Nach wie vor mangelt es in deutschen Unternehmen an IT-Fachkräften:
Laut dem Branchenverband Bitkom ist die Zahl freier Stellen für IT-Fachkräfte 2021 auf 96.000 gestiegen.
Laut einer Studie benötigen Unternehmen im Durchschnitt 183 Tage, um ihre IT-Expertenstellen zu besetzen.
Bei den IT-Beratungsstellen sieht es noch düsterer aus: Hier liegt der Durchschnitt bei 208 Tagen.
"Die Kosten, die bei einer unbesetzten Stelle über einen so langen Zeitraum entstehen, sind enorm. Sie können zwischen 176.000 bis sogar 250.000 Euro betragen", weiß Recruiting-Expertin Katharina Pratesi, CPO und Partnerin der Mainzer Firma Brandmonks.
Immer mehr Unternehmen setzen daher verstärkt auf das Recruiting von Quereinsteigern, also Talenten, die zwar keine klassische IT-Ausbildung haben, aber häufig über solide Vorerfahrungen, etwa aus einem anderen Job, verfügen. Viele dieser Kandidaten sind motiviert und besonders lernbereit. Dennoch zögern Entscheider häufig und haben Angst, sich für einen falschen Kandidaten zu entscheiden, wenn sie offene Stellen mit Quereinsteigern besetzen.
"Diese Angst ist völlig unbegründet. Jedes Unternehmen kann von motivierten Quereinsteigern profitieren. Vorausgesetzt, es passt seine Recruiting- und Onboardingprozesse an, um passende Kandidaten zu finden und diese dann so einzuarbeiten, dass sie die fehlenden Skills schnell erlernen", rät Pratesi.
8 Tipps, um Quereinsteiger zu rekrutieren
Um Unternehmen zu ermutigen, sich für Quereinsteiger zu öffnen, hat Katharina Pratesi einen Leitfaden erstellt. "Mit den richtigen Prozessen zur Vorauswahl und dem Onboarding gibt es nahezu keine Risiken, sondern viele neue Chancen, um das IT-Fachkräfteproblem mittelfristig zu lösen und unsere Wettbewerbsfähigkeit auf dem internationalen Markt zu stärken", so die Expertin.
1. Seien Sie spezifisch bei der Stellenbeschreibung
Kopieren Sie keine Stellenausschreibungen, sondern überlegen Sie genau, welche Fähigkeiten ein Must-have sind und welche der Bewerber auch im Onboarding erwerben kann. Formulieren Sie die Anforderungen sehr spezifisch und machen Sie in der Ausschreibung auch deutlich, dass Quereinsteiger willkommen sind und gute Perspektiven in Ihrem Unternehmen haben.
2. Nutzen Sie einen Mix aus verschiedenen Recruiting-Methoden
Neben der klassischen Anzeige auf Jobbörsen sollten unbedingt auch andere Methoden eingesetzt werden, mit denen passende Quereinsteiger auf die Stelle aufmerksam werden. Hilfreich sind vor allem Social-Media-Performance-Kampagnen und Active Sourcing. Inzwischen gibt es auch KI-Tools (etwa flynne), mit denen Unternehmen vollautomatisch und sehr gezielt Talente rekrutieren können.
3. Erstellen Sie einen individuellen Onboarding-Plan
Berücksichtigen Sie sehr genau die vorher analysierten Stärken und Schwächen. Überlegen Sie vor allem, wer aus dem Core-Team den Quereinsteiger dabei unterstützen kann, die fehlenden Skills zu erlernen.
4. Stellen Sie ein Team für das Quereinsteiger-Onboarding zusammen
Wichtig ist, dass die Mitarbeitenden, die die Quereinsteiger einarbeiten sollen, ausreichend Raum und Zeit für diese Aufgabe bekommen. Führen Sie Gespräche mit dem Team, das beim Onboarding helfen soll und machen Sie darin deutlich, dass die Einarbeitung neuer Mitarbeitender eine wichtige neue Aufgabe ist und nicht "nebenbei" erfolgen kann.
Auch wird Ihr Unternehmen mit Sicherheit von den Fragen, die Quereinsteiger aus anderen Branchen stellen, profitieren. Erfahrungsgemäß hinterfragen Quereinsteiger eher etablierte Prozesse, was eine neue Sicht auf viele Dinge ermöglicht. Wichtig: Passen Sie in dem Zusammenhang die Ziele des Onboarding-Teams an. Es wird sich auszahlen und mittelfristig wird das Team durch die neuen eingearbeiteten Talente entlastet.
5. Stellen Sie Remote-Kommunikationskanäle bereit
Viele Onboardings finden inzwischen remote statt. Damit sich die neuen Mitarbeitenden nicht allein gelassen fühlen, sollte ein Prozess aufgesetzt werden, mit dem ein täglicher Austausch stattfinden kann. Das können feste Timeslots für kurze Videocalls sein und/oder Collaboration Tools wie Slack, um auch mal schnell und kurzfristig Fragen beantworten zu können.
6. Setzen Sie einen engen Feedback-Loop ein
Setzen Sie sich bestenfalls alle ein bis zwei Wochen zusammen und besprechen Sie mit den Mitarbeitenden, was gut läuft und an welchen Stellen noch Einarbeitungsbedarf besteht.
7. Seien Sie selbstkritisch und hinterfragen Sie Ihre Prozesse
Wenn die Einarbeitung des Quereinsteigers nicht so erfolgreich ist, wie Sie sich das vorstellen, hinterfragen Sie, ob das Onboarding-Programm auch wirklich richtig umgesetzt wird. Hat das Onboarding-Team auch wirklich die Zeit, die der neue Mitarbeitende braucht, um sich die neuen Fähigkeiten anzueignen? Stellen Sie sich diese Fragen rechtzeitig, so dass Sie noch Zeit haben, das Onboarding-Programm zu optimieren.
8. Treffen Sie rechtzeitig Entscheidungen
Sollte trotz aller Prozessoptimierungen ein Quereinsteiger dennoch erhebliche Schwierigkeiten bei der Einarbeitung haben und der Onboarding-Aufwand in keinem Verhältnis stehen, dann sprechen Sie offen mit ihr oder ihm. Dafür sind Probezeiten da, und wenn Sie keine gemeinsame Lösung finden, sollten Sie sich im Zweifel von dem Mitarbeitenden trennen. (mp/fm)