenAI vergleichbar mit dem Aufkommen von Microsoft Excel in den 1980er Jahren. "Ähnlich wie die frühen Excel-User geschult werden mussten, um zu verstehen, wie man Pivot-Tabellen und VLOOKUP-Formeln nutzen kann, müssen GenAI-Nutzer das Prompting verstehen und wissen, welche Anwendungsfälle sich lohnen könnten." Wie immer bei solchen Vorhaben, sei das Change Management von größter Bedeutung.
Damit My Assistant nun auch wirklich in der Breite genutzt wird, setzt Walmart auf Demos von pragmatischen Anwendungsfällen in Town Hall Meetings und auf praktische Schulungen für Personalmanager. Diese sollen das Wissen und die Sicherheit gewinnen, um Anwendungsfälle in ihren Teams voranzutreiben.
"Wir ermutigen unsere Führungskräfte, mit ihren Leuten über My Assistant zu sprechen, und zeigen ihnen, wie sich damit Kreativität und Produktivität fördern lassen", erklärt Peterson. "Wenn zum Beispiel jemand ein Whitepaper schreiben muss, soll er sich nicht dafür schämen, My Assistant als Startpunkt zu verwenden. Manager sollten den Einsatz der KI begrüßen, da sie wissen, dass dies zu einem kreativen ersten Entwurf führen kann. Das Ergebnis wird nicht perfekt sein und menschliches Eingreifen erfordern, aber My Assistant kann dazu beitragen, Schreibblockaden zu beseitigen und Prozesse zu beschleunigen."
Blick in die Zukunft
Bei Walmart ermöglicht My Assistant dem US-Personal, eigene Daten aus dem Ökosystem des Konzerns sicher zu synthetisieren, zusammenzufassen und zu ergänzen. In naher Zukunft werden die Mitarbeiter bei Walmart die KI nutzen können, um komplexe Fragen etwa zu ihren Sozialleistungen oder anderen personalisierten Anwendungsfällen rund um Karriereentwicklung beantwortet zu bekommen - also zu Trainings, Onboarding, Datenanalyse und vielem mehr.
Walmart will My Assistant nun auch international ausrollen, beginnend in Kanada, Mexiko und Mittelamerika. Auf Dauer sollen zudem die Beschäftigten in den Märkten mit KI-Lösungen arbeiten können, um ihre Kunden besser bedienen zu können. Dabei kann Peterson noch nicht sagen, wie sich die Arbeitswelt verändern wird. Er erwartet, dass die Qualität der Arbeit verbessert wird und mehr Nebenprodukte auf GenAI-Basis entstehen werden. "Am Ende wird es aber so sein wie immer: Unsere Mitarbeiter sind das, was uns auszeichnet." (hv)